Skip to main content

Aus dem Leben eines Taugenichts

Kapitel 5

Zusammenfassung

In dem Wagen setzt der Taugenichts die Reise über mehrere Tage fort. Abgesehen davon, dass er ohne Einfluss auf das rasche Tempo des Wagens bleibt, und nicht weiß, wohin er eigentlich gefahren wird, gefällt ihm die neue Lebensart. Gerade als er feststellt, dass das Geld, das Leonhard ihm hinterlassen hat, aufgebraucht ist, biegt der Wagen von der Landstraße in Richtung eines düsteren Gebirges ab. Er erkennt erst jetzt, dass der Kutscher kein Postillon ist, und im Mondschein – denn es ist Nacht – sieht er das Männlein aus dem Wirtshaus auf seinem Schimmel vorbereiten. Nachdem sie an einigen verräucherten Hütten vorbeigefahren sind, sieht er auf einem Berggipfel ein altes Schloss.

Dort angelangt, wird er von einem alten Mann und einer alten, hässlichen Dienerin in Empfang genommen, die ihn in ein großes, herrschaftliches Zimmer bringt, wo für ihn ein prächtiges Abendessen gedeckt ist. Nachdem er ausgiebig gespeist hat, bringt eine junge hübsche Magd ihn in sein Schlafzimmer. Nach einem Moment der Verlegenheit, den der Taugenichts überbrückt, indem er ein Glas Wein in einem Zuge austrinkt, geht sie lachend in die Tafelstube zurück, und er, voll Sorge, er müsste morgen früh wieder abfahren, schläft ein.

Analyse

Dieses dritte Reisekapitel kopiert die Grundstruktur des vorangegangenen, vierten Kapitels: es gibt eine raffend dargestellte, mehrere Tage umfassende Reisezeit und eine Ankunft. Die Variation dieser Struktur zielt im fünften Kapitel auf ihre Vereinfachung und Straffung. In Kapitel 4 war noch der Aufbruch in B. geschildert worden, und in dem Wirtshaus reichte die Erzählung bis zu dem nächsten Morgen und zu dem nächsten Aufbruch. Kapitel 5 kappt diese gleichsam überstehenden Elemente – es ist das kürzeste Kapitel der gesamten Erzählung.

Die Reisedynamik hat sich verselbständigt, nicht ohne dass der Held sich auch in dieser vollkommenen Fremdbestimmung einzurichten wüsste (»Sonst war die Lebensart gar nicht so übel.« – 507). Der Moment des Innehaltens – wenn das Geld verbraucht ist –, ist auch der Moment des Abbiegens von der Landstraße. Die umständliche Beschreibung des letzten Reiseabschnitts rückt das Bergschloss, in dem der Taugenichts die nächste Zeit über wohnen soll, aus dem allgemeinen Reiseverkehr hinaus in eine unheimliche, entlegene Gegend.

Die Motive aus dem Bereich des Schauerlichen sind zahlreich. So heißt es gleich zu Beginn: »[…] und das einförmige Gerassel des Wagens schallte an den Steinwänden weit in die stille Nacht, als führen wir in ein großes Grabgewölbe hinein.« (508) Die Lockrufe der Waldkäuze, das plötzliche Auftauchen des teuflischen Spions, die unverständlichen, eifrigen Reden des Kutschers; die armseligen, offenen Hütten, »die wie Schwalbennester auf dem Felsen hingen« (508), der verhangene Hohlweg, der halbverfallene Schlossturm, der aufgeschreckte Schwarm Dohlen; der grämliche Alte, die hässliche, zahnlose Dienerin, die dem Gast mit ihren dürren Fingern das Kinn streichelt und an ihrer Nasenspitze zu kauen scheint – wozu all der motivische Aufwand? Erst am Ende der langen Reihe, bei der jungen Magd, mit welcher der Taugenichts »allerlei galante Diskurse« (511) anzuknüpfen sucht, kommt etwas Heiterkeit und frisches Leben in die Erzählung zurück. Es kann einen nur Wunder nehmen, wenn der Held nach all den Schrecken »voller Vergnügen« (511) einschläft und sich in eine Art Schlaraffenland versetzt sieht: »Das war nicht anders, als wenn man in Milch und Honig schwämme!« (511)

Natürlich – der Taugenichts übernimmt, ohne es zu wissen, die Rolle der verfolgten, als Maler Guido verkleideten Flora, die in dem Bergschloss unterkommen sollte. Vordergründig ist also davon auszugehen, dass die schauerlichen Eindrücke, die er bei der Anreise empfängt, Flora hätten bedrücken müssen, wenn sie mit Leonhard nicht vom Wirtshaus aus weiter nach Rom geflohen wäre.

Oder ist es nur der Umstand der Verwechslung – dass der Taugenichts nichts über das Ziel der Fahrt weiß, dass er den Kutscher für einen Postillon gehalten hat, dass er ihn nicht versteht, dass der Spion als Verfolger auftaucht – der dem Helden die nächtlichen Erscheinungen und das Bergschloss so unheimlich macht?

Wieder provoziert die motivische Ebene eine allegorische Interpretation, bei der alle Textelemente auf den Helden und seinen Lebensweg hin gedeutet werden. Dann hat man es auf einmal mit einer bekannten Konstellation zu tun. Die Schauermotive weisen auf das Verderben, das dem Helden droht, wenn er sich der sinnlichen Versuchung, die im Innern des Schlosses lockt, ergibt.

Veröffentlicht am 24. September 2023. Zuletzt aktualisiert am 24. September 2023.