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Unterm Rad

Sprache und Stil

Der Roman wird aus einer auktorialen und allwissenden Perspektive erzählt. Der Erzähler zeichnet sich durch zwei distinktive Eigenschaften aus: zum einen durch seine detaillierte Analyse des Handlungsgeschehens sowie der Romanfiguren, zum anderen durch seine Ironie.

Die analysierenden Tendenzen treten gleich in den ersten Absätzen des Romans hervor, wo Herr Joseph Giebenrath und Hans Giebenrath vorgestellt werden. Die beiden Figuren werden jedoch nicht einfach nur vorgestellt, sondern regelrecht einer psychologischen Analyse unterzogen. Der Erzähler beschreibt Hans’ Vater folgendermaßen: »Sein inneres Leben war das des Philisters. Was er etwa an Gemüt besaß, war längst staubig geworden und bestand aus wenig mehr als einem traditionellen, barschen Familiensinn, einem Stolz auf seinen eigenen Sohn und einer gelegentlichen Schenklaune gegen Arme.« (S. 5) Auch Hans wird gründlich analysiert, insbesondere sein familiärer Hintergrund und das Umfeld, in dem er aufgewachsen ist.

Jedoch reicht dies dem Erzähler noch nicht aus. Auch das Klima im Dorf und seine Entwicklung wird an mehreren Stellen gewissenhaft auseinandergenommen, beispielsweise hier: »Ein feiner und modern geschulter Beobachter hätte, sich an die schwächliche Mutter und an das stattliche Alter der Familie erinnernd, von Hypertrophie der Intelligenz als Symptom einer einsetzenden Degeneration sprechen können.« (S. 6) Im Laufe des Romans wird der Erzähler zahlreiche solcher Analysen durchführen. Auf diese Weise macht er seinen Lesern die Geschichte um Hans viel greifbarer und verständlicher, als es ein Erzähler täte, der seinen Lesern keine derartigen Einblicke in die Psyche der Figuren gewährt. 

Ebenfalls beachtenswert ist die Ironie, die sich wie ein roter Faden durch den gesamten Text zieht: »Ein Schulmeister hat lieber zehn notorische Esel als ein Genie in seiner Klasse, und genau betrachtet hat er ja recht, denn seine Aufgabe ist es nicht, extravagante Geister heranzubilden, sondern gute Lateiner, Rechner und Biedermänner.« (S. 97) Diese Passage ist ganz offensichtlich eine Kritik an den strengen Praktiken des Schulsystems zu Hesses Zeiten (siehe auch: Interpretationsansätze), die keine Abweichungen zulassen. Anstatt dieses System jedoch direkt zu kritisieren, nutzt der Erzähler eine subtilere Art und Weise, seine Kritik zum Ausdruck zu bringen: Ironie. 

Auffällig am Erzählstil ist auch der häufige Gebrauch von Gegensätzen (Patzer, 2013). Häufig stellt Hesse Personen einander als solche gegenüber. Hans und Hermann beispielsweise beschreibt der Erzähler als gegensätzliches Freundschaftspaar: 

    Es gab auch ungleiche Paare. Für das ungleichste galten Hermann Heilner und Hans Giebenrath, der Leichtsinnige und der Gewissenhafte, der Dichter und der Streber. Man zählte zwar beide zu den Gescheiten und Begabtesten, aber Heilner genoß den halb spöttisch gemeinten Ruf eines Genies, während der andere im Geruch des Musterknaben stand. (S. 78)

Hans gilt als der disziplinierte Musterschüler, Hermann als freies Genie (Patzer, 2013). Aber auch nicht-personenbezogene Gegensätze lassen sich finden, so wird die Freiheit der Natur beispielsweise als Kontrast zur Strenge der Schule konstruiert. Der Roman enthält dadurch einige antithetische Elemente, die auch sprachlich hervorgehoben werden. In der oben zitierten Passage verdeutlicht beispielsweise ein Parallelismus (der Leichtsinnige und der Gewissenhafte, der Dichter und der Streber) die Gegensätzlichkeit der beiden Freunde. 

Zur stilistischen Anreicherung seines Textes bedient sich Hesse auch zahlreicher Metaphern. Bereits der Titel des Romans hat eine metaphorische Bedeutung und auch im Laufe des Textes treten immer wieder Metaphern und Vergleiche auf. So küsst Emma Hans, als wolle sie ihm »das Leben austrinken« (S. 150) und Hermann zieht einen Vergleich zwischen der Odyssee und einem Kochbuch (S. 73).

Veröffentlicht am 15. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 15. April 2023.