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Aus dem Leben eines Taugenichts

Kapitel 9

Zusammenfassung

Auf einem Berg, von dem man von Italien kommend zum ersten Mal auf Österreich hinabsehen kann, singt der Taugenichts ein patriotisches Lied. In der letzten Strophe fällt von hinter ihm eine Blasmusik mit ein: Drei reisende Studenten, die sich mit der Musik etwas verdienen, haben ihn für einen englischen Reisenden gehalten und zeigen sich enttäuscht, als der Taugenichts, statt ihnen Geld zu geben, selbst seine Geige hervorholt und mitspielt.

Im Gespräch erzählen sie von ihren während der Semesterferien unternommenen Reisen. Sie überlegen, welche Route sie nach Prag nehmen sollen, wo sie bald ihr Studium fortsetzen sollen. Der Taugenichts wird über den Schilderungen wehmütig. Dem Waldhornisten aber kommt die Idee, bei seinem Vetter, einem Portier, auf einem Schloss bei Wien Station zu machen. Der Taugenichts erkennt darin denselben Portier, den auch er kennt, und so wollen sie gemeinsam auf einem Postschiff dorthin reisen.

Auf das Schiff steigen auch ein älterer Geistlicher, der vor der Abfahrt noch eifrig mit einem gleich davonreitenden Burschen spricht (ein Jockey, der die Nachricht von der Ankunft des Taugenichts auf das Schloss bringt), und ein junges hübsches Mädchen, mit dem die Studenten gerne anbändeln würden.

Der Taugenichts spielt vorne am Bug alle seine Lieder durch und wird von dem Geistlichen, während er spielt, mitsamt den Studenten und dem jungen Mädchen zu Braten, Brot und Wein eingeladen. Das Mädchen gibt an, zu ihrer neuen Arbeitsstelle als Kammerjungfer zu fahren, nämlich in das dem Taugenichts wohlbekannte Schloss bei Wien. Also wird von der großen Hochzeit gesprochen, die es dort bald geben soll und von dem Bräutigam, der noch nicht eingetroffen sei. Der Taugenichts hält sich selbst für diesen Bräutigam, obwohl freilich Leonhard gemeint ist. Der Geistliche scheint den Irrtum zu durchschauen und amüsiert sich deshalb, als der Taugenichts den Bräutigam gegen die Vermutung verteidigt, er sei ein luftiger Vogel.

Zuletzt wird auf das Brautpaar angestoßen. Die Studenten spielen ihre Blasmusik, der Geistliche schwärmt von seinen Studentenjahren, und sie singen alle ein Studentenlied. Das Schloss bei Wien erscheint in der Ferne.

Analyse

Wie schon erwähnt, bleibt der Großteil der Rückreise des Helden unerzählt. Der Einsatz des neunten Kapitels erfolgt, als er das erste Mal auf Personen trifft, die mit dem Schloss bei Wien in Verbindung stehen: Der Student mit dem Waldhorn ist ein Verwandter des Portiers. Vorbereitet wurde diese Anbindung an den Zielort durch den Blick auf Österreich, der von dem Berg, auf dem sich der Held zu Beginn des Kapitels befindet, das erste Mal wieder möglich ist.

Die Reise von Rom bis dorthin wird – darauf lässt die Auslassung schließen – ohne Berührungspunkte mit dem Schlosspersonal gewesen sein. Sie bildet somit zu dem Reiseabschnitt der Hinreise von dem Aufbruch bis zu der Bekanntschaft mit den beiden vermeintlichen Malern ein Pendant. Der Unterschied besteht darin, dass der Taugenichts das Schloss dort im Rücken hatte: Er war Willens, seine Liebe hinter sich zu lassen und bewegte sich wirklich ins Offene. Jetzt hat er das Schloss und das Wiedersehen mit der Geliebten vor sich. Verirrungen, Abenteuer und die Versuchung, die Reise zugunsten einer anderen, sinnenbezogenen Lebensart abzubrechen, drohen jetzt nicht mehr.

Auch die Begegnung mit den Studenten stellt kein eigentliches Abenteuer dar und beschleunigt die Bewegung des Helden eher, als dass sie sie aufhalten oder verlangsamen würde. Diese auf die Dynamik der Handlung bezogene Beobachtung steht in eigentümlichem Verhältnis zu dem relativ großen Umfang des Kapitels. Offenbar lag dem Autor an der Einführung und Entwicklung auch der Studentenmotivik. Wollte man das Kapitel aber gegen den Vorwurf verteidigen, gegen die anderen Kapitel hinsichtlich der Spannung und Bedeutungsdichte abzufallen, könnte man anführen: Es sei durchaus ein Zwischenschritt vor der Ankunft in dem Schloss bei Wien, und überhaupt eine Darstellung der Reisebewegung nötig gewesen; zugleich habe man die Phase der erotischen und sonstigen Verwicklungen mit dem Aufbruch aus Rom endgültig abschließen wollen. Dann bleibt nur ein weitgehend harmloser Stoff, der Spannungsmomente allein aus der Annäherung an das Happy-End und der zunehmenden, auf die noch bestehenden Täuschungen des Helden bezogenen Informationsdichte bezieht.

Etwas interessanter als die drei blasenden Studenten ist noch der Geistliche, der gewiss dem Geistlichen nachgebildet ist, der sich – ein Abgesandter der Turmgesellschaft – im neunten Kapitel des zweiten Buches von »Wilhelm Meisters Lehrjahren« mit dem Helden bei einer Wasserpartie auf eine Weise unterhält, die auf ein regeres Interesse an ihm und eine größere Kenntnis von ihm schließen lässt, als man von einem Fremden erwarten dürfte.

Im Gespräch über die auf dem Schloss bald anstehende, große Hochzeit, scheint der ältere Herr den Irrtum, dem der Taugenichts unterliegt, zu durchschauen und außerdem von seinen römischen Abenteuern zu wissen (»›in der Nacht passatim geht, und am Tage vor den Haustüren schläft‹« – 549). Er ist, wie er sagt, von den »beiden Gräfinnen« (549) (Flora und ihre Mutter?) ausgeschickt, um nach dem bald erwarteten Bräutigam Ausschau zu halten und lässt im Schloss die Ankunft des Taugenichts ankündigen.

Zweimal begegnet in dem Kapitel das schon wohlvertraute Motiv, das der Held beim Singen von hinten angesprochen und unterbrochen wird. Zuerst ist das wegen der Täuschung, der die auf Lohn hoffenden Studenten unterliegen, eine eher komische Szene. Auf dem Schiff aber wird das Motiv in seiner erprobten Funktion gebraucht, geselligen Kontakt gerade aus der selbstvergessenen, sich angenehm mitteilenden Isolation des Taugenichts hervorgehen zu lassen.

Veröffentlicht am 24. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 24. September 2023.