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Nachts schlafen die Ratten doch

10. Abschnitt, Zeile 107-112

Zusammenfassung

Als der ältere Mann sich entfernt, kann Jürgen durch seine krummen Beine hindurch die rote Abendsonne sehen und die Bewegung, mit der er seinen Korb hin- und herschwenkt. Das grüne Kaninchenfutter darin ist nun etwas grau vom Schutt.

Analyse

Der letzte Abschnitt der Geschichte bildet zusammen mit der kurzen Eingangsbeschreibung eine Art Rahmen. Beide werden aus der Perspektive des auktorialen Erzählers wiedergegeben und sind die einzigen Verortungen der Handlung, durch die der Leser zumindest die Tageszeit und die Umgebung, in die die Handlung eingebettet ist, kennenlernt.
Die kleinen Veränderungen, die im Gegensatz zur Anfangsszene wahrnehmbar sind, lassen die Verwandlungen erkennen, die durch die zufällige Begegnung mit dem alten Mann im Leben des kleinen Jungen geschehen sind.

Am auffälligsten ist die Farbsymbolik; das Licht der Abendsonne ist nun nicht mehr blaurot (die Farbe violett/lila hat bei Wolfgang Borchert oft auch eine negative Konnotation, vgl. Borchert, Das ist unser Manifest und Hirschenauer, S. 114), sondern rot, was Wärme evoziert. Und zuletzt tritt noch das Grün als Symbol für Leben und Hoffnung hinzu; das Kaninchenfutter aus dem Korb, wenn es auch »etwas grau vom Schutt« (S. 219, Z. 112) geworden ist, so steht es doch für einen positiven und hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.

    Der Erzählvorgang dieser Geschichte führt also aus der Leblosigkeit zu neu gewonnenem Leben. [...] Das apokalyptische Anfangsbild hat sich am Ende in ein Bild der Hoffnung verwandelt. Die Geschichte führt aus einem lähmenden Zustand in wiedergefundenes Leben, erneuter Kommunikation und wiedergewonnenes Vertrauen. (Große, S. 53)

So spiegeln die Farben den inneren Zustand der Protagonisten und das innere Geschehen der Geschichte wider.

Die Sonne ist die ganze Geschichte über eng mit der Figur des alten Mannes verbunden. Schon bei seinem ersten Auftreten steht er vor der Sonne, sein Schatten fällt daher dunkel auf den in den Trümmern kauernden Jungen (vgl. S. 216). Zwischen seinen krummen Beinen hindurch sieht Jürgen die Sonne (vgl. ebd.). Nun in der Schlussszene scheint die Sonne durch die krummen Beine des Mannes hindurch und er läuft »auf die Sonne zu« (S. 219). Auch dieser Zusammenhang verweist auf seine Rolle als »Lichtbringer« im Leben des Jungen, das schon ganz der Nacht zugeneigt gewesen war.

Auch die betonte Bewegung in der letzten Szene »Und der Korb schwenkte aufgeregt hin und her« (S. 219) steigert noch einmal die bisherigen Bewegungen (die unruhigen krummen Beine, das Aufstehen des Jungen und Weggehen des Mannes). Nun ist die Bewegung auch mit der Emotion der Aufregung verbunden. Die Personifikation des Korbes spiegelt die Gefühle des Jungen wider, der dem alten Mann voller Hoffnung und Vorfreude hinterhersieht, und die Freude des Mannes darüber, dass es ihm gelungen ist, dem Jungen einen Ausweg und neue Hoffnung aufzuzeigen. Auch in der Beschreibung der Dinge wird ein deutlicher Kontrast zum Beginn der Geschichte deutlich; von der dösenden Schuttwüste und dem gähnenden Fenster (vgl. S. 216) hin zum aufgeregt schwenkenden Korb (vgl. S. 219). »Das Statische ist ins Dynamische übergegangen [...]. Das letzte Bild des aufgeregt hin und her schwenkenden Korbes zeigt, wieviel unter der grauen Oberfläche seit dem Beginn bereits geschehen ist: Eine Verwandlung!« (Hirschenauer, S. 81).

Dass das Ende dieser sehr positiven und tröstlichen Kurzgeschichte dennoch offen bleibt, weist sie als typisches Beispiel für die Trümmerliteratur und für die Gattung der Kurzgeschichte im Allgemeinen aus. Zwar glaubt Jürgen fest an die Rückkehr des Mannes mit dem ersehnten weißen Kaninchen (und mit ihm der/die Leser*in), doch bleibt der tatsächliche Ausgang ungewiss.

Veröffentlicht am 8. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 8. August 2023.