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Aus dem Leben eines Taugenichts

Sprache und Stil

Die stilistische Grundeinstellung übernimmt Eichendorff aus dem Schelmenroman, insbesondere aber aus dem »Schelmuffsky« Christian Reuters: Der Erzähler, der von seinen Abenteuern berichtet, ist niederen Standes und sein entsprechend begrenztes Auffassungs- und Ausdrucksvermögen steht in einem Missverhältnis zu der Welt, in der er sich bewegt. Typisch ist, dass seine Beobachter – und unter ihnen der Leser – ihm gegenüber einen Wissensvorsprung haben. »›Er weiß aber auch gar nichts‹, sagte [Rosette] endlich und rümpfte das kleine Näschen.« (476)

Tatsächlich ist das Wissen um die persönlichen und verwandtschaftlichen Verhältnisse der herrschaftlichen Familie das Erste, was ein Bedienter auf einem Schloss in Erfahrung bringen sollte, wenn er nur irgendeinen Ehrgeiz hat und nicht Gefahr laufen will, sich lächerlich zu machen. Es ist auch ein Wissen, das ihm – Gegenstand von Gesprächen, Gerüchten und immer wieder ereignisreich auf die Probe gestellt – schlecht entgehen kann. Dem Taugenichts gelingt dieses Kunststück. Dass Aurelie für ihn auf der Landstraße in dem »köstliche[n] Reisewagen« (448) als Teil der adligen Sphäre erscheint, ist noch nachvollziehbar; dass er aber selbst als Schlossbewohner und in freundschaftlichem Umgang mit dem Portier (ihrem Onkel!) den Rang der Gräfin nicht von dem Rang des Kammermädchens unterscheiden lernt, zeugt von einem sehr hohen Maß an Naivität.

Einerseits ist die Erzählung stilistisch durchgängig als Figurenrede ausgewiesen; zugleich könnte man fragen, ob die konsequente interne Fokalisierung dem natürlichen Habitus des Taugenichts nicht eigentlich widerspricht. Ist es glaubhaft, dass er, wenn er jemandem seine Geschichte erzählt, seine Irrtümer bezüglich der Identität einiger Personen so raffiniert reproduziert? Dass ihm nicht, statt »meine gnädige Frau«, herausrutscht: »Aurelie« oder »meine Frau, die ich damals noch für eine Gräfin hielt«?

Dem Stilregister des Taugenichts entspricht eine einfache Syntax, denn es gibt keine komplizierten argumentativen Zusammenhänge, keine verwickelten Überlegungen oder Situationen, in denen viel zu gleicher Zeit und in wechselseitiger Abhängigkeit geschähe. Wenn die Sätze dennoch etwas länger werden – was durchaus nicht selten geschieht –, dann aufgrund einer Akkumulation von Beschreibungen im Rahmen einer übergeordneten syntaktischen Struktur. Hierzu zwei Beispiele:

Der Beginn der Erzählung (vgl. 446) folgt dem bewährten Muster einer Umstandsbeschreibung, auf welche die Schilderung eines einmaligen, den eigentlichen Erzählgegenstand bildenden Ereignisses folgt (für eine vergleichbare Stelle vgl. 531). Man könnte den ersten Satz leicht kürzen: ›Gerade saß ich auf der Türschwelle im Sonnenschein, da trat der Vater aus dem Haus und sagte zu mir: … .‹ Stattdessen besteht der Satz aus fünf eigenständigen, nur durch Kommata verknüpften Hauptsätzen mit insgesamt sieben Prädikaten (brauste, rauschte, tröpfelte, zwitscherten, tummelten, saß, wischte, war). Die zweite Hälfte der übergeordneten Struktur ist sogar noch umfänglicher, denn erst ab dem Gedankenstrich, und dem »Ich ging also in das Haus hinein« beginnt eine nächste Phase der Erzählung.

Obwohl Eichendorff die stilistische Bindung an die Figur des Taugenichts also auf eine einfache, der Tendenz nach parataktische Syntax festlegt, gelingt es ihm, im Rahmen konventioneller erzählerischer Schemata und mit einfachen motivischen Elementen durchaus komplexe textliche Strukturen aufzubauen.

Charakteristisch für die Figurenrede des Taugenichts sind besonders anschauliche Verben der Bewegung und des Körperbezugs. Der Spion im italienischen Wirtshaus »wuscht […] auf einmal aus seinem Winkel wie eine Spinne auf [ihn] los« (503); da er sich beim Sprung über das Gartentor in Rom den Fuß verrenkt hat, muss er »erst ein paarmal mit dem Beine schlenkern, eh‘ [er] zu dem Hause nachspringen [kann]« (523); vom Kutschbock aus »tunkt[ ] [er, eingeschlafen,] mit solcher Vehemenz mit dem Kopfe nach dem Boden zu« (502), dass Flora im Wagen laut aufschreit.

Hier beschreibt er die Langeweile, unter der er als Zolleinnehmer leidet: 

Ich nahm mir, um es kommoder zu haben, einen Schemel mit heraus und streckte die Füße darauf, ich flickte ein altes Parasol vom Einnehmer, und steckte es gegen die Sonne wie ein chinesisches Lusthaus über mich. Aber es half nichts. Es schien mir, wie ich so saß und rauchte und spekulierte, als würdem mir allmählich die Beine immer länger vor Langeweile, und die Nase wüchse mir vom Nichtstun, wenn ich so stundenlang an ihr herunter sah. (474)

Erklärungsbedürftiges Vokabular gibt es vor allem aus der latinisierenden und französischlastigen Studentensprache (vgl. 584- 588).

Besonders auffällig sind schließlich motivische Versatzstücke, die mit geringfügiger Variation die gesamte Erzählung durchziehen. Prägnant ist hier der Vogelgesang, mit allein neun Belegen nur in den ersten beiden Kapiteln, auf den Seiten

446 (»die Sperlinge zwitscherten und tummelten sich dazwischen«),

450 (»über mir unzählige Lerchen in der blauen Luft«),

456 (»bis alle Nachtigallen draußen erwachten«),

456 (»nur die Vögel flatterten und pickten auf dem Sande«),

474 (»krähten die Hähne so frisch über die leisewogenden Kornfelder herüber, und zwischen den Morgenstreifen hoch am Himmel schweiften schon einzelne zu früh erwachte Lerchen«),

478 (»in den hohen Bäumen im herrschaftlichen Garten neben mir sangen unzählige Vögel lustig durcheinander«),

480 (»so daß ordentlich die Blumen und die Vögel aufzuwachen schienen«),

487 (»Hin und her in den Zweigen neben mir erwachten schon die Vögel, schüttelten ihre bunten Federn und sahen, die kleinen Flügel dehnend, neugierig und verwundert ihren seltsamen Schlafkameraden an«),

488 (»über mir jubilierten unzählige Lerchen hoch in der Luft«).

Veröffentlicht am 26. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 26. September 2023.