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Nachts schlafen die Ratten doch

Figuren

Figurenkonstellation

Nachts schlafen die Ratten doch – Figurenkonstellation
  • Protagonisten

    Die beiden Protagonisten werden zu Beginn der Handlung nicht als Personen vorgestellt, erhalten keine individuellen Züge und bleiben auch erst einmal namenlos. Erst im dritten Abschnitt erfahren die Leser zumindest den Namen der Hauptfigur, Jürgen. Dies ist typisch für die Gattung der Kurzgeschichte in der Trümmer- und Nachkriegsliteratur und typisch auch für die Figuren Wolfgang Borcherts. Er verweist damit darauf, dass das Kriegs- und Nachkriegsschicksal seiner Figuren, ihre Not und ihr Leiden überpersönlich und existenziell sind und über die einzelne Figur hinausreichen. Daher werden die Figuren oft nicht individuell gezeichnet, sie tragen keine Namen, sondern werden als Typen charakterisiert.

  • Jürgen

    Die Hauptfigur der Erzählung ist der neunjährige Jürgen, aus dessen Perspektive der/die Leser*in die Geschichte wahrnimmt. Der allwissende Erzähler nimmt im größten Teil der Kurzgeschichte die personale Perspektive des Jungen ein.

    Im Text lassen sich nur wenige direkte Informationen zur Charakterisierung Jürgens oder zu seinem Leben finden. Das einzige äußere Detail zu seiner Beschreibung ist das wiederholt genannte »Haargestrüpp« (vgl. S. 216/218). Dieses Wort zeigt auf, wie vernachlässigt und verwahrlost Jürgen ist, sowohl durch das Alltagsleben im Krieg, als auch durch sein bereits längeres, Tag und Nacht anhaltendes Wachehalten in der Hausruine. Jürgen wird als ein vom Krieg gezeichnetes Kind dargestellt, dessen Alltag ganz von der Realität von Zerstörung, Verlust und Leid bestimmt ist.

    Wie Jürgen in seinem kurzen Bericht erzählt, ist das Wohnhaus seiner Familie bei einem Fliegerangriff von einer Bombe getroffen worden. Dabei wurde der kleine, vierjährige Bruder verschüttet und ist ums Leben gekommen. Das »wir« in diesem Bericht (»Wir haben noch gerufen«, S. 218) impliziert, dass Jürgen noch eine Familie hat. Ob diese aber noch am Leben ist und um wen es sich genau handelt, verrät der Text nicht. Als der alte Mann am Ende der Geschichte anbietet, ihn nach Hause zu begleiten und seinem Vater zu zeigen, wie ein Kaninchenstall gebaut wird (vgl. S. 219), widerspricht Jürgen nicht, so dass angenommen werden kann, dass es nach dem Bombenangriff nun eine Art neues Zuhause mit Eltern gibt.

    Außerdem besucht Jürgen die Schule; dort hat er vom Lehrer erfahren, dass die Ratten sich von den unter den Trümmern liegenden Toten ernähren, was ihn erst dazu gebracht hat, seine unmöglich zu erfüllende Aufgabe zu übernehmen, den toten kleinen Bruder vor den Ratten zu beschützen.
    Jürgen ist ein sehr unsicheres Kind, das eigentlich Angst hat, abends und nachts alleine in der leblosen, verlassenen Trümmerwüste auszuharren und das sich in einer konstanten Bedrohungslage befindet. Er hat sich gegen die bedrohlichen Ratten mit einem großen Stock bewaffnet. Zudem hat er sich mit Tabak ausgestattet hat und dreht Zigaretten. Dies ist eines der Merkmale, mit denen Jürgen vordergründig die Rolle des Erwachsenen spielt, während sich hinter der abgeklärten, unabhängigen und harten Maske ein kleiner Junge mit großer Sehnsucht nach Geborgenheit und einem friedlichen Leben verbirgt.

    Zu Beginn der Erzählung ist Jürgen sehr verschlossen und misstrauisch. Er ist trotz seiner nur neun Jahre eigentlich längst kein Kind mehr und ist gezeichnet von der Härte der Umgebung, in der er lebt. Erwachsenen, wie dem unbekannten alten Mann gegenüber, antwortet er daher nicht nur abweisend, sondern auch trotzig und widerwillig. Erwachsene sind in der vom Krieg bestimmten Welt des kleinen Jungen längst keine unangefochtenen Autoritätspersonen mehr. Erst die einfache, herzliche Zuwendung und menschliche Nähe des alten Mannes lässt seinen Panzer nach und nach aufweichen und es kommt das verletzte, traurige, aber auch neugierige und verspielte Kind zum Vorschein.

