Skip to main content

Maria Stuart

III, 1-4

Zusammenfassung

(III/1)
Am nächsten Tag ergeht sich Maria mit Kennedy in einem Park zu Fotheringhay. Sie führt die Erlaubnis, ins Freie zu gehen, auf den Einfluss Leicesters zurück und sieht in der noch sehr eingeschränkten Freiheit einen Vorboten ihrer wirklichen Befreiung. Jagdhörner erklingen.

(III/2)
Paulet macht wegen der Briefübergabe Anspruch auf ihre Dankbarkeit. Gleich erscheine Elisabeth. Maria, überrascht, hat Mühe, sich auf die in Aussicht gestellte Begegnung einzustellen.

(III/3)
Shrewsbury ist vorausgeeilt, Maria auf die Begegnung vorzubereiten. Empörung über das ihr zugefügte Unrecht und Hass auf Elisabeth erfüllt sie. Shrewsbury beschwört sie, sich zu demütigen, auf ihr Recht gegenüber der Königin nicht zu pochen. Leicester habe ihr die Bewilligung zur Zusammenkunft abgerungen.

(III/4)
Elisabeth tritt mit Leicester und Gefolge auf. Sie erkundigt sich, wo sie sich befinde, und lässt das Gefolge vorausgehen. Als sie Maria sieht, stellt sie sich überrascht und beschuldigt Leicester der mutwilligen Herbeiführung der Zusammenkunft. Shrewsbury und Leicester fordern sie auf, die Gelegenheit zu ergreifen, Mitleid und Großmut zu zeigen. Maria, die Elisabeth zunächst noch stolz erscheint, fällt vor ihr nieder und bittet um Gnade.

Elisabeth zeigt sich von der Geste unberührt, ja sie tritt noch zurück. Sie fordert Maria auf, zu sagen, weshalb sie die Unterredung gewünscht habe. Maria setzt zu einer Verteidigungsrede an, sie bietet Elisabeth an, von ihrer Beschuldigung abzusehen und fremden Mächten ihr Unglück zuzuschreiben. Sie bedauert, dass sie nicht früher bereits Gelegenheit bekommen haben, Vertrauen zueinander zu fassen. Elisabeth antwortet mit einer Anklage des Oheims Marias, des Karl von Guise, Herzogs von Lothringen. Dieser habe Maria dazu bewegt, den Königstitel anzunehmen und politische Unruhe in ihr Land gebracht. Seine Grausamkeit diene ihr nun zum Beispiel, wenn sie Maria hinzurichten plane. Maria bedauert, dass Elisabeth sie nicht zur Erbin erklärt hat – ein viel zu gefährlicher Schritt, wie Elisabeth meint. Maria entsagt darauf jedem Anspruch auf das Reich, sie ist bereit, sich Elisabeth vollständig zu unterwerfen und wartet immer noch auf ein Zeichen der Gnade.

Elisabeth bekräftigt nur die Niederlage Marias und verbindet diese Bekräftigung mit einer scharfen Bemerkung hinsichtlich Marias vergangener Ehen. Leicester anredend behauptet sie, Maria habe den Ruf ihrer Schönheit dadurch erkauft, dass sie sich wahllos allen hingegeben, dass sie sich prostituiert habe. Darauf verlässt Maria die Haltung der Bittenden. Sie beschuldigt Elisabeth der Falschheit, vermutet in ihr unterdrückte Lust, weist auf ihre zunächst illegitime Geburt und bekräftigt, als Leicester und Shrewsbury bereits das Ende der Unterredung zu beschleunigen suchen, noch einmal ihr Anrecht auf den Königsthron.

