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Maria Stuart

II, 1-4

Zusammenfassung

(II/1)
Im Palast zu Westminster begegnen sich nach einem Hoffest Kent und Davison zum zufälligen Gespräch. Der jüngere Bruder des französischen Königs wirbt mit der Zustimmung des englischen Volks um Elisabeth. Die Verhandlungen sind weit fortgeschritten: England soll nach der Heirat protestantisch bleiben. Elisabeth kann auf einen Thronerben hoffen.

(II/2)
Elisabeth, mit ihrem Gefolge und französischen Botschaftern auftretend, gibt zum Zeichen ihrer baldigen Einwilligung in Frankreichs Heiratsgesuch einen Ring an den französischen Botschafter Bellievre. Dabei zeigt sie sich zögerlich, ja widerwillig. Sie habe gehofft, jungfräulich zu sterben, und sieht in der Ehe vor allem Unterwerfung, die von ihr gefordert werde. Der Botschafter Aubespine knüpft an ihre Einwilligung in die Brautwerbung die Fürbitte für Maria, die Elisabeth von sich weist.

(II/3)
Im engsten Kreis, mit Burleigh, Leicester und Shrewsbury, berät Elisabeth die von Burleigh zugetragene Forderung des Volks nach der Hinrichtung Marias. Burleigh rät ihr die unmittelbare Urteilsvollstreckung, Shrewsbury die Begnadigung, Leicester den Aufschub. Burleigh argumentiert konfessions- und außenpolitisch. Die Gefahr sieht er vor allem in der lothringischen Partei Marias. Shrewsbury relativiert die Geltung des Rechts und das gegen Maria angestrengte Gerichtsverfahren mit Blick auf die Willkür des Monarchen: wenn Elisabeth Maria nur freisetzen wolle, werde sich auch die Rechtsauffassung entsprechend ändern. Seine Verteidigung Marias gerät zu einer Gegenüberstellung von Maria und Elisabeth mit Blick auf ihre Weiblichkeit. Leicester leugnet die Notwendigkeit unmittelbaren Handlungsbedarfes. Man könne getrost das Urteil bestehen lassen und einen nächsten Anlass, einen weiteren, gewaltsamen Befreiungsversuch abwarten, um so gerechtfertigt das Urteil zu vollstrecken.

(II/4)
Der Auftritt von Paulet und Mortimer verzögert die Entlassung des Staatsrates durch Elisabeth. Mortimer wird ihr vorgestellt und bringt Nachrichten aus Frankreich. Paulet überreicht ihr den Brief Marias und die Positionen der drei Berater werden noch einmal deutlich. Burleigh rät strikt gegen die Gewährung einer Audienz, da sie als Königin Maria nicht gegenübertreten könne, ohne sie auch zu begnadigen. Shrewsbury hingegen drängt, in dem Gesuch Marias die Gelegenheit zu ihrer Begnadigung zu ergreifen. Leicester hält beides für vereinbar: sie hinrichten zu lassen, denn dies sei der Weg des Rechts; und sie zu sprechen, denn Elisabeth dürfe ihrem Herzen folgen. Elisabeth zeigt sich von dem allgemeinen Schicksal berührt, das sich in dem Brief ausdrückt. Sie entlässt ihre Berater und hält nur Mortimer zurück.

Analyse

Maria hat in ihrer Auseinandersetzung mit Burleigh gegen Ende des ersten Akts Elisabeth als ihre eigentliche Widersacherin benannt und die Entscheidung über ihr Schicksal von der juristischen auf eine persönliche Ebene gehoben. Sie hat sich gegenüber Burleigh mit juristischen Argumenten virtuos verteidigt, ihr eigener Plan zur Befreiung zielt aber auf eine persönliche, direkte Konfrontation mit der englischen Königin. Insofern ist die Entscheidung über ihr Schicksal trotz des gefällten Gerichtsurteils, auf das zu Beginn gewartet worden war, noch offen. Und wenn nun, im zweiten Akt, Elisabeth in ihrem Wirkungskreis vorgestellt wird, wird der Zuschauer nach Anzeichen für die Einstellung der Königin zu der von ihr zu entscheidenden Frage suchen.

Spannung baut Schiller dadurch auf, dass er die Offenbarung von Elisabeths Haltung hinausschiebt. Wie Maria in ›ihrem‹ Akt – dem ersten – tritt Elisabeth in ›ihrem‹ Akt nicht sofort auf. Davison und Kent prägen eine festlich-höfische Atmosphäre und führen in den Stand der Verhandlungen um die englisch-französische Ehe ein. Bei Hof herrscht Optimismus, der mit der Stimmung in Fotheringhay einen wirkungsvollen Kontrast bildet. Maria galt wegen der außenpolitischen, auch der französischen Bedrohung als Gefahr, und gerade auf dieser Ebene soll Elisabeth ein vorteilhaftes Bündnis gelingen. Die Heirat und die zu erwartenden Nachkommen würden außerdem ihre dynastische Situation stärken. Immerhin hat der Zuschauer durch Mortimer bereits erfahren, dass der französische Botschafter Graf Aubespine ein doppeltes Spiel treibt und die Verschwörung zur Befreiung Marias unterstützt.

