Skip to main content

Maria Stuart

III, 5-8

Zusammenfassung

(III/5)
Kennedy beklagt den Ausgang des Gesprächs. Alle Hoffnung sei nun dahin. Maria berauscht ihr augenblicklicher Triumph.

(III/6)
Auch Mortimer war Zeuge der Begegnung zwischen Elisabeth und Maria und die trotzige, für den Moment siegreiche Maria erregt in ihm seine starke Leidenschaft. Sie erkundigt sich bei ihm nach dem Schreiben, das er Leicester hatte überbringen sollen, Mortimer blockt die Fragen nach seinem Rivalen aber ab. Erst jetzt hält auch Maria ihre Sache für verloren. Mortimer unterbreitet ihr den Plan zu ihrer gewaltsamen Befreiung, der unter anderem die Ermordung Paulets beinhaltet. Maria erschrickt davor, sie weist den Plan und Mortimer selbst zurück, der mit seiner Befreiungstat einen erotischen Besitzanspruch auf Maria verbindet. Als er angesichts ihres Widerstandes gegen sie Gewalt zu üben droht und als eine bewaffnete Schar in den Garten dringt, flieht Maria mit Kennedy ins Haus.

(III/7)
Paulet teilt in der Eile Mortimer mit, Elisabeth sei auf ihrem Weg zurück nach London ermordet worden.

(III/8)
Okelly, ein Freund Mortimers, stürzt herbei und fordert ihn zur Flucht auf. Sauvage, ein einzelgängerischer Mitverschworener, habe die Ermordung versucht, sie sei aber nicht geglückt: Der Mantel habe den Stoß aufgefangen und Shrewsbury habe Sauvage entwaffnet. Mortimer entscheidet sich gegen eine Flucht. Er sei bereit zu sterben und wolle versuchen, Maria zu retten.

Analyse

Der dritte Akt lässt beide Befreiungsversuche nacheinander scheitern. Weder führt die erste persönliche Begegnung die Versöhnung von Elisabeth und Maria herbei, noch gelingt der gewaltsame Befreiungsversuch der katholischen Verschwörung. Im ersten Teil des Aktes, bei dem Gespräch der Königinnen, hatte Maria aufgrund der diffamierenden Angriffe Elisabeths die Gelegenheit bekommen, die überlegene Macht ihrer Persönlichkeit gegenüber der Rivalin auszuspielen: Für das Gespräch und auf der persönlichen Ebene erringt sie einen absoluten Triumph – der ihrer Sache letztlich schaden muss. Solche paradoxen Figuren finden sich auch im zweiten Teil des Aktes. Erst hier droht sie Gewalt zu leiden – von ihrem Retter (V. 2581 f., vgl. auch V. 2635). Von ihm wird sie durch Soldaten befreit – die sie in strengere Haft nehmen sollen. Das Attentat scheint kurz geglückt – es ist es aber nicht, und alles ist verloren (V. 2617).

Der fünfte Auftritt dient der knappen Ausbuchstabierung der beschriebenen Dialektik. Maria ist noch ganz in der Gegenwart der gerade beendeten Konfrontation, Kennedy aber hat den Blick auf die Zukunft gerichtet. In parallelen Sätzen sprechen sie aus gegensätzlicher Perspektive, das Vokabular sich gegenseitig zuspielend (V. 2452-2454, 2463 f.). Was für Kennedy die Sache verschlimmert – die Erniedrigung Elisabeths vor ihrem Geliebten –, verstärkt bei Maria das Gefühl ihres Triumphes.

Entscheidenden Aufschluss über das Verständnis von Marias Einschätzung ihrer Lage geben ihre Fragen an Mortimer zu Beginn des sechsten Auftritts. Offenbar hatte sie während des Gesprächs mit der Königin nicht geglaubt, dass alles von einer Versöhnung zwischen ihnen abhinge und auch während des kurzen Gesprächs mit Kennedy im fünften Auftritt erlaubte sie sich das Auskosten ihres Triumphes, weil sie ihre Sache noch nicht für verloren hielt. Erst als Mortimer sie fälschlich glauben macht, er habe ihren Brief Leicester nicht übergeben, ruft sie: » O dann ists aus!« (V. 2487) Unklar ist, was sie über die Herbeiführung der Unterredung mit Elisabeth hinaus von Leicesters Beistand erwartet hatte. Mortimer jedenfalls, der seinen brachialen Plan vorträgt, in dem die Ermordung seines Onkels Paulet vorgesehen ist, kann Leicester bei ihr nicht ersetzen.

Er nimmt ihr die Beschreibung ihres Sieges zu Beginn der Szene aus dem Mund, indem er ihren Schlusssatz variiert (V. 2469 f.: »Du tratst sie in den Staub, | Du warst die Königin, sie der Verbrecher.«), bei ihm jedoch entfesselt die Begeisterung über die triumphierende Frau jene erotische Leidenschaft, die zuletzt die Unterwerfung ebendieser Frau gewaltsam durchsetzen will (V. 2589 f.: »Wenn nur der Schrecken dich gewinnen kann, | Beim Gott der Hölle! –«). Maria befindet sich den größten Teil der Szene über in einem verbalen, dann auch körperlichen Rückzugsgefecht. Sie kommt kaum zu Wort, bleibt auf Ausrufe, auf bloße Ansätze einer argumentativen Verteidigung zurückgeworfen. Nur die Ablenkung Mortimers durch das Hereindringen von Bewaffneten in den Garten gibt ihr die Gelegenheit zur Flucht.

