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Aus dem Leben eines Taugenichts

Zitate und Textstellen

  • »Wie aber denn die Sonne immer höher stieg, rings am Horizont schwere weiße Mittagswolken aufstiegen, und alles in der Luft und auf der weiten Fläche so leer und schwül und still wurde über den leise wogenden Kornfeldern, da fiel mir erst wieder mein Dorf ein und mein Vater und unsere Mühle, wie es da so heimlich kühl war an dem schattigen Weiher, und daß nun alles so weit, weit hinter mir lag. Mir war dabei so kurios zu Mute, als müßt‘ ich wieder umkehren; ich steckte meine Geige zwischen Rock und Weste, setzte mich voller Gedanken auf den Wagentritt hin und schlief ein.«
    – Erzähler, 450

    Der erste Moment des Innehaltens und der Ruhe ist auf einer Reise oft auch der Moment einer wehmütigen Rückschau auf die verlassene Heimat. In der Literatur jedenfalls ist das Motiv bekannt. Die Euphorie des Aufbruches ist an die körperliche Anstrengung und Bewegung gebunden. Sobald der Körper nach Ruhe verlangt, weicht auch der fröhliche Überschwang der Bewusstwerdung des tatsächlich vollzogenen Schritts der Trennung von der Heimat.

    Ein bekanntes literarisches Motiv ist aber auch das Einschlafen auf der Reise: Man denke an Odysseus, der Ithaka schlafend erreicht hat. Noch in der Postkutsche, mit welcher der Taugenichts in Gesellschaft Leonhards und Floras nach Italien kommt, wird er von einer regelrechten Schlafsucht befallen (vgl. 502).

  • »›Na, die gnädige Herrschaft hat Ihm, in Betrachtung Seiner guten Aufführung und besondern Meriten, die ledige Einnehmer-Stelle zugedacht.‹ – Ich überdachte in der Geschwindigkeit für mich meine bisherige Aufführung und Manieren, und ich mußte gestehen, ich fand am Ende selber, daß der Amtmann Recht hatte. – Und so war ich denn wirklich Zolleinnehmer, ehe ich mich’s versah.«
    – Der Amtmann, dann der Erzähler – 466

    Tatsächlich taugte der Taugenichts nicht zum Gärtnerburschen – seine vorherige Stelle, auf der er sich, wie der Amtmann meint, verdient gemacht habe: »Der Gärtner schalt mich einen faulen Bengel« (460), heißt es einige Seiten zuvor und gleich zu Beginn seiner Tätigkeit als Gärtnerbursche verlegt er sich darauf, zu faulenzen und seinen Gedanken nachzuhängen, sobald der ihn aus den Augen lässt (454).

    Wie ist der Widerspruch zu erklären? Wer ist überhaupt »die gnädige Herrschaft«? Ist es die Gräfin mit ihren erotischen Absichten? Graf Leonhard sei dem Taugenichts schon lange gewogen gewesen, heißt es am Schluss (vgl. 560) – Leonhard hat seine Besitztümer aber in der Nachbarschaft, er hat auf dem Schloss streng genommen nichts zu sagen und dürfte mit der Gräfin wegen der Geschichte mit Flora noch im Streit liegen.

    Der Angeredete selbst sieht offenbar, wie ungerechtfertigt die Beförderung in Wirklichkeit ist – zugleich ist er rasch bereit, die neue Sicht der Dinge zu akzeptieren und zu seiner eigenen zu machen. Ähnlich war sein Verhalten gegenüber dem Vater zu Beginn der Erzählung: »›Nun,‹ sagte ich, ›wenn ich ein Taugenichts bin, so ist’s gut, so will ich in die Welt gehen und mein Glück machen.‹« (446)

  • »›Wertgeschätzter Herr Einnehmer! Italien ist ein schönes Land, da sorgt der liebe Gott für alles, da kann man sich im Sonnenschein auf den Rücken legen, so wachsen einem die Rosinen ins Maul, und wenn einen die Tarantel beißt, so tanzt man mit ungemeiner Gelenkigkeit, wenn man auch sonst nicht tanzen gelernt hat.‹«
    – Der Portier, 489

    Selbst der Portier preist dem Taugenichts Italien nicht als das Land der klassischen Antike und der künstlerischen Vollkommenheit an, sondern lediglich als ein Land der Sorglosigkeit und Faulenzerei und der Sinnenlust – gleich dem märchenhaften, in Deutschland vor allem durch Hans Sachs bekannt gemachten Schlaraffenland.

