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Nachts schlafen die Ratten doch

Sprache und Stil

Die sprachlichen und stilistischen Besonderheiten der Kurzgeschichte »Nachts schlafen die Ratten doch« sind vor allem vor dem Hintergrund der literarischen Epoche zu verstehen, in der die Geschichte entstanden ist und deren Merkmale sie trägt.

Die Werke der »Trümmerliteratur« ab 1945 zeichnen sich insbesondere durch sprachliche Veränderungen und Neuerungen aus. Nach dem Vorbild der amerikanischen »short story« der 1920er-Jahre wählten die Autoren der deutschen Trümmerliteratur für ihre Kurzgeschichten eine einfache, knappe und an der realen Wirklichkeit orientierte Sprache in schlichtem, unpoetischem Stil. Die Autoren, oft selbst Heimkehrer aus Krieg und Gefangenschaft, drängte es, all die furchtbaren Erlebnisse des Krieges auszudrücken, ebenso das Leid der Zivilbevölkerung in den zerbombten Städten, in die die Autoren nun selbst wieder heimkehrten. Sie suchten für all diese extremen Erfahrungen einen neuen Ausdruck, der sich bewusst weder an literarische Vorbilder aus der Vorkriegszeit noch an Autoren der inneren Emigration oder der Exilliteratur anlehnte. Ihr Ziel war ein kompletter Neuanfang, eine »Stunde Null« auch in der Literatur und ein Bruch mit allen Traditionen. Vor allem wollten sie sich auch von der Sprache der NS-Ideologie abgrenzen, die als Instrument der Propaganda missbraucht worden war.

Im Vordergrund stehen daher die Wahrhaftigkeit des Ausgedrückten und die realistische, einfache Ausdrucksweise. Wolfgang Borchert definiert diese neue Sprache und diesen neuen Stil in »Das ist unser Manifest« so:

    Wir brauchen keine Dichter mit guter Grammatik. Zu guter Grammatik fehlt uns Geduld. Wir brauchen die mit dem heißen heiser geschluchzten Gefühl. Die zu Baum Baum und zu Weib Weib sagen und ja sagen und nein sagen: laut und deutlich und dreifach und ohne Konjunktiv. [...] Unsere Moral ist die Wahrheit. Und die Wahrheit ist neu und hart wie der Tod. Doch auch so milde, so überraschend und so gerecht. (Borchert, Gesamtwerk, Manifest, S. 310/313)

Dies wird erreicht durch eine oft alltägliche, umgangssprachliche oder auch am Dialekt angelehnte Sprache und kurze, einfache, teils auch unvollständige Sätze. Außerdem die Konzentration auf den Dialog als Handlungselement und einen lakonischen, unaufgeregten, sachlichen Stil. Auch die verwendeten rhetorischen Mittel zielen auf einen unpathetischen Stil und konzentrieren sich vor allem auf Wiederholung, Andeutung und Aussparung, die Technik des Understatements, die Vermeidung von zu starker Symbolik und eine allgemein verständliche Wortwahl und Bildsprache. Die Kurzgeschichten öffnen sich so thematisch und formal einer breiten Leserschaft in der Nachkriegszeit, die ähnliche Erfahrungen gemacht hat oder die sich in den erzählten Einblicken in den Nachkriegsalltag wiederfindet. »Jeder verstand [Borcherts] Sprache und konnte sich einhängen in ihren Rhythmus, erkannte die Bilder wieder, die kleinen Szenen des Glücks und des Leids« (Poppe, S. 51). Die scheinbar einfache äußere Form sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichten sprachlich und formal sehr dicht komponiert sind.

