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Aus dem Leben eines Taugenichts

Kapitel 4

Zusammenfassung

Auf dem Weg nach B. kommt den Reisenden ein grämlicher Herr entgegen, führt sie vor das Posthaus des Dorfes zu einem Wagen mit vier Postpferden und fährt mit ihnen los. Leonhard schenkt dem Taugenichts neue Kleider. Dieser genießt das Reisen, er sitzt meist auf dem Bock, und Leonhard zeigt sich eifersüchtig, wenn Guido sich mit ihm unterhält. Der Taugenichts schläft viel und so kommen sie nach Italien.

Halb durch die Lombardei hindurch machen sie eines Abends in einem Wirtshaus Rast. Der Taugenichts wird in der Wirtsstube von einem unangenehmen, buckligen Männlein ausgefragt, ohne dass sie einander recht verstehen können.

Endlich vor die Tür getreten, hört er den auf den Balkon hinausgetretenen Guido ein stimmungsvolles Abendlied singen und schläft darüber ein. Als er erwacht, ist die vorgesehene Abfahrtszeit schon verstrichen, der Postillon bläst und der Taugenichts macht sich daran, Guido und Leonhard vor ihrem Fenster mit einem Lied zu wecken. Allerdings sind die zwei, wie er vernimmt, gestern überstürzt aufgebrochen, wohl einen Geldbeutel mit einem Zettel hinterlassend, der das Geld dem Taugenichts zueignet. Auch der bucklige Herr sei gestern im Mondschein übers Feld galoppiert. Dem Drängen des Postillons schließlich nachgebend, steigt der Taugenichts wieder in den Wagen und fährt alleine los.

Analyse

Es entspricht den Verfahren des barocken, höfisch-historischen Romans und seiner trivialen Ableger, dass Verwechslungen und Vertauschungen von Personen von der Erzählstimme hinsichtlich der Figurenbezeichnung zwar mit vollzogen werden; und dennoch die Beschreibung und das Verhalten der betroffenen Figuren unzweideutige Hinweise auf deren wahre Identität enthalten, die die Täuschung rasch transparent machen.

So verfährt mit Blick auf die sich als Guido ausgebende Flora auch der Taugenichts als Erzähler, wenn er das Verhältnis seines Helden mit ihr mit einer erotischen Latenz versieht und die Eifersuchtsanfälle notiert, mit denen Leonhard darauf reagiert (vgl. 499 f., 502). Dass Flora ihren Geliebten deswegen auslacht, weist auf die unüberbrückliche Standesdifferenz zwischen dem Helden und dem gräflichen Paar: Der adlige Leonhard macht sich, wenn er den Müllerssohn als Konkurrenten betrachtet, lächerlich.

Übrigens werden die Standesgrenzen vom Taugenichts erst zum Schluss richtig gezogen: Hatte er bisher Aurelie fälschlich dem Adel zugerechnet und so von sich entfernt, ordnet sich im Inkognito der Flucht das gräfliche Paar dem niederen Stand des Taugenichts zu.

Das vierte Kapitel unterbricht die Reihe annähernd gleichlanger Kapitel, indem es nur etwa die Hälfte des Vorangegangenen umfasst. Entsprechend ist das, was darin geschieht, übersichtlicher strukturiert. Der Beschreibung des Aufbruches in B. folgt die geraffte Schilderung der eigentlichen Fahrt nach Italien. Szenisch ist dann der Aufenthalt in dem lombardischen Wirtshaus geschildert, aus dem das gräfliche Paar – von ihren Verfolgern eingeholt – überstürzt in die Wälder flieht und den Taugenichts zurücklässt, damit dieser als verkleidete Flora weiterreisen und die Verfolger ablenken kann (vgl. 557 f.).

Den Helden niederer Romane und insbesondere des Pikaro-Romans ist es für gewöhnlich vorbehalten, dass ihre Körperfunktionen und -dysfunktionen ihre Geschicke mitunter entscheidend mitbestimmen. Schon auf der Fahrt zum Wiener Schloss war der Taugenichts eingeschlafen und hatte sich deshalb in der Vorhalle allein vorstellen müssen; jetzt verpasst er den Aufbruch der beiden Maler, weil er über – besser: unter dem Gesang Guidos (bzw. Floras) das Bewusstsein verliert, und wacht auch nicht wieder auf, als dieser noch im Singen aufschreit »und dann geschwind zu dem andern Herrn in das Zimmer zurückstürzt [ ].« (506)

Der Schlaf, der den Taugenichts auf dem Kutschbock zwanghaft anfällt, versetzt ihn in Positionen, die eines Schelmuffsky würdig wären:

    Ich hing bald rechts, bald links, bald rücklings über den Bock herunter, ja manchmal tunkte ich mit solcher Vehemenz mit dem Kopfe nach dem Boden zu, daß mir der Hut weit vom Kopfe flog, und der Herr Guido im Wagen laut aufschrie. (502)

Darüber hinaus verleiht er auch dem eigentlichen Übergang nach Italien – immerhin eine etappenreiche, vieltägige Reise – den Charakter einer einzigen, rauschhaften, mit dem Verstand kaum nachzuvollziehenden Bewegung.

Dazu ist der Eindruck, den der Held in dem Wirtshaus von Italien gewinnt, ein eher negativer und ernüchternder. Seine Beobachtung richtet sich auf die Frisuren und die Kleider der Mägde und Knechte: die Mägde findet er zu freizügig und unordentlich, die Knechte für ihren Stand zu vornehm gekleidet.

Das bucklige Männlein, das ihn so aufdringlich auszufragen sucht, ist einerseits ein Spion, der bei der Verfolgung des gräflichen Paares hilft; andererseits ist es ein Wiedergänger des Bauern vom Anfang der Reise. Auffällig sind die quasi-dämonischen Veränderungen ihrer Gestalten. Der Bauer war zunächst im Sonntagsstaat aufgetreten, dann im weißen Kamisol. Zuletzt sieht der Held, »daß es eigentlich ein kurzer, stämmiger, krummbeiniger Kerl war, und vorstehende glotzende Augen und eine rote etwas schiefe Nase hatte« (491). Der Spion im Wirtshaus geht »wie eine Spinne« auf den Taugenichts los. Greift seine erste Beschreibung schon – gewissermaßen dort, wo der Bauer aufgehört hatte – in den Bereich des Grotesken und Hässlichen, trägt seine letzte Erscheinung – vermittelt nun durch den Bericht einer Magd – entschieden teuflische Züge: Die Magd sah ihn »auf einem Schimmel im Mondschein quer übers Feld galoppieren, daß er immer Ellen hoch überm Sattel in die Höhe flog und die Magd sich bekreuzte, weil es aussah, wie ein Gespenst, das auf einem dreibeinigen Pferde reitet.« (506)

In der vordergründigen Handlung haben weder der Bauer noch der Spion mit dem Taugenichts irgendetwas zu schaffen. Der Bauer taucht nicht wieder auf und der Spion meint eigentlich das fliehende, gräfliche Paar, nicht den harmlosen Müllerssohn. In einer allegorischen Auslegung hingegen können die Auftritte der beiden Figuren nur auf den Helden und seinen Weg bezogen werden.

Veröffentlicht am 24. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 24. September 2023.