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Maria Stuart

Zitate und Textstellen

  • Was macht Ihr, Sir? Welch neue Dreistigkeit! | Zurück von diesem Schrank! Paulet: Wo kam der Schmuck her?
    – Kennedy V. 1-2

    Schiller wählt für seine Tragödie einen Anfang, der, dass er ein Anfang ist, mit allen Mitteln zu verbergen sucht. Der Zuschauer findet sich, wenn der Vorhang sich das erste Mal öffnet, in einem Streit wieder, der schon begonnen hat, einem Streit um eine Durchsuchung, die bereits im Gange ist. Die Repliken sind kurz und ganz auf das aktuelle Bühnengeschehen bezogen – das Gegenteil von einem die Vorgeschichte oder den Kontext der Handlung erläuternden Prolog, wie er noch in der Renaissance-Tragödie üblich war. Charakteristisch für diese Art Anfang sind Fragen, Ausrufe, Aufforderungen, Deiktika (»diesem Schrank«) und bestimmte Artikel (»der Schmuck).

  • Ermorden lassen kann sie mich, nicht richten! | Sie geb es auf, mit des Verbrechens Früchten | Den heilgen Schein der Tugend zu vereinen, | Und was sie ist, das wage sie zu scheinen!
    – Maria V. 971-974

    Das lange Streitgespräch zwischen Maria und Burleigh bildet den Höhepunkt des ersten Akts, es ist die erste direkte Auseinandersetzung Marias mit einem ihrer Gegner. Das Gespräch endet mit diesen kraftvollen Sätzen, zu denen sie in ihrer letzten, etwas längeren Replik (ab V. 961) ausholt. Die Dynamik ähnelt somit etwas der Dynamik des Abschlusses ihres Gesprächs mit Elisabeth im dritten Akt (III/4). Nachdem Maria ausführlich auf die juristische Dimension ihres Konflikts mit England eingegangen ist, zeigt dies Schlusswort, wie gut sie Elisabeth und ihr Dilemma durchschaut. Tatsächlich ist das, was sie fordert – dass Elisabeth den Schein der Tugend aufgeben und sich zu der Gewalttat bekennen möge, die ihre, Marias Ermordung auf jeden Fall sei –, das, was Elisabeth am schwersten fällt. Die Stelle kann direkt gegen die Selbstauskünfte Elisabeths gehalten werden, etwa gegenüber Mortimer (II/5, vor allem V. 1597-1599) und in ihrem Entscheidungsmonolog (IV/10).

  • Hat die Königin doch nichts | Voraus vor dem gemeinen Bürgerweibe! | Das gleiche Zeichen weist auf gleiche Pflicht, | Auf gleiche Dienstbarkeit – Der Ring macht Ehen, | Und Ringe sinds, die eine Kette machen.
    – Elisabeth V. 1207-1211

    In der Auseinandersetzung mit den französischen Gesandten, die auf eine Zusage zu der Ehe mit dem Bruder des französischen Königs drängen, gibt Elisabeth am ausführlichsten über ihr Selbstverständnis als Königin, über ihr Verhältnis zu ihrem eigenen Geschlecht Auskunft. Dabei sind ihre Aussagen mehrfach zu relativieren. Innerhalb des Stückes widerlegt ihr Verhalten gegenüber Mortimer und Leicester, dass sie »wie ein Mann« (V. 1171) regierte, wie sie hier behauptet, dass also ihr Amtsverständnis eine völlige Unterdrückung ihrer weiblichen Natur bedinge. Leicester hat sie immerhin zehn Jahre hinzuhalten gewusst und Mortimer macht sie erotisch gefärbte Versprechungen. Außerdem ist ihre Rivalität mit Maria nicht zuletzt eine erotische Rivalität um Leicester. Dass Maria sie so sehr herausfordert, liegt auch daran, dass sie, Maria, ihre Weiblichkeit trotz ihres königlichen Ranges voll ausgelebt hat (V. 1974-1977). Die zitierte Stelle nun gibt noch zu einer zweiten Relativierung Anlass: Wenn Elisabeth behauptet, die Ehe mit dem Bruder des französischen Königs würde sie ihrem Ehemann untertan machen wie das gemeine Bürgerweib ihrem Gatten, dann überträgt Schiller das bürgerliche Eheverständnis seiner Zeit auf die Hochadelsgesellschaft des sechzehnten Jahrhunderts. Tatsächlich hätte die Königin in der hauptsächlich diplomatisch verstandenen Ehe weit mehr Freiheiten besessen als das Zitat suggeriert.

  • Das Urteil ist gesprochen. Was gewinn ich? | Es muß vollzogen werden, Mortimer! | Und ich muß die Vollziehung anbefehlen. | Mich immer trifft der Haß der Tat. Ich muß | Sie eingestehn, und kann den Schein nicht retten. | Das ist das Schlimmste!
    – Elisabeth V. 1594-1599

    Das Zitat fasst die Situation des Stückes zusammen: Das Urteil ist gesprochen – es muss vollzogen werden. Tatsächlich erstrecken sich die drei Tage Handlungszeit von der Urteilsverkündung an Maria bis zu dem Tag ihrer Hinrichtung.