Mit dem siebten Auftritt beginnt wichtige Handlung in Form von Berichten auf die Bühne zu dringen. Die Informierung der auf der Bühne anwesenden Figuren, mithin des Publikums, folgt einer eigenen, effektvollen Dramaturgie. Es lohnt sich deshalb, zum besseren Verständnis der kausalen Zusammenhänge der Handlung, das Geschehen unabhängig von diesem Spiel aus Mitteilung und Täuschung zu rekonstruieren.

Unter den Verschworenen, die von der katholischen Partei nach England geschickt worden waren, um Maria auf den Thron zu verhelfen, war ein besonders tiefsinniger Mönch des Barnabiter-Chorherrenordens aus Toulon namens Sauvage. Dieser beschließt aus besonderem Ehrgeiz dem eigentlichen Plan der Verschwörung vorzugreifen, und weiht in sein Vorhaben nur einen Priester ein. Er versucht das Attentat auf dem »Londner Weg«, auf dem sich Elisabeth befindet, nachdem sie den Park von Schloss Fotheringhay verlassen hat (V. 2623-2632). Sein Stoß geht fehl – »der Mantel fing ihn auf« (V. 2619) –, Shrewsbury kann ihn entwaffnen. Augenblicklich wird Maria für das Attentat verantwortlich gemacht, ihre Flucht soll unbedingt verhindert werden. Paulet eilt zu ihr, bevor er erkennt, dass der Stoß die Königin nicht verletzte – er hält sie für ermordet und teilt diese Meinung Mortimer mit. Zeuge des Geschehens war aber auch der Verschworene Okelly, der gleich darauf zu Mortimer eilt, um diesen zur Flucht aufzufordern und über das Scheitern des Attentats in Kenntnis zu setzen.

Bereits Mortimer trat in der sechsten Szene unvermittelt auf. Er muss im »Gefolge« (vor V. 2225) der Szenenanweisung des vierten Auftritts begriffen gewesen sein oder sich überhaupt verborgen gehalten haben (dann stellt sich für einen Regisseur die Frage, ob er ihn – sich verbergend – vor dem sechsten Auftritt zeigt oder sein Erscheinen für das Publikum so überraschend gestaltet, wie es das für den Leser ist). Schwieriger zu motivieren als seine Anwesenheit ist aber die des Verschworenen Okelly. Sauvage handelte ja gerade ohne die Unterstützung der übrigen Verschworenen.

Paulet eilt im siebten Auftritt zu Maria ins Haus. Er wird sie dort mit der Todesnachricht und den daraus erwachsenden Vorwürfen gegen sie konfrontieren; irgendwann wird auch er über den tatsächlichen Misserfolg des Attentats informiert werden und sie, Maria, informieren. Weder zeigt Schiller diese Vorgänge, noch lässt er über sie berichten. Was sind die Gründe für die Aussparung? Wenn Schiller weder die Gewalttat noch Marias Reaktion auf das Attentat zeigt, was zeigt er stattdessen?

Die größte sinnliche Evidenz gewinnt in der zweiten Akthälfte der Dialog zwischen Mortimer und Maria in der sechsten Szene. Während dieser Unterredung kommt es jenseits der Bühne zu dem Attentatsversuch, aber Mortimer weiß davon nichts. Er tritt zu Maria mit der Absicht, sie nun, da sie auf eine Begnadigung nicht mehr hoffen kann (V. 2495-2497), von seinem Plan einer gewaltsamen Befreiung noch in derselben Nacht (V. 2511) zu überzeugen und die Rolle des Retters – und Liebhabers einzunehmen. Sinnliche Evidenz gewinnt auf der Bühne die aggressive, männliche Sexualität Mortimers, der, um Maria endgültig zum Objekt seines Begehrens zu erniedrigen, auf dieselben Episoden aus Marias Vergangenheit anspielt, wie Elisabeth am Ende ihres Gesprächs mit ihr (V. 2585 f.). Es wird deutlich, dass für Maria der Triumph der Verschwörung ebenso gefährlich wäre, wie ihr Scheitern – ja vielleicht gefährlicher. Sie kann sich retten – das ist für sie das Wichtigste.

Der freie Schauplatz und die Rede in gereimten Versen waren zu Beginn des Akts stark positiv konnotiert worden. Beide Bedeutungsträger erfahren in der zweiten Akthälfte eine radikale Umdeutung. Maria flieht vor Mortimer, der ihr die Freiheit verspricht, aus dem Park in ihr Gefängnis. Und ihr Dialog mit ihm, mit Mortimer, dessen erotische Begeisterung sie – ihre Würde – zu vernichten droht, enthält besonders kunstvoll verschränkte Reime.

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.