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Maria Stuart

Sprache und Stil

Die Versform

»Maria Stuart« ist vollständig in Versen verfasst. Anders als in den vorangegangenen Stücken Schillers gibt es keine Vorstufen in Prosa.

Die übliche dramatische Sprachform des Theaters war zur Zeit der Entstehung des Stückes die Prosa. In der Versform drückt sich der Willen zu einer idealisierenden, distanzierenden Kunst aus, der sich gegen die Gewohnheiten von Schauspielern und Publikum erst durchzusetzen hatte.

Der Standardvers des Stückes ist der Blankvers, also ein reimloser, regellos kadenzierter, fünfhebiger Jambus nach dem Schema: xXxXxXxXxX(x). Den Blankvers kennzeichnet unter anderem, dass Satzschluss und Versschluss flexibel zueinander ins Verhältnis gesetzt werden können. Möglich ist ein fließendes Übergehen der Versgrenze im Enjambement (Bsp. V. 3680 f.: »Bereuest du die Schuld, und ists dein ernster | Entschluß, versöhnt aus dieser Welt zu scheiden?«), möglich ist aber auch die strikte Anpassung der Sätze an die Verslänge (Bsp. V. 1292-1294: »Kein Friede ist mir ihr und ihrem Stamm! | Du mußt den Streich erleiden oder führen. | Ihr Leben ist dein Tod! Ihr Tod dein Leben!«). Die strengste Anpassung des Satzes an den Vers gibt es in der Stichomythie, in duellhaften Auseinandersetzungen zweier Figuren also, in denen immer Vers auf Vers antwortet. Schiller setzt die aus der antiken Tragödie gut bekannte Form kurz in der ersten Szene ein (V. 39-45) und dann, prominenter, im Dialog Mortimers und Leicesters der Szene II/8 (V. 1870-1880).

Über die Aussprache einiger Wörter gibt ihre Stellung im Blankvers Aufschluss. So wird »Lordmarschall« auf der zweiten Silbe betont (V. 2661), »Aubespine« ist dreisilbig, betont auf der ersten und letzten Silbe (V. 2665), »Inquisitionsgericht« ist siebensilbig, wie auch »Missionen« viersilbig (V. 1275); »Königin« hingegen ist häufig zweisilbig (V. 1891). »Fotheringhay« wäre auf der ersten und vorletzten Silbe zu betonen (V. 1280).

Kleine Unregelmäßigkeiten im jambischen Metrum sind üblich und erhöhen Reiz und Lebendigkeit des Verses. Standard ist die gelegentliche Inversion am Versanfang, dass also auf eine erste betonte Silbe zwei unbetonte Silben folgen (V. 3311-3312: »Du hättest es gesagt? Du hast mir nichts | Gesagt – O, es gefalle meiner Königin, | Sich zu erinnern.« – »Königin« hier wieder zweisilbig; oder V. 2015: »Ja, und was ihre Kränkung bittrer machte«). Gelegentlich gibt es vierhebige Verse (V. 3756 f.: »Ein schön verklärter Engel, dich | Auf ewig mit dem Göttlichen vereinen.«, V. 2819), sogar dreihebige (V. 3463), aber keine sechshebigen.

Schiller etabliert die Rede im Blankvers also innerhalb des Stückes als den unmarkierten, sprachlichen Normalfall. Reime, wenn sie auftreten, haben vor diesem Hintergrund eine hervorhebende, markierende Funktion.

Dem Vorbild Shakespeares geschuldet und bereits im »Wallenstein« erprobt, ist der gereimte Szenen- oder Aktschluss (so markiert werden die Schlüsse der ersten drei Aufzüge, sowie die Schlüsse der Auftritte I/7, II/6, III/1, III/5, III/6, IV/4, V/9). Ist eine solche abschließende Markierung einmal etabliert, kann auch ihr Ausbleiben eine markierende Funktion erhalten. So erscheinen die Schlussworte der letzten beiden Akte besonders schroff und verloren. (V. 3348: »Was macht ihr? Bleibt! Ihr stürzt mich ins Verderben.« Und vor allem V. 4031 f.: »Der Lord läßt sich | Entschuldigen, er ist zu Schiff nach Frankreich.«) Ließe sich auf »verderben« noch leicht ein Reimwort finden, ist »Frankreich« schlicht unreimbar.

Über die im »Wallenstein« erprobte Praxis geht Schiller hinaus, wenn er nun auch innerhalb der Szenen gereimte Passagen einflicht. Nur drei Figuren sprechen so: Maria, Mortimer und Melvil. Markiert werden nicht etwa die für die Intrige zentralen Passagen, sondern Momente besonderen Hingerissenseins, besonderer Rührung, besonderer Feierlichkeit. Die dergestalt Redenden treten aus dem dialogischen Gefüge kurzzeitig aus, ihre Rede wird ungezwungener, ja selbstgenügsam. Der Vergleich mit einer Arie in der Oper liegt nahe.