    Gleichzeitig wird hier das erste Mal Elisabeths eigentliches Dilemma enthüllt. Es ist kein moralisches Dilemma, wie sie zuvor gegenüber Burleigh suggerierte – als habe sie zur Vollstreckung des Urteils ein zu weiches Herz. Ihre Schwäche rührt nicht daher, dass sie vor der Gewalttat zurückschreckte, sondern allein aus der Angst vor dem Machtverlust: Sie fürchtet, den Anschein von Tugend preisgeben zu müssen, dem sie ihre Macht zu verdanken glaubt. Inwieweit ihr Manöver am Ende des Stückes Erfolg hat, die Verantwortung für die Urteilsvollstreckung doch noch auf Davison und Burleigh abzuwälzen und den Schein zu retten, bleibt offen. Der Zuschauer wird von der langen, erfolgreichen Regentschaft Elisabeths nach der Hinrichtung Marias wissen.

  • Regierte Recht, so läget Ihr vor mir | Im Staube jetzt, denn ich bin Euer König.
    – Maria V. 2450 f.

    Das durchschlagende Schlusswort in der zentralen Begegnung des Stückes zwischen Maria und Elisabeth in der vierten Szene des dritten Akts. Nachdem Elisabeth die um Gnade bittende Maria als Hure beleidigt hat (V. 2417 f.), gipfelt der Gegenangriff Marias in einer abermaligen Behauptung ihres Thronrechts. Zur Erinnerung: Elisabeth war als Tochter Anne Boleyns aus der Erbfolge ausgeschlossen worden, nachdem diese wegen vermeintlichen Ehebruchs hingerichtet worden war. Außerdem ist die Scheidung ihres Vaters von seiner ersten Frau von katholischer Seite her nie anerkannt worden, somit auch nicht die Ehe mit Anne Boleyn. Die katholische Partei hat deshalb einen gewichtigen Grund mehr, Elisabeths Regentschaft für eine Entweihung des englischen Throns zu halten. Solange Maria diese Position so offensiv vertritt wie an dieser Stelle, stellt sie für Elisabeth diejenige existenzielle Bedrohung dar, die sie beseitigen muss. Allerdings hatte Maria in dem Gespräch kurz zuvor ihren Anspruch auf den englischen Thron aufgegeben. Auf dieses Angebot ist Elisabeth nicht eingegangen – stattdessen folgte die empfindliche Beleidigung.
    Das Schlusswort ist in dem Gespräch selbst zweifach vorbereitet worden (V. 2257-2260, 2398-2402) und findet noch im fünften Akt ein spätes Echo (V. 3665-3668).

  • Ich rette dich, ich will es, doch sowahr | Gott lebt! Ich schwörs, ich will dich auch besitzen.
    – Mortimer V. 2547 f.

    Mortimer richtet diese Worte an Maria, als er sie, hingerissen von der Überlegenheit, die sie gegenüber Elisabeth soeben bewiesen hatte, von seinem gewaltsamen Befreiungsplan überzeugen möchte und bei ihr auf zunehmenden Widerstand stößt. Tatsächlich verdeutlicht die Stelle die eigenartige Ökonomie seiner leidenschaftlichen Liebe. Die vollkommene Unterwerfung unter die Frau in der Phase der Werbung, seine Bereitschaft, für ihre Befreiung alles, auch seinen Ziehvater und Onkel, zu opfern, ist in Wirklichkeit an die Erwartung geknüpft, dass die Frau sich anschließend ihm unterwerfe, dass er sie als Objekt seiner Begierde besitzen kann. Wie weit Mortimer in dieser Richtung geht, zeigt sich im Fortgang der Szene nicht nur daran, dass er tatsächlich handgreiflich zu werden droht, sondern vor allem an den Argumenten, die er zu ihrer Überzeugung vorbringt: Er führt ihre vergangenen, moralisch zweifelhaften Liebesbeziehungen an, um ihr das Recht, sich ihm jetzt zu verweigern, abzusprechen. Mit anderen Worten: Er sieht sie nicht als in Liebesdingen freie Person an.

  • O der ist noch nicht König, der der Welt | Gefallen muß! Nur der ists, der bei seinem Tun | Nach keines Menschen Beifall braucht zu fragen.
    – Elisabeth V. 3197-3199

    In diesen Worten ihres Entscheidungsmonologs (IV/10) drückt sich Elisabeths innigster Wunsch aus, frei regieren zu können, sie formuliert aber auch ein Kriterium zur Beurteilung des übrigen dramatischen Personals. Tatsächlich bleibt die Frage, wozu Elisabeth ihre Freiheit denn gerne nutzen würde. Burleigh rät ihr im vierten Auftritt des zweiten Akts: »Raube dir nicht selbst | Die Freiheit, das Notwendige zu tun.« (V. 1552 f.) Die Notwendigkeit, von der er spricht, ist die Notwendigkeit der Staatsräson, doch auch ihr scheint Elisabeth sich nicht unterwerfen zu wollen, auch Burleigh verbannt sie am Ende des Stückes. Paulet verpflichtet sein Gewissen, so kann er Burleigh ohne weiteres abweisen, als dieser ihn mit der Ermordung Marias beauftragt. Mortimer entgegnet Elisabeth, als diese von ihrem Dilemma berichtet, ganz einfach: »Was bekümmert dich | Der böse Schein, bei der gerechten Sache?« (V. 1599 f.) Er zeigt sich für die gerechte Sache – oder das, was er dafür hält – zu sterben bereit. – Gegenüber diesen Festlegungen auf ein höheres Prinzip scheint die Freiheit, die Elisabeth anstrebt, also eigenartig leer.

