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Maria Stuart

Rezeption und Kritik

Die formale Meisterschaft, der streng symmetrische Aufbau und die klassizistische Ausrichtung von »Maria Stuart« sind in der Forschung stets gewürdigt worden, stärker inhaltlich profilierte Auseinandersetzungen mit dem Stück sind aber selten geblieben.

Im neunzehnten Jahrhundert passt keine der Kategorien recht zu dem Stück, mit denen man Schillers Dramatik sonst behandelt. In ihm drückt sich weder ein Bestreben nach nationaler, noch nach bürgerlicher Freiheit aus, wie in den beliebteren Stücken Wilhelm Tell und Kabale und Liebe. Die als autonomes Individuum gestaltete Maria verbietet die Einordnung als antikisierendes Schicksalsdrama, für ein nach Shakespeare gestaltetes Charakterdrama ist aber die Form zu distanzierend und klassizistisch. Auch im frühen zwanzigsten Jahrhundert führt die weltanschauliche einerseits und die, zumal im Nationalsozialismus, verschärft patriotische Ausrichtung der Forschung andererseits zu keiner ergiebigen Befassung mit dem nach wie vor als meisterhaftes Übergangsstück angesehenen Werk.

Erst in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gewinnen die Beiträge an Pointierung und Schärfe. So wendete sich Hannelore Schlaffer 1974 gegen die traditionelle Auffassung des klassischen Schiller, wenn sie den Fokus auf die zeitgenössischen politischen Umstände der Entstehung des Werks lenkte und auf Schillers bürgerliche Position gegenüber der herrschenden, feudalabsolutistischen Gesellschaft. Eine neue Grundlage für die Forschung schafft aber erst der umfangreiche, allein »Maria Stuart« gewidmete Aufsatz von Gert Sautermeister aus dem Jahr 1979, der ästhetische, politische und philosophische Aspekte vor dem historischen Hintergrund der Entstehung des Stücks miteinander verschränkt und erstmals die Geschlechterrollenthematik in eine bedeutende Position rückt.

Die Uraufführung in Weimar am 14. Juni 1800 war ein großer Erfolg, in Berlin wurde das Stück am 8. Januar 1801 zum ersten Mal auf die Bühne gebracht. Die erste Buchausgabe gab es im April, eine englische Übersetzung durch Joseph Charles Mellish auf Grundlage der Handschrift Schillers schon im Mai desselben Jahres, die erste französische Übersetzung folgte 1802. Bis 1817, als Goethe die Theaterleitung in Weimar abgab, wurde das Stück 36 mal aufgeführt, häufiger wurden von Schillers Dramen nur »Don Carlos« (47) und »Wallensteins Tod« (38) gespielt. Diese Zahlen bleiben hinter denen erfolgreicherer Stücke (wie die »Zauberflöte«, die Stücke Kotzebues) immer noch weit zurück.

Aufschlussreich hinsichtlich der ästhetischen Absichten Schillers für die Bühne ist seine Bemerkung zu der Berliner Inszenierung, die 1801 auch in Weimar aufgeführt wurde. Über Berlins berühmte Schauspielerin Friederike Unzelmann schreibt Schiller: »Man möchte ihr noch etwas mehr Schwung und tragischen Stil wünschen. Das Vorurtheil des beliebten Natürlichen beherrscht sie noch zu sehr; ihr Vortrag nähert sich dem Conversationston, und alles wurde mir zu wirklich in ihrem Munde; […].« (Brief an Körner vom 23.9.1801)

Besonders zwei Szenen erregten bereits bei der Uraufführung Anstoß und sollten über weite Strecken des neunzehnten Jahrhunderts kontrovers bleiben: Das ist die Abendmahlsszene, die Schiller für die Bühne rasch kürzte und abmilderte, und Mortimers leidenschaftlicher Zugriff auf Maria im sechsten Auftritt des dritten Akts. Im katholischen Wien sorgten die Abendmahlsszene und die Darstellung der Hinrichtung einer Königin zunächst für ein vollständiges Verbot des Stückes, erst 1814 wurde es auf dem Burgtheater das erste Mal aufgeführt. Im restlichen neunzehnten Jahrhundert blieb »Maria Stuart« hinter den Erfolgsstücken »Die Jungfrau von Orleans« und »Wilhelm Tell« weit zurück und auch in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bleibt es im Repertoire auf mittlerem Rang. Noch im Nationalsozialismus wurde ein Versuch unternommen, das Stück wegen seines freieren Umgangs mit Sexualität und Erotik unter Zensur zu stellen.

Erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bestimmt ein freier Zugriff auf den Text die Inszenierungen und es kommt zu mitunter schrillen inhaltlichen Zuspitzungen. Die Stilhöhe der Tragödie reizt nicht nur Brecht, der die Begegnung der Königinnen im dritten Akt als Streit zweier Fischweiber persifliert hatte, zu parodistischen Brechungen. In vielen Aufführungen wird die politische Dimension zurückgenommen und der private Konflikt grell ausgeleuchtet, Sexualität zum dominierenden Thema. Elisabeth und Maria werden von derselben Schauspielerin oder von besonders alten Schauspielerinnen gespielt, sie erscheinen nackt oder grell geschminkt. Während Mortimer sich leicht zum modernen Terroristen stilisieren lässt, bieten Figuren wie Burleigh oder Leicester weniger Potenzial zur Vereindeutigung. Gerade, was das Stück in den Augen der Forschung ausmacht – die Ausgewogenheit der Komposition, die stilistische Homogenität, die klassizistische Distanzierungsgeste – fällt solchen Zugriffen freilich zum Opfer.

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.