Analyse

Nach Kerker und Hof führt Schiller für die zentrale Begegnung des Dramas einen dritten Ortstyp ein. Vordergründig scheinen die ersten beiden Ortstypen darin negiert. Die offene Aussicht weckt den Bewegungsdrang und beflügelt die Phantasie, und das freie Feld eignet sich nicht wie die Palastarchitektur zur Herstellung komplexer, asymmetrischer Beobachtungsverhältnisse. Die Gegenwart eines Fischers suggeriert die Aufhebung ständischer Exklusivität. Andererseits dient der Park zur höfischen Kurzweil, zur Jagd, und verdeckt die Vegetation Mauern, die nach wie vor unüberwindlich sind. Verborgene Wächter sorgen dafür, dass es nicht zu zufälligen Begegnungen mit unbeteiligten Personen kommt.

Der Gegensatz wird metrisch ausagiert. Sagt Maria eingangs: »Laß mich der neuen Freiheit genießen, […] Prüfen den leichten, geflügelten Schritt« (V. 2075-2078), lässt sich dies in zweiter Bedeutung auf das neue, im Drama noch beispiellose Metrum, auf den locker gehandhabten, vierhebigen Daktylus beziehen. Kennedy spricht ihre mahnenden Worte weiterhin im Blankvers, und sofern Maria sich ihr direkt wieder zuwendet, fällt auch sie in dies Standardmaß zurück.

Maria gestattet sich die Hingabe an einen »süßen Wahn« (V. 2090). Durch die weite Aussicht sieht sie sich mit Frankreich, ihrem »Jugendland« (V. 2100), und mit Schottland, ihrem »Reich« (V. 2095), verbunden. Der Fischer lässt sie von einer märchenhaften, leichten Rettung fantasieren, die Jagdhörner aus Elisabeths Tross wecken in ihr nostalgische Erinnerungen an die Jagd in den schottischen Highlands. Dies in den strophischen Gebilden; in Blankversen drückt sie ihre Zuversicht aus, die Erweiterung ihres Gefängnisses stünde schon für ihre baldige, endgültige Befreiung. Dabei steht am Ende das »das Antlitz dessen […], | Der mir die Bande löst auf immerdar« (V. 2127 f.) – ein Traum der Liebe also. Kennedy setzt eine andere, richtigere Deutung dagegen: »Auch denen, hört‘ ich sagen, wird die Kette | Gelöst, auf die die ew’ge Freiheit wartet.« (V. 2132 f.) Tatsächlich hat die von Maria im Gefühl vorweggenommene Freiheit wenig mit dem zu tun, was sie erwartete, würde sie wirklich aus dem Kerker entlassen. Bezeichnend für sie ist sowohl das Unpolitische ihres Freiheitstraums wie die Selbstverständlichkeit, mit der sie, Schottland ihr Reich nennend, ihren königlichen Rang behauptet.

Die irrige, gedankliche Befreiung von den lange getragenen Fesseln erweist sich als schlechte Vorbereitung für die Ausführung ihres eigenen Plans, für das Treffen mit Elisabeth. Weil sie ihren Hass, ihrer »Leiden brennendes Gefühl« (V. 2183) nicht glaubt, mäßigen zu können, bittet sie Shrewsbury, die Begegnung noch zu verhindern. Die vorbereitenden Auftritte Talbots und Shrewsburys führen sie gestaffelt in die politische Öffentlichkeit zurück, von der sie sich einen Moment geglaubt hatte, abwenden zu können.

Der Auftritt Elisabeths dient zur gegenüberstellenden Charakterisierung der beiden Hauptfiguren: Hatte Maria sich in lyrischem Erguss einem positiven Gefühl und daraus erwachsender Zuversicht hingegeben, sind Elisabeths Worte höfische Verstellung zur Sicherung eines taktischen Vorteils. Sie möchte für die Herbeiführung des Treffens nicht verantwortlich gemacht werden können. Das Publikum wird so offensiv für Maria eingenommen, die aus ihrer halben Ohnmacht heraus spontan Elisabeth das fühlende Herz abspricht (V. 2232).