In »Nachts schlafen die Ratten doch« ist die Umsetzung dieser sprachlichen Merkmale der Trümmerliteratur deutlich zu erkennen.
Wolfgang Borchert verwendet eine einfache, allgemein verständliche und oft auch karge Sprache. Der Dialog, der den Hauptteil der Handlung umfasst, lehnt sich an der alltäglichen Umgangssprache an (»Ich kann es nicht sagen. Was anderes eben«, S. 216). Teilweise gibt es auch eine dialektale Sprachfärbung (»Ja, die essen doch von Toten. Von Menschen. Da leben sie doch von«, S. 218), was anzeigt, dass es sich bei den Sprechenden um einfache Leute handelt, mit denen sich jede/r Leser*in identifizieren kann. Die Hauptfigur Jürgen wird, noch bevor ihr Alter genannt wird, durch ihre Wortwahl und Ausdrucksweise als Kind gekennzeichnet, so beispielsweise als Erwiderung auf die Annahme des alten Mannes, dass er er wohl auf Geld in der Ruine aufpasse: »Nein, auf Geld überhaupt nicht, sagte Jürgen verächtlich. Auf ganz etwas anderes. Na, was denn? Ich kann es nicht sagen, Was anderes eben« (S. 216). Und der ältere Mann passt sich dieser kindlichen Ausdrucksweise an, um das Vertrauen des Kindes zu gewinnen, ihm emotional und sprachlich näher zu rücken: »Na, denn nicht. Dann sage ich dir natürlich auch nicht, was ich hier im Korb habe« (S. 216/217).

Wiederholungen von Bildern und Motiven, aber auch auf sprachlicher Ebene von Wörtern, Sätzen und Wendungen fallen im ganzen Text auf. So beispielsweise die Emphase der krummen Beine des Mannes, durch die Jürgen hindurchsehen kann (S. 216, Z. 8/9, Z. 15, S. 217, Z. 11/12, Z. 218, Z. 31, S. 219, Z. 12/13). Dies dient nicht nur der Charakterisierung des Mannes, der als vom Leben und vom Krieg auch äußerlich gezeichnet erscheint, sondern ist auch immer wieder ein Hinweis auf die Perspektive, aus der erzählt wird. Der/die Leser*in folgt der Blickrichtung und der Geschichte durch die Augen von Jürgen. Außerdem wird so in regelmäßigen Abständen im Text auch auf den Größenunterschied zwischen dem kleinen Jungen und dem alten Mann hingewiesen; Jürgen ist eigentlich noch so klein und sitzt so tief zwischen den Trümmern am Boden, dass er nur die Beine des Alten vor sich sieht.
Die immer wieder eingestreuten Wiederholungen wie diese (auch die Wendung »Er hielt den Stock fest«, »Er hielt die Hände fest um den Stock« (S. 216)) geben dem Text eine starke Rhythmisierung.
Die dreimalige Verneinung von Jürgen auf die Einladung des Mannes, die Hausruine zu verlassen und sich seine Kaninchen anzusehen »Nein, sagte Jürgen traurig, nein nein« (S. 217) fungiert als Selbstvergewisserung des Jungen, an seiner selbstgewählten Aufgabe festzuhalten, zeigt gleichzeitig aber auch seine Gewissensskrupel und sein innerliches Ringen (vgl. Hirschenauer, S. 79).