    Er spielt dabei auch auf den süditalienischen Taranteltanz an, die Tarantella, die bis zur Raserei getanzt wird:

      Nach alten Reisebeschreibungen sollen Menschen, die von Taranteln, in Südeuropa häufigen Raubspinnen, gebissen worden sind, durch die Einheimischen dadurch von der schmerzhaften Krankheit geheilt worden sein, daß sie ihnen alte Tanzmelodien (darunter »La tarantola«) vorspielten und sie zum Tanz bis zur Erschöpfung veranlaßten. (813)

    Tatsächlich tanzt der Taugenichts bei der deutschen Gesellschaft außerhalb von Rom länger als alle anderen »recht artige Figuren« und »wie ein Ziegenbock« (534).

  • »Draußen war eine warme Sommernacht, so recht um passatim zu gehn. Weit von den Weinbergen herüber hörte man noch zuweilen einen Winzer singen, dazwischen blitzte es manchmal von ferne, und die ganze Gegend zitterte und säuselte im Mondenschein.«
    – Erzähler, 504

    ›Gassatim zu gehen‹ bedeutete in der Studentensprache des 17. bis 19. Jahrhunderts soviel wie auf der Straße herumzustreunen und auf Abenteuer auszugehen. Dass im »Taugenichts« mit dem Begriff »passatim« die verkehrte Form mehrfach auftaucht und auch in den verschiedenen Drucken, spricht gegen einen Druckfehler. Der Taugenichts – so muss man schließen – hat den studentensprachlichen Ausdruck irgendwo aufgeschnappt und seine Bedeutung verstanden; nur die Lautgestalt stellt sich ihm nicht korrekt dar.

    Der singende Winzer fungiert in dem zweiten Satz so wie sonst die singenden Vögel.

  • »Ich knüpfte allerlei galanten Diskurs mit ihr an, sie verstand mich aber nicht, sondern sah mich immer ganz kurios von der Seite an, weil mir’s so gut schmeckte, denn das Essen war delikat.«
    – Erzähler, 511

    Der Satz charakterisiert die stilistische Ungeschicklichkeit des Taugenichts: Ihm fehlt es an einem Aussagezentrum, um den herum sich Begleitumstände, Gründe und Folgen gruppierten. Obwohl jeder Teilsatz über argumentative Konjunktionen an das Vorangegangene angeschlossen wird (aber, sondern, weil, denn), wirkt der Satz insgesamt eher wie eine lose Aneinanderreihung in sich bereits vollständiger Aussagen, die dem Erzähler nach und nach einfallen. Besonders kennzeichnend ist hierbei der Anschluss mit ›denn‹ am Ende, denn diese Konjunktion verlangt einen neuen Hauptsatz.

  • »Es kam mir vor, als führe ich noch immer fort im Wagen, und es hätte mir von einem Schlosse im Mondschein geträumt und von einer alten Hexe und ihrem blassen Töchterlein.«
    – Erzähler, 511

    Auch in der Wirklichkeit der Erzählung hat die Hexen- und Schauermotivik, die in die Bergschloss-Episode verwoben ist, kaum mehr Substanz als ein Traum. Das Schloss gehört Graf Leonhard, der dem Taugenichts gewogen ist, der ihm gar am Ende ein Schlösschen mit Weingarten und Garten vermacht.

    Alles, was das unheimliche Schlossverwalter-Ehepaar mit dem Taugenichts tut, tut es in der Meinung, bei ihm handele es sich um die verkleidete Flora, die sie aufzubewahren und gut zu erhalten verpflichtet sind. Wovor hätte der Taugenichts sich wirklich zu fürchten? Die schauerlichen Eindrücke von der Anfahrt lassen sich am Ende auf die entrückte Lage des Schlosses und einige Mondscheineffekte zurückführen.