Mortimer führt die gereimte Rede in einem Monolog ein (II/6). Maria, zu Beginn des dritten Akts, fällt immer dann aus der gereimten Sprache in die des Blankverses zurück, wenn sie sich Hanna zuwendet. Mortimers Schlussworte, kurz vor seinem Selbstmord, weisen durch den Reim ihren absoluten, testamentarischen Charakter aus (IV/4). Melvil reimt im Rahmen der Abendmahlszeremonie (V/8), auch hier als Ausweis des quasi-objektiven, feierlichen Status seiner Rede. Den einzigen durch Reime verschränkten Dialog gibt es zwischen Mortimer und Maria in einem Moment höchster Intensität (III/6).

Die letzte Stufe möglicher Markierung, der Wechsel des Metrums, betrifft die genannte Stelle zu Beginn des dritten Akts, wenn Maria, an die frische Luft getreten, von der Möglichkeit ihrer Freiheit gerührt wird. Hier spricht Maria viermal in freien, vierhebigen, gereimten Daktylen nach dem Schema Xx(x)Xx(x)Xx(x)X(x) (die Realisation mit nur einer Senkung ist also gestattet). Die Passagen bilden dabei strophenähnliche Gebilde zu acht, sieben, acht und acht Versen.

Zusammenfassung des Vers- und Reimsystems:

-          Standardvers ist der Blankvers.

-          Reime an Akt- und Szenenschlüssen und die ausbleibenden Reime an den Aktschlüssen IV und V haben eine dramaturgische Funktion.

-          Die Reimbindung innerhalb von Szenen dient der Markierung besonders ungebundenen, gefühlsgeleiteten Sprechens oder dem Ausweis einer besonderen Objektivität der Rede. Nur wenige Figuren sprechen so, darunter die Hauptfigur.

-          Der Wechsel des Metrums bildet dazu noch einmal eine Steigerung.

 Der Stil

Das Stück kennzeichnet ein durchgehend hoher, rhetorisch geprägter Stil.

So gibt es keine einer niederen Stilebene zugewiesenen Figuren. Hierfür in Frage käme vor allem die Amme Marias, Hanna Kennedy, die aber, wie im klassizistischen Theater Frankreichs, als Vertraute die Sprache ihrer Herrin spricht. Die Redebeiträge anderer Diener sind so kurz, dass sie ohne Auffälligkeiten zwischen die gepflogene Diktion der Hauptfiguren gerückt werden können (so etwa in V/2-5).

Für die ausgesprochen rhetorische Prägung des Stils kann die Handlung des Stücks selbst verantwortlich gemacht werden, schließlich geht es um das Zustandekommen und die Vollstreckung eines Gerichtsurteils mit politischer Bedeutung. Bei der Ausübung  der Gerichtsrede, wohl der wichtigsten der drei Redegattungen der antiken Rhetorik, kommt es also immer wieder zu geradezu exemplarischen Konstellationen. Es treten sich in Maria und Burleigh Angeklagte und Kläger gegenüber (I/7), als Verteidiger plädiert Shrewsbury (II/4, IV/9), und Elisabeth, nachdem sie die Stimmen gehört hat, zieht sich als Richterin zur Entscheidungsfindung zurück (IV/10). In der großen Staatsratsszene (II/4) überlagern sich die beiden Redegattungen der Gerichts- und der Parlamentsrede, wenn über die Vollstreckung eines Gerichtsurteils in politischer Perspektive beraten wird.

Die hohe Stilhöhe verlangt einen entsprechend reichen Ornatus oder Redeschmuck.

Charakteristisch ist die Projektion konkreter Tatsachen und Personen auf eine allgemeine, abstraktere Ebene und die Verwandlung abstrakter Qualitäten in personifizierte Teilnehmer der Auseinandersetzung. So wird das Geschehen gleichzeitig distanziert und dynamisch gehalten.

Für die eine Richtung steht etwa die Antonomasie, also die Ersetzung eines Vornamens oder eines Personalpronomens durch eine substantivierte Eigenschaft (Bsp. V. 2461: »Ihr habt die Unversöhnliche verwundet.«); für die andere Richtung die Personifikation (Bsp. V. 2437-2443: »Fahr hin, lammherzige Gelassenheit, | Zum Himmel fliehe, leidende Geduld, | Spreng endlich deine Bande, tritt hervor | Aus deiner Höhle, langverhaltner Groll –«).

Häufig anzutreffen sind ferner Wiederholungsfiguren und Stellungsfiguren wie Parallelismus und Chiasmus (Bsp. V. 961-974), häufig flechten die Redenden allgemeine Sentenzen in ihre Argumentation (Bsp. V. 13: »In müß’ger Weile schafft der böse Geist.«).

Der allgemein hohe Stil des Stückes verhindert nicht die sprachliche Charakterisierung der einzelnen Figuren. Burleighs sachliche, zupackende, mitunter knappe Diktion unterscheidet sich stark etwa von Mortimers sinnlich-metaphernreicher Rede.

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.