Die Sätze sind meist kurz und einfach im Satzbau. In einem stark parataktischen Stil reiht sich oft ein »Stakkato« von Hauptsätzen aneinander, dazwischen gibt es auch elliptische Sätze, die noch kürzer sind und in denen Satzteile fehlen. Es ist ein »trümmerhafte[r] Satzbau« (Zimmermann, in Brinkmann S. 70), der damit den Inhalt der Erzählung zwischen den Trümmern des Krieges widerspiegelt. Dieser Stil schafft eine große Eindringlichkeit, in der jeder kurze Satz, jedes Wort mit Bedeutung aufgeladen wird und auf eine andere Bedeutungsebene zwischen den Zeilen verweist. Die Ellipsen fungieren dabei als Leerstellen und Andeutungen, bei denen der/die Leser*in aufgefordert ist, sie zu interpretieren: »Aber gehst du denn gar nicht nach Hause? Du musst doch essen. Jürgen hob einen Stein hoch. Da lag ein halbes Brot. Und eine Blechschachtel« (S. 217). Ohne Worte beantwortet diese Geste von Jürgen, der dem alten Mann seine wenigen versteckten Habseligkeiten zeigt, schon mehr, als es jede Antwort getan hätte. Einen Vertrauensbeweis des Kindes, das eigentlich kein Kind mehr sein darf und einen Hinweis auf das existenziell Wenige, was diesem kleinen, einsamen Jungen zwischen den Trümmern zum Überleben geblieben ist. Brot und Tabak sind zudem typische Bilder der Kriegs- und Nachkriegsliteratur. »Ihm [Wolfgang Borchert] ist diese Sprache der wesensgemäße Ausdruck einer zerfallenen Welt, in der alle gültigen Normen und Maßstäbe zerbrochen sind« (Zimmermann, in Brinkmann S. 70).

Der erste Abschnitt der Kurzgeschichte bildet eine Art kurze Einleitung, in der der Rahmen und Hintergrund der Handlung vorgestellt wird. Er setzt sich sprachlich und stilistisch vom Rest der Geschichte ab, da er geprägt ist von einer Bildsprache, die Wolfgang Borcherts Beeinflussung durch den Expressionismus deutlich macht. Im Vergleich zur restlichen Erzählung, in der eher wenige literarische Stilmittel eingesetzt werden, ist die Sprache hier reich an Adjektiven und expressiver Farbsymbolik. Es fallen im ersten Abschnitt eine Fülle von rhetorischen Figuren auf; die leblosen Dinge wie Mauern, hohle Fenster und die gesamte Schuttwüste werden belebt durch Personifikationen (»das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll früher Abendsonne. [...] Die Schuttwüste döste«, S. 216). Sie scheinen alles zu sein, was von dem früheren Leben noch übrig geblieben ist in der Stadt, die sich in eine leblose Trümmerwüste verwandelt hat. Die eindringliche apokalyptische Atmosphäre dieser Eingangsszene wird noch unterstrichen durch die vielen Alliterationen und den Neologismus »Staubgewölke flimmerte zwischen den steilgereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste« (ebd.).

    In der Personifikation leben die Überreste eines Lebens weiter, das sich jetzt bloß noch als leidende Verwüstung und zugleich als träge Duldsamkeit offenbart. (Giachino S. 1)

Die erzählerischen Passagen der Kurzgeschichte stehen in der Tempusform des Präteritum, während die Dialoganteile immer im Präsens stehen. Eine Ausnahme bildet nur die Erinnerungspassage, in der Jürgen vom Bombenangriff auf sein Wohnhaus und dem Tod seines Bruders berichtet.
Es gibt einen auktorialen Erzähler, der jedoch nur in wenigen Passagen tatsächlich als ein solcher allwissender und alles überblickender Erzähler auftritt. So beispielsweise im ersten und letzten Abschnitt der Geschichte, die wie eine Art Rahmen fungieren und den Hintergrund sowie die Atmosphäre der Handlung aus der Perspektive des Erzählers wiedergeben.
Zumeist tritt der Erzähler aber hinter seinen Figuren zurück und der/die Leser*in sieht das Geschehen aus rein personaler Perspektive der Figuren. Hauptsächlich ist das die Perspektive von Jürgen, der Hauptfigur. Das wird vor allem auch daran deutlich, dass es seine Perspektive ist, in der die Geschichte wahrgenommen wird, von unten nach oben zu dem größeren, vor ihm stehenden Mann, von dem er immer wieder vor allem die krummen und »ärmlich behosten Beine« sieht (S. 216).
Ab und zu wechselt die Perspektive zu der des älteren Mannes, wenn er »von oben auf das Haargestrüpp herunter[sah]« (ebd.). Auch hier wird der Unterschied der Sichtweise von unten nach oben bzw. umgekehrt betont und damit auch unterstrichen, dass Jürgens Perspektive die eines Kindes ist.