  • Und dieses Blatt – Nehmt es zurück – Ich legs | in Eure Hände.
    – Elisabeth V. 3264 f.

    Das Stück ist auch ein Stück über das Zustandekommen einer Entscheidung. Im ersten Akt schien es noch, als würde der Prozessausgang über Marias Schicksal entscheiden. In der Beratung mit Burleigh, Leicester und Shrewsbury behandelt Elisabeth die Frage aber wieder völlig offen. Dann scheint die Entscheidung über die Frage, ob Elisabeth Maria persönlich begegnen soll, die Frage nach ihrer Begnadigung oder Hinrichtung vorzuentscheiden: Sobald sie sich ihr persönlich genaht habe, könne sie sie nicht mehr hinrichten lassen. Es ist auch unklar, ob Maria in der Begegnung überhaupt eine Möglichkeit gehabt hätte, Elisabeth umzustimmen. – Das gescheiterte Attentat scheint dann den Mechanismus in Gang zu bringen, den Leicester vorgeschlagen hatte (V. 1452-1454: »Sie lebe – aber unterm Beile | Des Henkers lebe sie, und schnell, wie sich | Ein Arm für sie bewaffnet, fall es nieder.«), aber wieder zögert Elisabeth. Dann unterschreibt sie den Vollstreckungsbefehl – und übergibt ihn mit zweideutigen Anweisungen an Davison (darunter das Zitat). Davison bleibt mit dem Befehl hilflos zurück, Burleigh ergreift ihn und bringt ihn zur Ausführung. Wer hat nun entschieden, wer trägt die Verantwortung?

  • Was klagt ihr? Warum weint ihr? Freuen solltet | Ihr euch mit mir, daß meiner Leiden Ziel | Nun endlich naht, daß meine Bande fallen, | Mein Kerker aufgeht, und die frohe Seele sich | Auf Engelsflügeln schwingt zur ewgen Freiheit.
    – Maria V. 3480-3484

    Mit diesen Worten begrüßt Maria die um sie versammelten, um sie klagenden Diener und Freunde am Morgen ihrer Hinrichtung. Ihr Auftritt erinnert an ihren ersten Auftritt in der Tragödie, in der sie mit ähnlich gelassener Souveränität die um sie entstandene Aufregung zu beruhigen sucht (V. 154-156: »Beruhige dich, Hanna. Diese Flitter machen | Die Königin nicht aus. Man kann uns niedrig | Behandeln, nicht erniedrigen.«). Sie drückt die Haltung aus, die sie in der Nacht zuvor, als ihre Hinrichtung gewiss wurde, in einem Moment gefunden hatte (V. 3402-3408). Verbindungen gibt es außerdem zum Beginn des dritten Akts. Dort berauschte sie, weil sie das erste Mal aus ihrer Haft in die Natur gelassen worden war, die Illusion irdischer Freiheit. Nun geht sie in ihrem Kerker der ewigen Freiheit entgegen.

  • Der Lord läßt sich | Entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich.
    – Kent V. 4031 f.

    Der Schluss des Dramas gibt den Preis an, den Elisabeth für ihre durch den Tod Marias gewonnene Freiheit zu zahlen hat. Davison und Burleigh musste sie opfern, um die Verantwortung für die Hinrichtung von sich abzuwälzen. Shrewsbury verlässt sie seinerseits, weil sie aufgrund dieses Manövers seine moralische Achtung verliert. Leicester setzt sich, wohl unter dem Eindruck von Marias Hinrichtung und ihrer letzten Worte an ihn, nach Frankreich ab, dem Land also, in dem, nach Marias eigener Aussage, ihr Herz immer gewesen ist (V. 3779 f.) und in dem sie ihr leibliches Herz begraben wissen will. Verloren hat Elisabeth also ihren klügsten (Burleigh) und ihren menschlichsten und ältesten Ratgeber (Shrewsbury) sowie ihren Geliebten (Leicester) – all die Großen, mit denen sie sich in der Staatsratsszene über Marias Schicksal beriet. Sie bleibt allein zurück, gestärkt in ihrer Macht und ohne Aussicht auf menschliches Glück. Es handelt sich um einen dürren, prosaischen Schluss, der im Schluss des vierten Akts schon vorbereitet wurde und das formale Element des gereimten Aktschlusses, das in den ersten drei Akten etabliert wurde, gerade vermeidet.

Was macht Ihr, Sir? Welch neue Dreistigkeit! | Zurück von diesem Schrank! Paulet: Wo kam der Schmuck her?

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.