Skip to main content

Unterm Rad

Historischer Hintergrund und Epoche

Die erste Fassung von »Unterm Rad« veröffentlichte Hesse im Jahre 1905. Er konnte es sich nun endlich leisten, als freier Schriftsteller zu leben und hatte sich zusammen mit seiner Ehefrau Maria Bernoulli nach Gaienhofen, einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg, zurückgezogen (Cornils, 2009). Hier schrieb er »Unterm Rad« und versuchte währenddessen, sein Leben als kreativer Künstler mit dem eines respektablen Bourgeois mit Ehefrau und drei Söhnen zu vereinen (ebd.).

Hesse hatte zu diesem Zeitpunkt bereits erste schriftstellerische Erfolge zu verbuchen und fühlte sich daher, als sei er in der literarischen Welt angekommen (Stelzig, 2014). Das gab ihm das Gefühl der Sicherheit, das er benötigte, um eine polemische Attacke auf das autoritäre und konservative Schulsystem seiner Zeit zu veröffentlichen (ebd.): »Unterm Rad«. Ebenfalls relevant für Hesses Entscheidung, den Roman zu schreiben, mochte sein, dass sich das Genre der Schulliteratur in Deutschland zu der Zeit einer großen Beliebtheit erfreute (ebd.). Dieses Genre konzentrierte sich auf den Konflikt zwischen talentierten Schülern und der repressiven Institution der Schule. 

In »Unterm Rad« verarbeitet Hesse zudem teilweise auch seine eigenen Erfahrungen. Als Kind und Jugendlicher hatte er mit seinen Eltern in Konflikt gestanden, die ihn zur Teilnahme an einem evangelischen Theologischen Seminar bewegen wollten und erwarteten, dass er in ihre Fußstapfen trat (sie hatten beide als Missionare in Indien gearbeitet); sie starteten mehrere Versuche, eine passende Beschäftigung für ihren Sohn zu finden (Cornils, 2009). Hesse aber wurde erst glücklich, als er sich etwas von ihnen löste und eine Lehre als Buchhändler in Tübingen begann (ebd.).

Hesse selbst sagte 1908 über seinen Roman:

    Ihre Frage wegen des Heilner kann ich im großen Ganzen mit Ja beantworten, wenn auch hier wie überall zwischen erlebter Wirklichkeit und Dichtung manche Unterschiede, ja Gegensätze bestehen. Unterm Rad enthält viel Erlebtes, doch sind die einzelen Erlebnisse teils verändert, teils auf verschiedene Figuren verteilt. So ist es auch mit Heilner, der zwar kein Jugendporträt ist, doch aber manche Züge meines damaligen Wesens bekommen hat. (Vahlbusch, 2009)

Hiermit gibt Hesse zu verstehen, dass er zwar viel Erlebtes in seinem Roman verarbeitet hat, dieser jedoch nicht ausschließlich biographisch ist. Auch zu der von Akademikern oft adressierten Frage, ob Hesse Teile seiner Person sowohl in Heilner als auch in Hans verarbeitet hat, nimmt er Stellung. 

Wie groß die Korrelation zwischen Hesses eigenem Leben und dem seines Romanhelden ist, hat die Literaturwissenschaft anhaltend über viele Jahrzehnte beschäftigt. Im Jahre 2008 veröffentlichte der Suhrkamp Verlag »›Unterm Rad‹: Entstehungsgeschichte in Selbstzeugnissen des Autors«, in dem der dokumentierbare Hintergrund von Hesses Roman festgehalten werden soll. 

Von »Unterm Rad« gibt es drei Fassungen: Zuerst wurde der Roman 1904 in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht (Vahlbusch, 2009). Hesse überarbeitete ihn daraufhin für die erste Veröffentlichung als gedrucktes Buch im darauffolgenden Jahr. Diese Fassung wurde auch für alle Versionen von »Unterm Rad« genutzt, bis Hesse ihn für die Veröffentlichung seiner Werke nach dem Krieg 1951 noch einmal überarbeitete (ebd.). Zwar sind nach wie vor alle drei Fassungen erhältlich, ihre Unterschiede werden in der Literaturwissenschaft aber eher selten studiert (ebd.). Generell scheinen Akademiker die Ansicht zu teilen, dass die früheren Fassungen des Romans deutlich polemischer und politischer sind als die spätere Nachkriegsfassung (ebd.). 

Der Titel des Romans basiert auf den Worten, die der Ephorus des Seminars an Hans richtet (ebd.): »Nur nicht matt werden, sonst kommt man unters Rad« (S. 100). Eine Ermahnung, dass Hans schulische Leistungen nicht nachlassen sollten. Für Hans stellt das Rad etwas Bedrohliches dar. Es steht für die hohen Anforderungen der Schule an ihn, die seinen eigenen Ehrgeiz auf eine für ihn ungesunde Ebene bringen, und ihn letztendlich »unters Rad« treiben werden (Patzer, 2013).

Veröffentlicht am 15. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2023.