Skip to main content

Maria Stuart

Prüfungsfragen mit Lösungen

  • Welche formalen und inhaltlichen Elemente weisen »Maria Stuart« als musterhaft für das klassische ästhetische Programm Goethes und Schillers aus?

    Zu nennen wären unter anderem die durchgehende Versform, die rhetorische Stilisierung der Rede, das mit Ausnahme untergebener Dienerschaft ausschließlich aus dem Hochadel rekrutierte Personal, die Konfliktthemen (Staatsangelegenheiten und Liebe), die strenge Behandlung von Ort und Zeit: nur zwei Schauplätze, nur drei Tage, nur zwei Schauplatzwechsel innerhalb von Aktgrenzen. Wie die im Abschnitt 6 zitierte Briefstelle zeigt, stand die Konzentration auf die Zeit von der Urteilsverkündung bis zur Hinrichtung am Beginn von Schillers Konzeption des Stücks.

  • Nennen Sie die verschiedenen Ebenen, auf denen der Konflikt zwischen Maria und Elisabeth ausgetragen wird und skizzieren Sie ihre Gewichtung im Laufe des Stücks.

    Der Konflikt hat eine außenpolitische, konfessionelle, dynastische, juristische und erotische Dimension. Viel Raum nimmt im ersten Akt die juristische Dimension ein, im zweiten und dritten Akt dringt die erotische Dimension in den Vordergrund. Für Elisabeth spielen die dynastische, die außenpolitische und die erotische Dimension eine Rolle. Im vierten Akt treten gegenüber dem höfischen Machtkampf und der Verfahrensseite der Entscheidungsfindung die inhaltlichen Dimensionen zurück, wiewohl Burleigh nicht müde wird, Elisabeth die außenpolitischen und konfessionellen Konsequenzen einer Begnadigung Marias vor Augen zu rücken. Im fünften Akt entzieht sich Maria durch die Umdeutung ihres Todes dem Konflikt.

  • Der Standardvers des Stückes ist der reimlose Blankvers. Was bedeutet es, wenn an verschiedenen Stellen dennoch gereimt wird?

    Die gereimten Szenen- und Aktschlüsse folgen der literarischen Tradition Shakespeares und dienen der dramaturgisch wirksamen Pointierung des Bühnengeschehens. Gereimte Passagen innerhalb von Szenen scheinen eine besondere Ergriffenheit der redenden Figuren anzuzeigen. Gewiss gilt dies für Mortimer, der ohnehin zum schwärmerischen Überschwang neigt, und für Maria, die zu Beginn des dritten Akts sogar das Metrum wechselt. Etwas schwieriger zu bewerten sind die Reime im Dialog Mortimers und Marias gegen Ende des dritten Akts, im Monolog Leicesters während Marias Hinrichtung und in den formell dem kirchlichen Ritus entsprechenden Reden Melvils. Es handelt sich aber zweifellos jeweils um herausgehobene Momente innerhalb des Dramas.

  • Skizzieren Sie die kausale Struktur der in »Maria Stuart« entfalteten Handlung.

    Der Tod Maria Stuarts steht am Ende. Diesen zu befördern und zu verhindern, gibt es je zwei Pläne: Vollstreckung des aus dem Prozess hervorgegangenen Todesurteils, heimliche Ermordung; Versöhnung mit Elisabeth, gewaltsame Befreiung. Beide Pläne, ihn zu verhindern, werden im ersten Akt vorgestellt, im zweiten vorangetrieben und im dritten ausgeführt – beide scheitern. Beide Pläne, ihn zu befördern, werden im ersten Akt vorgestellt. Die Voraussetzung für die Urteilsvollstreckung ist ab dem ersten Akt gegeben, aktiv betrieben wird aber zunächst die heimliche Ermordung. Dieser Plan scheitert zweifach an der Wahl des Mörders – der erste will morden, der zweite sagt nur, er wolle morden, ist aber eigentlich ein Verschworener der anderen Partei. Das Scheitern der Pläne zur Verhinderung von Marias Tod bewirkt einen Umschlag bei der Gegenpartei: aktiv vorangetrieben wird nun, im vierten Akt, die Urteilsvollstreckung. Sie wird im fünften Akt ausgeführt.

  • Zeigen Sie auf, inwiefern Schillers symmetrische Anordnung der Handlung der Gegenüberstellung von Maria und Elisabeth dient.

    Der zweite und der vierte Akt sind in der Tektonik eines klassischen Dramas die eher untergeordneten, aber auch die dynamischeren, treibenden Akte. Im zweiten Akt werden die in der Exposition angelegten Handlungselemente entwickelt, im vierten Akt überstürzen sich die sich aus dem Glücksumschlag des dritten Akts ergebenden Konsequenzen. In den äußeren Akten hingegen besteht die Gelegenheit zur ruhigen Entfaltung einer Stimmung und einer Persönlichkeit. Elisabeth ist die im höfischen Spiel getriebene, Maria die in sich ruhende Figur. Auf der Symmetrieachse des dritten Akts stoßen beide aufeinander.

  • Zeigen Sie auf, inwiefern auch das Personal nach seinen Funktionen symmetrisch geordnet ist.

    Es stehen sich zwei gleichrangige Figuren, zwei Königinnen gegenüber (Maria, Elisabeth). Ihnen zugeordnet sind je ein Liebhaber, der auch zur Gegenspielerin zwielichtige Beziehungen unterhält (Mortimer, Leicester), und je zwei Begleitfiguren (Shrewsbury und Burleigh bei Elisabeth, Kennedy und Melvil bei Maria).