Die innere Entwicklung, die in Jürgen durch die zufällige Begegnung mit dem Fremden angestoßen wird und die sich aus dem Gespräch der beiden ergibt, spiegelt sich auch in ihrer Sprache wider. Der Junge antwortet am Anfang des Gespräches nur sehr widerwillig auf die Fragen des Alten. Seine Antworten sind entweder nur einsilbig und bestehen aus einem Wort wie »Ja«, »Neun« oder aus kurzen, zum Teil auch unvollständigen Sätzen: »Ich kann es nicht sagen. Was anderes eben« (S. 216).

Dagegen fällt auf, dass der Mann nur fragt, mit dieser Strategie aber bei Jürgen nur noch auf mehr Misstrauen stößt. Erst allmählich ändert er seine Taktik; er passt sich immer mehr der Ausdrucksweise des Jungen an: »Na, denn nicht. Dann sage ich dir natürlich auch nicht, was ich hier im Korb habe« (S. 216/217). Erst hier spricht der alte Mann auch in Aussagesätzen. Er versucht nun, das Vertrauen des Kindes zu gewinnen, indem er ihm andere, unverfänglichere Fragen nach seinem Alter stellt und mit der einfachen Rechenaufgabe seinen Ehrgeiz weckt.

Nachdem er durch die Bemerkung über seine 27 Kaninchen sowohl die Neugier des Kindes geweckt hat, als auch ihm eine neue Perspektive auf etwas Lebendiges in all der Zerstörung aufgezeigt hat, zeigen sich auch erste Veränderungen in Jürgens Sprache. Er spricht in längeren Sätzen mit Subjekt und Pronomen und vertraut dem Mann auch immer mehr von sich an. »Die bis dahin verwendeten Satzbrocken, das Rudimentäre der Sprache hört auf« (Hirschenauer, S. 78). Schließlich folgt der Bericht des Jungen, in dem er stockend, in einem Stakkato aus aneinandergereihten Parataxen und unvollständigen, elliptischen Sätzen von den traumatischen Erlebnissen spricht: »nochmals kehren in den Sätzen des Jungen die ›Satzbrocken‹ wieder, die hier wie Aufschreie wirken« (Hirschenauer, S. 80).

Von nun an und vor allem nach dem Wendepunkt, der Notlüge über die nachts schlafenden Ratten, spricht Jürgen freier in vollständigeren Sätzen: »Ich weiß nicht, sagte er leise [...], wenn sie wirklich nachts schlafen« (S. 218). Zum Ende der Erzählung fragt nun auch Jürgen, als er um ein weißes Kaninchen bittet (vgl. S. 219). Diese Lebendigkeit, seine freieren, vollständigeren Sätze und auch die Lautstärke seines Sprechens steigern sich dann noch einmal zum Schluss, als er dem sich entfernenden Mann sogar hinterherruft. »Am Ende wird das Sprechen sogar zum Rufen, das voll von Leben und Hoffnung auf ein bisschen Glück ist« (Giachino S. 4).

Die innere Veränderung und Wandlung des Jungen und seines Verhältnisses zu seinem Gesprächspartner lässt sich auch an den Adjektiven ablesen, mit denen er bzw. sein Verhalten beschrieben wird. So sind das im ersten Teil der Erzählung, bis zum Höhepunkt, an dem Jürgen von den 27 Kaninchen erfährt, beispielsweise »mutig«, »verächtlich«, »geringschätzig« (S. 216/217), als er nach und nach Vertrauen fasst, wandeln sie sich dann zu »unsicher«, »zaghaft« und »traurig«. Als er beginnt, sein Geheimnis zu offenbaren, flüstert er mehrfach und »sah mit einmal ganz müde aus« (S. 218), er spricht »leise«. Zum Schluss hin wird Jürgen dann vor allem durch eine völlig gewandelte Lebendigkeit in Bewegung und Sprache charakterisiert.