Die Zweifel, die Elisabeth an der geplanten Heirat äußert und die sie daran hindern, ihre verbindliche Einwilligung zu geben, sind aber nicht politischer Art, sondern sie berühren ihr Selbstverständnis als weibliche Herrscherin. Ihre Überlegung ist einfach: Der Naturzweck des Weibes, Kinder zu gebären, mache das Weib dem Mann untertan. Wenn sie nun heirate und Kinder zeugen solle, werde sie an dieser allgemeinen Knechtschaft des Weibes Anteil haben, von der sie sich bisher ausnehmen konnte. Zwar sieht sie in der Jungfräulichkeit an sich keine Tugend, und deshalb sei die reformatorische Abkehr vom Zölibat und die Öffnung der Klöster richtig gewesen, sie aber als Königin bedürfe zur Ausübung ihres Amtes ihrer jungfräulichen Freiheit (V. 1155-1184).

Die Frage der Heirat Elisabeths scheint entschieden – offen hingegen die Frage nach dem Schicksal Marias. Sie bringt Burleigh im Staatsrat auf, und sie wird von den drei engsten Beratern auf drei unterschiedliche Weisen beantwortet. Elisabeth scheint sich als Richterin die Plädoyers entscheidungsoffen anzuhören. Sie lobt die Folgerichtigkeit von Burleighs politischer Argumentation, weist aber den Schluss, weil er ihr zu grausam sei, zurück. In Shrewsbury tadelt sie zu große Anteilnahme an Maria, Leicesters Ausführungen kommentiert sie nicht.

Widersprüchlich ist vor allem Shrewsburys Argumentation. Er bestätigt die juristische Auffassung Marias von der Unrechtmäßigkeit des Prozesses und empfiehlt dennoch Elisabeth, sich allein auf ihre königliche Willkür zu stützen – ihr müsse die Rechtsprechung folgen. Er wechselt rasch auf die persönliche Ebene und bezieht wiederholt geschlechtsspezifische Argumente ein: als Frau auf dem Thron sei sie zur Milde verpflichtet (V. 1342-1346). Weibliche Schwachheit entschuldige Marias schottische Verbrechen, denn anders als Elisabeth sei sie an der Entfaltung ihres weiblichen Wesens und ihrer weiblichen Reize nicht gehindert worden. Das Argument stellt eine Kränkung Elisabeths dar, sofern sie, wie sich herausstellen wird, von dieser Seite noch zu kränken ist.

Leicester adressiert in seiner Stellungnahme allein die Gefahr, die von Marias Charisma anlässlich ihrer Hinrichtung noch ausgehen könnte. Er empfiehlt, gegen dies Charisma die Evidenz eines neuen, gescheiterten Befreiungsversuchs in Stellung zu bringen, also darauf zu warten. Die außenpolitische Gefahr, die von ihr ausgeht, sieht er durch den Eheschluss mit Frankreich gebannt. Charakteristisch für sein höfisches Taktieren ist die Unterscheidung zwischen seinen Rollen im Gericht und im Staatsrat, die er Burleighs Einwand gegenüber hervorhebt.

Der Widerstand gegen Burleighs als grausam bezeichneten Rat und nun ihre Reaktion bei der Lektüre von Marias Brief erwecken den Eindruck, Elisabeth sei tatsächlich umzustimmen. Dabei richtet sich ihre Rührung nicht so sehr auf Maria persönlich, sondern auf das Allgemeine ihres Schicksals, den Glückswechsel, der alles Irdische ereilen kann.

Zur Debatte steht unter ihren Ratgebern, was die Gewährung einer Audienz an sich, ungeachtet also des Inhalts der Unterredung, bereits bedeuten müsste. Burleigh und Shrewsbury sind der Auffassung, dass auf sie die Begnadigung notwendig folgen müsste, Leicester bestreitet dies. Das doppelte Spiel Leicesters macht dem Zuschauer seine Einschätzung verdächtig. Die Frage betrifft die zentrale Szene und den Wendepunkt des Dramas und ist deshalb von großer Bedeutung. Letztlich behält Burleigh recht: Elisabeth kann Maria wegen der politischen Zwänge, denen sie unterliegt, nicht begnadigen, und tatsächlich muss die Gewährung der Audienz unter diesen Bedingungen als Affront, als überflüssige Grausamkeit gelten – dies Verständnis hat auch Maria (V. 2386-2402).

Am ersten Auftritt des zweiten Akts lässt sich Schillers Umgang mit historischen Quellen besonders gut darstellen. Die französische Brautwerbung und das Minneturnier, die Übergabe eines Rings, die Verleihung des Hosenbandordens und die französische Fürbitte für Maria – all dies ist historisch belegt, jedoch vor, ja weit vor dem Jahr 1587. Zu dieser Zeit, also 1587, hatte sich Frankreich in Wirklichkeit mit Spanien bereits gegen England verbündet – Brautwerbung und Minneturnier fanden 1581 statt, ebenso die Ringübergabe. 1572 verlieh Elisabeth den Orden einem französischen Marschall und die Fürbitte durch den französischen Gesandten Bellevier erfolgte 1586. Zu notieren ist also die Detailtreue und die Menge der Übernahmen historischer Fakten einerseits, und die Freiheit hinsichtlich ihrer Chronologie andererseits. Leitender Gesichtspunkt ist am Ende die dramatische Wirkung.

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.