  • Zeigen Sie in einer Gegenüberstellung, wie Maria und Elisabeth ihr königliches Amt und ihre Weiblichkeit ins Verhältnis setzen.

    Maria lebt ihre Weiblichkeit in ihrem Amt aus, wird dadurch auch im politischen Verständnis verführbar und büßt ihre Macht letztlich ein. Dafür behält sie ein unverstelltes Verhältnis zu ihren eigenen Gefühlen.

    Elisabeth unterdrückt ihre Weiblichkeit vor allem für das öffentliche Bild von ihr, und lebt sie nur verdeckt nach den Maßgaben des höfischen Machtspiels aus. Ihre unterdrückte Triebnatur macht sie anfällig für Manipulationen und in bestimmten Konstellationen unfähig zu politischer Rationalität. In dem Versuch, die in Maria personifizierte Bedrohung ihrer Person durch ihre unterdrückte Triebnatur zu vernichten, zerstört sie für sich jede Aussicht auf ein menschliches Glück. Dafür behält sie ihre Macht.

  • Rekonstruieren Sie den Eklat am Ende der Begegnung zwischen Elisabeth und Maria.

    Maria macht ein erstes, echtes Zugeständnis, wenn sie ihre abermalige Aufforderung, sie zu begnadigen, mit der Erklärung unterfüttert, sie werde ihren Anspruch auf den englischen Thron aufgeben (V. 2379). Elisabeth geht auf dies Zugeständnis nicht ein, sondern reagiert mit einer auf den erotischen Bereich zielenden Schmähung: In einer etwas umständlichen Wendung beschimpft sie sie als Hure (V. 2417 f.). Marias Gegenangriff bleibt zunächst im erotischen Bereich, wenn sie ihre öffentlichen, eingestandenen Verfehlungen dem verborgenen Triebleben Elisabeths gegenüberstellt. Indem sie die wegen Ehebruchs hingerichtete Mutter Elisabeths ins Spiel bringt, kann sie ihre Entgegnung ins Politische wenden und ihr so die volle Durchschlagskraft geben. Sie reformuliert ihren Anspruch auf den englischen Thron und tituliert Elisabeth als usurpatorischen Bastard.

  • Bewerten Sie die juristische Dimension der Auseinandersetzung.

    Maria macht gegenüber Burleigh folgende Punkte geltend:
    - Sie fordert, von Ebenbürtigen gerichtet zu werden – das wären nur Personen königlichen Ranges.
    - Als schottische Königin könne sie durch ein englisches Gericht nicht verurteilt werden.
    - Die Richter hätten in der Vergangenheit bewiesen, dass sie nach dem politischen Vorteil richten.
    - Das Gesetz, auf dessen Grundlage sie verurteilt werden solle, sei eigens für ihren Fall geschaffen worden, somit die Trennung von Gerichtsbarkeit und Gesetzgebung nicht gewahrt.
    - Die Belastungszeugen seien ihr nicht gegenübergestellt worden, wie es die Verfahrensregeln eigentlich vorsehen.

    Gegenüber all diesen Punkten hat Burleigh wenig vorzubringen und Paulet gibt die Rechtmäßigkeit ihrer Beschwerden zu. Elisabeth gesteht selbst ein, das Gerichtsverfahren nur zur Wahrung des Scheins eingerichtet zu haben und bezeichnet die Beseitigung Elisabeths trotz der gültigen Verurteilung als »unvermeidliche | Gewalttat« (V. 3202 f.). Der Einschätzung Marias, »nicht vom Rechte, von Gewalt allein | [sei] zwischen [ihr] und Engelland die Rede« (V. 957 f.), ist also zuzustimmen.

  • Schiller hat die französische Brautwerbung in die Zeit von Marias Hinrichtung verlegt. Erläutern Sie ihre Funktionen für das Stück.

    Die Gespräche mit den französischen Gesandten im diplomatischen Ton bilden zu Beginn des zweiten Akts die große politische, ja die europäische Öffentlichkeit ab. Elisabeth erscheint dort in der Fülle ihrer Macht und somit in größtmöglichem Kontrast zur gefangenen Maria des ersten Akts (V. 1113 f.: »Sie geht | Ins Brautgemach, die Stuart geht zum Tode.«). Der zweite Akt stellt Elisabeth nacheinander in den verschiedenen höfischen Kontexten vor: Von der großen diplomatischen Bühne über die Beratung im Kreis ihrer Großen, die Begrüßung eines heimgekehrten Höflings bis zum erotisch gefärbten Zwiegespräch mit ihrem Favoriten. Es braucht also einen besonders pompösen, feierlichen Auftakt.

    Ferner bekommt Elisabeth durch die Brautwerbung Gelegenheit, über das Ehe-Thema, ihr Amtsverständnis und ihren Wunsch nach ewiger Jungfräulichkeit zu sprechen – wichtige Passagen für diesen Themenbereich.

    Schiller bindet das Scheitern der Brautwerbung an das Scheitern des Attentats auf Elisabeth und die darauffolgende Entdeckung der von dem französischen Gesandten protegierten Verschwörung. Er maximiert dadurch die Wirkung des im dritten Akt erfolgenden Handlungsumschlags.

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.