  • »Mir träumte von himmelblauen Blumen, von schönen, dunkelgrünen, einsamen Gründen, wo Quellen rauschten und Bächlein gingen, und bunte Vögel wunderbar sangen, bis ich endlich fest einschlief.«
    – Erzähler, 524

    Dies ist eine weitere der zahlreichen Einschlafszenen. Wovon dem Helden träumt, das ist ein Konzentrat romantischer Motivik, mit dem zentralen Motiv der ›blauen Blume‹ am Anfang. Es wurde von Novalis in seinem Roman »Heinrich von Ofterdingen« in der Frühromantik eingeführt. Gleich zu Beginn erscheint die Blume dort im Traum des Protagonisten:

      Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstliche Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit. Endlich wollte er sich ihr nähern, als sie auf einmal sich zu bewegen und zu verändern anfing; die Blätter wurden glänzender und schmiegten sich an den wachsenden Stengel, die Blume neigte sich nach ihm zu, und die Blüthenblätter zeigten einen blauen ausgebreiteten Kragen, in welchem ein zartes Gesicht schwebte. Sein süßes Staunen wuchs mit der sonderbaren Verwandlung, als ihn plötzlich die Stimme seiner Mutter weckte, und er sich in der elterlichen Stube fand, die schon die Morgensonne vergoldete. (Novalis 14)
  • »Mir aber war es so sternklar im Herzen, wie damals an dem glückseligen Sonnabend, als ich am offnen Fenster vor der Weinflasche bis tief in die Nacht hinein auf der Geige spielte.«
    – Erzähler, 533

    Die Stelle gibt den Gemütszustand des Taugenichts an, nachdem er von Rosette auf das Stelldichein mit der römischen Gräfin bestellt wurde, die er für Aurelie hält. Dass es ihm »sternklar« im Herzen ist, steht in leicht ironischem Verhältnis zu den von ihm noch undurchschauten, wirklichen Gegebenheiten.

    Offenbar glaubt er in Rom immer noch – obwohl er die Gräfin unter den Birnbaum hatte kommen sehen, und nicht Aurelie –, dass Aurelie ihm die Weinflasche geschickt habe. Er unterlag damals also einem dem aktuellen ähnlichen Irrtum. Der Text macht die Parallele offenbar, ohne den Irrtum schon aufzudecken.

  • »›Ich kann’s Euch wohl sagen‹, hub er wieder an, ›die beiden Gräfinnen haben mich auf Kundschaft ausgeschickt, ob der Bräutigam schon vielleicht hier in der Gegend sei. Eine Dame aus Rom hat geschrieben, daß er schon lange von dort fort sei. – ‹«
    – Der Geistliche auf dem Postschiff, 549

    Mit den beiden Gräfinnen meint der Geistliche zweifellos Mutter und Tochter, die Gräfin vom Beginn der Erzählung also und Flora, die zu dieser Zeit noch in der Pensionsanstalt wohnte. Dem Taugenichts muss die Angabe von den beiden Gräfinnen aber seinen Irrtum bestätigen, die beiden Frauen, die ihn vom Wagen her im ersten Kapitel auf der Landstraße angesprochen hatten, seien beide Gräfinnen gewesen.

    Auch die Dame in Rom, bei deren Nennung der Taugenichts hier errötet, identifiziert er fälschlich mit ›seiner‹ römischen Gräfin. Wer wirklich gemeint ist – wer mit Leonhard in Rom Umgang hatte, kann nicht rekonstruiert werden. Es zeugt von der Naivität des Taugenichts, dass er glauben kann, die römische Gräfin hätte jemandem aus dem Schloss bei Wien Auskunft über den Verbleib des Taugenichts gegeben.

  • »Ich war so recht seelenvergnügt, und langte eine Hand voll Knackmandeln aus der Tasche, die ich noch aus Italien mitgebracht hatte. Sie nahm auch davon, und wir knackten nun und sahen zufrieden in die stille Gegend hinaus.«
    – Erzähler, 560

    Das etwas burleske Detail offenbart die Standesgleichheit des Hauptpaares bereits kurz vor der Entdeckung, die Aurelie dem Taugenichts endlich von ihrer Herkunft macht. Eine Gräfin hätte sich kaum zum gemeinsamen ›Knacken‹ einladen lassen.

    Die Vertrautheit, die darin zum Ausdruck kommt, lässt sich aber auch in die marienhafte Überhöhung kaum mehr integrieren, die Aurelie sonst in der Erzählung des Taugenichts erfährt. Das Motiv ist sofort verständlich: In einer Situation großen Glücks braucht es eine geringfügige, unbedeutende Beschäftigung, um der Verlegenheit und der Versuchung zu wehren, die Situation vorschnell, aus Ungeduld und aus Angst vor der Stille zu verändern.

Veröffentlicht am 26. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 26. September 2023.