Ein weiteres Motiv, das sprachlich mit Gegensätzen beschrieben wird, ist der große Stock, den der Wache haltende Junge bei sich hat und den er, wie sich später herausstellt, als Waffe gegen die Ratten mit sich führt.

    In einer Gesellschaft und in einem System, das sich durch Krieg und Gewalt auszeichnet, kann auch nur ein ›Gewaltinstrument‹ Stütze und Halt, oder vielmehr Schutz sein. (Burger, S. 60).

Die Art, wie der Junge den Stock handhabt und wie seine Worte dazu kontrastieren, drückt viel über seine innere Haltung und Empfindung aus. So antwortet Jürgen dem Mann zwar zunächst »mutig« auf seine ersten Fragen, hält dabei aber seinen Stock ganz fest, was deutlich seine Angst und Unsicherheit zum Ausdruck bringt (vgl. S. 216). Später, als er an seiner Aufgabe zu zweifeln beginnt, fasst er den Stock wieder »fest« an, antwortet gleichzeitig aber »zaghaft« auf die Frage nach dem mitgeführten Tabak (vgl. S. 217). Der Erzähler macht durch diesen offensichtlichen Gegensatz auch deutlich, dass sowohl der Stock als auch der Tabak Attribute der Rolle des starken, unabhängigen Erwachsenen sind, die Jürgen in der ihn umgebenden feindlichen Welt spielen muss. Nach der befreienden Notlüge des alten Mannes benutzt Jürgen den Stock dann auf einmal zum spielerischen Zeichnen: »Jürgen machte mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt« (S. 218).

Die Symbole und Motive der Kurzgeschichte sind, wie auch viele sprachliche und formale Elemente, antithetisch angelegt. Ihr Einsatz und ihre Veränderung spiegeln die innere Wandlung unter der Oberfläche des Textes und tragen so zum tieferen Verständnis und der großen Dichte und Eindringlichkeit der Kurzgeschichte bei.
Von Anfang an ist die Farbsymbolik auffällig, die den ganzen Text durchzieht. Zunächst wirft die frühe Abendsonne ein an den Expressionismus erinnerndes, blaurotes Licht über eine apokalyptische Landschaft (vgl. S. 216). In das Grau der Trümmerwüste bringen die Kaninchen in Jürgens Vorstellung die Farbe Weiß: »Lauter kleine Kaninchen. Weiße, graue, weißgraue« (S. 218). Sie steht unübersehbar für Reinheit, Licht und Frieden. Zum Schluss hat die Abendsonne schließlich eine rote und damit warme, Geborgenheit vermittelnde Farbe angenommen und das »grüne Kaninchenfutter« steht als Zeichen von Hoffnung, Leben und Neuanfang, trotzdem auch dieses »etwas grau vom Schutt« (S. 219) der Trümmerwüste geworden ist. »Asche und Schutt sind wohl noch da – aber sie vermögen den Korb mit Kaninchenfutter, das Leben also, nicht mehr gänzlich zu überdecken« (Burger, S. 62).

Die titelgebenden Ratten stehen für alles, was in der Geschichte mit Tod, Zerstörung, der Farbe Grau, dem Schutt und der Nacht verbunden ist. »Auch hier bei Borchert sind die Ratten, so wie bei vielen anderen Nachkriegsdichtern, Symbol für Tod, Verwesung und Verfall« (Burger, S. 61). Vor allem sind sie ein Symbol für das Grauen des Krieges, das die Menschen als Trauma auch später noch verfolgt und gegen das sie sich mit allen Mitteln (wie Jürgen mit dem großen Stock), vergeblich zur Wehr setzen. Ihnen gegenüber stehen antithetisch die Kaninchen, die für das Weiche, Zarte, Weiße, für das Leben und die Hoffnung und einen neuen Lebenssinn stehen. Sie wecken das erste Mal Jürgens bereits ganz verschüttete kindliche Neugier wieder, sie schenken ihm Vertrauen zu seinem Gesprächspartner. »Die Kaninchen sind es also, die Jürgen zum ersten Mal aus seiner starren Haltung lösen, zu der ihn – antithetisch gesehen – andere Tiere, die Ratten, veranlaßt haben« (Hirschenauer, S. 79). Und nach und nach ersetzen sie in Jürgens Vorstellung das schreckliche Bild der Ratten, wie die in den Schutt gezeichneten Kuhlen, die sich von imaginierten Betten in Kaninchen verwandeln (vgl. S. 218).

