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Maria Stuart

V, 11-15

Zusammenfassung

(V/11)
Elisabeth wartet in London voller Unruhe auf Nachrichten. Sie weiß noch nicht, ob der Vollstreckungsbefehl, den sie unterzeichnet hat, wirklich ausgeführt wird, ob Leicester und Burleigh, die sie zu Vollstreckern des Urteils ernannt hatte, aus London abgereist sind. Offenbar hat sie nach ihnen geschickt.

(V/12)
Ein Page teilt ihr mit, Burleigh und Leicester seien nicht in London, sie seien früh am Tag ohne Auskunft abgereist. Jetzt hält Elisabeth den Befehl für vollstreckt, Maria für tot. Freude, zugleich auch Schrecken überfallen sie. Sie schickt nach Davison und Shrewsbury.

(V/13)
Shrewsbury sucht die Königin auf, weil er den Tag über die beiden Belastungszeugen Kurl und Nau im Gefängnis besucht hat. Kurl hat im Tower ein Gerücht von der Hinrichtung Marias vernommen. Als Shrewsbury ihm das Gerücht bestätigt und ihm mitteilt, dass sein Zeugnis bei der Verurteilung maßgeblich gewesen sei, widerruft Kurl in einem Anfall von Raserei sein Zeugnis, ja er schreit seinen Widerruf auf die Gassen zum Volk herab. Shrewsbury plädiert dafür, den Prozess neu aufzurollen und Elisabeth pflichtet ihm bei.

(V/14)
Sie lässt Davison rufen und verlangt von ihm den unterzeichneten Vollstreckungsbefehl zurück. Sie suggeriert, sie habe mit der Unterzeichnung nur Zeit gewinnen wollen und ihm den Befehl in Verwahrung gegeben. Sie droht Davison mit dem Tod, sollte der Befehl schon ausgeführt worden sein.

(V/15)
Burleigh bringt die Nachricht von Marias Hinrichtung. Elisabeth verbannt ihn, weil er, ohne noch einmal ihren Willen zu erfragen, den Befehl umgesetzt habe. Davison setzt sie in Haft, sie möchte ihn anklagen lassen. Shrewsbury allein soll als Ratgeber und Freund bei ihr bleiben, er aber verlässt sie. Als sie Leicester rufen lässt, gibt Kent Nachricht von dessen Abreise nach Frankreich. Sie behält ihre Fassung.

Analyse

Leicesters Zurückbleiben auf der Bühne im zehnten Auftritt diente auch der Überleitung zur letzten Szenengruppe des Stücks, die noch einmal Elisabeth und ihrer Partei gewidmet ist.

Tatsächlich weiß Elisabeth von der Vollstreckung des von ihr unterzeichneten Urteils noch im Laufe des Hinrichtungstages nichts. Sie hatte wirklich Davison den Befehl übergeben und von Burleighs Erscheinen und davon, dass er den Befehl an sich genommen hat (in IV/12), nichts erfahren. Sie kann nach dem Stand der Dinge nicht direkt fragen, weil sie dann ihre Absicht offenlegen müsste, was zu vermeiden gerade ihre Absicht war. Wonach sie fragen kann, sind Indizien. Wenn Burleigh und Leicester, die sie zu Urteilsvollstreckern ernannt hatte, aus London abgereist sind – so sagt sie sich –, dann wird Maria hingerichtet. Nach den beiden Lords zu fragen, ist unverfänglich. Sie tut es und erhält die gewünschte Antwort. Ihr spontaner Ausruf – »Ich bin Königin von England!« (V. 3894) – beweist, wie ernst sie die dynastische Bedrohung durch Maria genommen hatte. Wie bei der Unterzeichnung des Hinrichtungsbefehls erschrickt sie aber auch. Sie tröstet sich damit, für ihren Tod nicht zur Verantwortung gezogen werden zu können. Trauer um Maria werde sie schon heucheln können.

Warum sie dann – noch bevor die Hinrichtung öffentlich bekannt geworden ist also – Shrewsbury und Davison rufen lässt, kann nur spekuliert werden. Shrewsbury hat die Initiative, er ist eigenständig zu ihr gekommen, weil Kurl in seiner Gegenwart sein Zeugnis widerrufen hat und er zu einer Wiederaufnahme des Prozesses rät. Jetzt kann Elisabeth ihren in IV/11 errungenen taktischen Vorteil voll ausspielen. Davison wird geopfert, aber auch Burleigh. Sie wünscht sich Shrewsbury und Leicester an ihre Seite – gerade die beiden, die von Marias Persönlichkeit beeindruckt worden waren. Auf dieser Seite erringt sie keinen Triumph, beide wenden sich von ihr ab.

Wenn Shrewsbury ihr attestiert, sie habe »von nun an | Nichts mehr zu fürchten, brauch[e] nichts mehr zu achten« (V. 4030 f.), geht die Verbindung zu Elisabeths Entscheidungsmonolog im zehnten Auftritt des vierten Akts. Shrewsbury verlässt sie, weil er sie moralisch nicht mehr achtet, ihr moralisches Verhalten verdankte sich aber, wie aus ihrem Monolog hervorging, ohnehin nur der Notwendigkeit, sich die Volksgunst zu erhalten. Wenn sie mit dem Tod Marias diesen Zwang losgeworden ist, wenn sie ab jetzt frei und ohne Furcht regieren kann, dann hat sie ihr wesentliches Ziel erreicht. Glücklich ist sie dabei aber nicht und von dem Frieden, den Maria zuletzt gefunden hat, weit entfernt.

Die Isolation Elisabeths am Ende (Marias Hofstaat fand zusammen, Elisabeths verstreut sich) findet kompositorischen Niederschlag in der Isolation der letzten Szenengruppe. So reich verknüpft die ersten zehn Auftritte des Akts mit dem Rest des Stückes waren, so dürr und für sich stehen die letzten fünf da. Eine deutliche Verbindung in Ton und Motivik gibt es nur mit den letzten beiden Auftritten des vierten Akts. Besonders charakteristisch für die beiden Aktschlüsse ist der Verzicht auf gereimte Verse an ihrem Ende.

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.