Maria teilt offenbar die Einschätzung Burleighs und Shrewsburys, dass Elisabeth sich Maria nur dann zeigte, wenn sie auch Willens wäre, sie zu begnadigen, und dass die Gewährung der Audienz ohne die Begnadigung ein Akt der Grausamkeit wäre (V. 2386-2389). Zwar habe sie, Maria, ihren Teil, nämlich eine Geste der Unterwerfung, zu erfüllen, im Grunde sei die Entscheidung aber mit dem Erscheinen Elisabeths bereits getroffen. Umgekehrt muss Elisabeth diese Erwartung Marias erwarten. Das heißt, sie weiß, dass von ihr ein Akt der Gnade erwartet wird, den sie zu vollziehen aber nicht willens ist. Um ihre Neugier und ihre gekränkte Eitelkeit zu befriedigen – ihr eigentliches Motiv – muss das Treffen sich hinziehen können, ohne dass sich an der Ausgangssituation – hier die Verurteilte, hier die Richterin – etwas verändert.

Zweimal bittet Maria ausdrücklich um Gnade, zu Beginn des Gesprächs (V. 2253-2256) und gegen Ende (V. 2386-2402). Diese ganze Zeit über verharrt Maria in der Unterwerfungsgeste, bestimmt ihr Verhalten die eben beschriebene Erwartung, begnadigt zu werden. Elisabeth reagiert auf beide Gnadengesuche mit einer Bekräftigung der Unterordnung Marias unter sie (»Ihr seid an eurem Platz, Lady Maria!« – V. 2257; »Ja, es ist aus, Lady Maria.« – V. 2407). Das erste Mal sieht Maria sich zu einer Intensivierung ihrer Bitte genötigt (V. 2261-2277), das zweite Mal sprengt die beleidigende Antwort Elisabeths den bisherigen Rahmen des Gesprächs und Maria gibt die Unterwerfungsgeste auf. Dazwischen sucht Elisabeth einen eigenen, die Unterwerfungsgeste überspielenden, zweiten Einstieg in das Gespräch, wenn sie auf die Bitte Marias nach einer Unterredung zurückkommt und sie danach fragt, was sie ihr zu sagen habe, so als hätte sie es nicht bereits gesagt.

Der hierauf folgende Mittelteil des Gesprächs ist inhaltlich ergiebiger. Er führt zu einem Zugeständnis Marias auf der politischen Ebene – ihrer Preisgabe des Anspruchs auf den Titel der Königin von England (V. 2378 f.). Erst hier wird Marias Unterwerfungsgeste mehr als nur eine Geste auf der Ebene persönlicher Begegnung, aber Elisabeth, die jetzt versuchen müsste, die mündliche Verzichtserklärung Marias in einen öffentlichen und offiziellen Verzicht zu überführen, geht auf diesen Erfolg ihrer Gesprächsführung nicht ein. Stattdessen wechselt sie auf die Ebene, auf die es ihr bei ihrer Bewilligung des Gesprächs hauptsächlich angekommen war, die Ebene erotischer Rivalität.

Beide Protagonistinnen zeigen sich zu einer sachlichen, politischen Auseinandersetzung unfähig. Maria scheint nur die menschliche Ebene bedienen zu wollen und nimmt den Zuschauer durch eine größere Unmittelbarkeit und Leidenschaftlichkeit für sich ein. Ihr Rollenverständnis als königliche Person ist ihr dabei so selbstverständlich, dass sie schwer von sich und ihrem Verhältnis zu Elisabeth sprechen kann, ohne ihren politischen Anspruch auf königlichen Rang auch zu bekräftigen (V. 2296, 2307 f., 2316). So bedauert sie – auf menschlicher Ebene – das Misstrauen, das zwischen ihr und Elisabeth herrschte, und erklärt, die Alternative wäre gewesen, sie, »wie [ihr] | Gebührt« (V. 2366 f.), zur Erbin zu bestimmen. Elisabeth reagiert verständlicherweise auf die politische Provokation (V. 2371 f.) und lässt das menschliche Bedauern außer Acht.