    Jürgen macht somit im Laufe der Kurzgeschichte eine dynamische Entwicklung durch von Verschlossenheit, Härte und Misstrauen über Neugier und Spiel bis hin zur Rückkehr zum Glauben an Vertrauen, Geborgenheit und Mitmenschlichkeit.

  • Älterer Mann

    Von der anderen Figur der Geschichte, dem älteren Mann, erfährt man kaum etwas an persönlichen Details und, da es keine Innenperspektive dieser Figur gibt, bleiben auch seine Gedanken und Motivationen unbekannt. Über sein Äußeres gibt es bis auf die Beschreibung seiner krummen »ärmlich behoste[n] Beine« (S. 216) keine weiteren Informationen. Er bleibt überdies namenlos und wird im Laufe der Geschichte oft nur auf seine krummen Beine reduziert. Dies kennzeichnet ihn als exemplarische Figur; er steht wie viele andere Figuren Borcherts für die namenlosen Opfer des Krieges, deren Leiden allgemeingültig gestaltet wird.

    Der alte Mann hat 27 Kaninchen, für die er zwischen den Trümmern mit Messer und Korb Futter sammelt. Die Motivation des Mannes, den Jungen anzusprechen und ihn auszufragen, bleibt lange Zeit unklar. Erst im Verlauf der Geschichte wird durch seine mitfühlende, freundliche, aber auch kluge und trickreiche Strategie, den Jungen zum Sprechen zu bringen, klar, dass er dem Jungen helfen will und die Verzweiflung und auch die Gefahr seiner Lage erkannt hat. Er versucht nicht, den Jungen von der Sinnlosigkeit seines Tuns zu überzeugen oder ihn zu überreden, doch nach Hause zu gehen. Im Gegenteil, er akzeptiert vordergründig die gespielte Eigenständigkeit des kleinen Jungen und seine selbst gestellte Aufgabe. So gewinnt er allmählich sein Vertrauen und kann ihn dann durch die geschickte Notlüge langsam wieder zurück ins Leben führen.

    Dies tut er auf eine sehr viel sensiblere und mitfühlendere Weise, als beispielsweise der Lehrer in der Schule. Dieser hat Jürgen mit seiner zwar wahrheitsgetreuen, aber grausamen Aussage über die die Leichen fressenden Ratten erst zu seiner Totenwache für den Bruder motiviert. Damit positioniert sich der alte Mann als eine Art Gegenfigur zur Figur des Lehrers, dessen Autorität und Glaubwürdigkeit er mehrfach überzeugend in Frage stellt (»Na, sagte der Mann, das ist aber ein Lehrer, wenn er das nicht mal weiß«, S. 218). Der alte Mann wird für den Jungen daher zur eigentlichen Autoritätsperson, während die Autorität von Einrichtungen wie der Schule und die Position des Lehrers in den Zeiten des Krieges entwertet werden und keine Gültigkeit mehr haben.

    Der alte Mann steht für die immerwährende tiefe Menschlichkeit, die auch in all der Zerstörung und dem Leid des Krieges noch weiter besteht. Er führt Jürgen zurück in ein Dasein, in dem er wieder ein klein wenig Kind sein kann und bringt ihm durch seine Menschlichkeit ein Stück Lebensfreude zurück.

Die beiden Protagonisten werden zu Beginn der Handlung nicht als Personen vorgestellt, erhalten keine individuellen Züge und bleiben auch erst einmal namenlos. Erst im dritten Abschnitt erfahren die Leser zumindest den Namen der Hauptfigur, Jürgen. Dies ist typisch für die Gattung der Kurzgeschichte in der Trümmer- und Nachkriegsliteratur und typisch auch für die Figuren Wolfgang Borcherts. Er verweist damit darauf, dass das Kriegs- und Nachkriegsschicksal seiner Figuren, ihre Not und ihr Leiden überpersönlich und existenziell sind und über die einzelne Figur hinausreichen. Daher werden die Figuren oft nicht individuell gezeichnet, sie tragen keine Namen, sondern werden als Typen charakterisiert.

Veröffentlicht am 8. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 8. August 2023.