Elisabeth beharrt also durchaus auf einer politischen Auseinandersetzung. Den Grund des Streits sieht sie nicht so sehr in Maria selber, als in ihrer sie stützenden, lothringischen Verwandtschaft (V. 2332-2335). Von dort her sieht sie sich existenziell bedroht, in diesen Zusammenhang rückt sie die Verurteilung Marias. Maria hätte an dieser Stelle darlegen können, dass sie, wie der Zuschauer mittlerweile weiß, die radikalen Pläne ihres Hauses skeptisch sieht, sie hätte sich als – zumal in der Gefangenschaft – machtloses Instrument der katholischen, europäischen Partei darstellen können, und auf diese Weise ihre menschliche von ihrer politischen Person scheiden. Stattdessen antwortet sie in der beschriebenen Weise auf der menschlichen Ebene mit politischen Implikationen, die Elisabeth nur weiter reizen müssen. Und wo Maria Gelegenheit bekommt, die gegen sie gerichteten Vorwürfe auszuräumen, wiederholt sie die Vorwürfe, die sie gegen Elisabeth richtet, um daraufhin »[e]in ewiges Vergessen« (V. 2305) anzubieten und die Verantwortung einem »böse[n] Geist« (V. 2309) zuzuschreiben. Das kann Elisabeth nicht beruhigen.

Die sorgfältige Komposition des Dialogs zeigt sich in der zweifachen Vorbereitung seines Abschlusses. Bereits auf das einleitende Gnadengesuch Marias antwortet Elisabeth: »Ihr seid an eurem Platz, Lady Maria! | Und dankend preis‘ ich meines Gottes Gnade, | Der nicht gewollt, daß ich zu euren Füßen | So liegen sollte, wie ihr jetzt zu meinen.« (V. 2257-2260) Ihr zweites Gnadengesuch beschließt Maria mit einer ähnlichen Vorstellung: »Denn wenn ihr jetzt nicht segenbringend, herrlich, | Wie eine Gottheit von mir scheidet – Schwester! | Nicht um dies ganze reiche Eiland, nicht | Um alle Länder, die das Meer umfaßt, | Möchte ich vor euch so stehn, wie ihr vor mir!« (V. 2397-2402) Der Schluss lautet bekanntlich: »– Regierte Recht, so läget Ihr vor mir | Im Staube jetzt, denn ich bin euer König.« (V. 2450 f.) Die erste Stelle bedeutet noch eine schlichte Bestätigung des vorliegenden Machtverhältnisses. Die zweite Stelle ist etwas komplizierter. Letztlich droht Maria für den Fall, dass sie nicht begnadigt wird, mit dem Entzug der moralischen Achtung. Jedenfalls gewinnt die dritte Stelle an Durchschlagskraft dadurch, dass Maria den Positionswechsel, den sie kurz zuvor umständlich und hyperbolisch ausgeschlagen hatte, nun doch behauptet. Und jetzt wird aus dem Konjunktiv der Indikativ (nicht also: »denn ich wär‘ euer König.«) – die Umkehrung des Dominanzverhältnisses ist tatsächlich absolut, Elisabeth scheint für den Augenblick vernichtet.

Das hat auch mit den Argumenten zu tun, die für die eine und die andere Kontrahentin auf der erotischen Ebene, auf die Elisabeth mutwillig gewechselt hatte, bereitliegen. Elisabeth zielt auf Episoden aus Marias Leben, die ein schlechtes Licht auf ihre Moral werfen mögen, die jedoch für die gegenwärtige, politische Situation und selbst für ihren Prozess ohne Belang sind. Der Vorwurf, zu dem Maria ausholt, hat seine erotische Komponente nicht so sehr in Elisabeths Lebenswandel (dessen Tadellosigkeit sie dennoch anzweifelt – V. 2427-2429), sondern in dem ihrer Mutter. Der Vorwurf der illegitimen Geburt Elisabeths stellt das Hauptargument für Marias Anspruch auf den englischen Thron dar – jenes Anspruches, den Maria eben aufzugeben behauptet hatte und der Elisabeth existenziell bedroht.

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.