Auch die Sonne, die als Motiv den ganzen Text durchzieht, ist so ein positives Symbol, das dem dunklen und schrecklichen Bild der Ratten antithetisch gegenübersteht. Die Sonne ist es, die bereits das Bild von Zerstörung und Lähmung zu Beginn mit Farbe und Leben erfüllt. Sie ist es auch, die immer wieder durch die krummen Beine des Mannes hindurchscheint und Jürgen zum Blinzeln bringt (vgl. S. 216). Zum Schluss verbreitet die Sonne ein rotes, warmes Licht und der ältere Mann mit den krummen Beinen, der Jürgen wieder Menschlichkeit und neue Lebensfreude aufgezeigt hat, geht »auf die Sonne zu« (S. 219). »Das Motiv der durchscheinenden Sonne [...] erscheint wie ein Fokus, eine neue Perspektive, die in der Zwischenmenschlichkeit das Licht heller erscheinen lässt« (Blume/Fianke, S. 24).

Die rhetorischen Mittel werden in der Kurzgeschichte eher sparsam verwendet. Die beiden Zeilen, in denen der Junge zum ersten Mal etwas über das Geheimnis seines Wachehaltens verrät, werden in der Figur des Chiasmus einander symmetrisch gegenübergestellt: »Immerzu? fragte der Mann, nachts auch? – Nachts auch. Immerzu. Immer« (S. 217). Die Antwort des Jungen weist zudem die Steigerungsform der Klimax auf, was die Ausweglosigkeit seiner Situation noch unterstreicht und den inneren Zwang, unter den ihn der schreckliche Verlust des kleinen Bruders gestellt hat, verstärkt.

    Diese Reihenfolge erhöht die Intensität, sie zeigt die Gewissensskrupel, in die der Junge gerät durch die Aussicht, in dieser Welt des Todes und der Vernichtung vielleicht mit etwas so Lebendigem spielen zu dürfen. (Hirschenauer, S. 79)

Ähnliches deutet die Wiederholung und Parallelität der Sätze im Bericht des Jungen über den Bombenangriff und den Tod des Bruders an, wo er sagt: »Er war doch viel kleiner als ich. Erst vier. Er muß ja noch hier sein. Er ist doch viel kleiner als ich« (S. 218). Der Tempuswechsel vom Präteritum zum Präsens in den sonst parallel gebauten Sätzen deutet ein Gefühl der Schuld an, das der Junge seinem viel kleineren Bruder gegenüber verspürt, da er ihn nicht beschützen konnte. Außerdem weist es auf das Verantwortungsgefühl hin, das er noch immer ihm gegenüber hat und das ihn zu der unmöglichen Aufgabe gebracht hat, zumindest über den toten Bruder noch zu wachen, um ihn vor den Ratten zu beschützen.

Die Eindringlichkeit und Überzeugungskraft der Notlüge des alten Mannes, mit der er den Jungen aus seiner ausweglosen und gefährlichen Lage retten möchte, verstärkt sich durch die rhetorische Figur der Anapher in den parataktischen Sätzen »Nachts schlafen die Ratten doch. Nachts kannst du ruhig nach Hause gehen. Nachts schlafen sie immer« (S. 218). Die Wandlung, die diese titelgebende Lüge des Mannes in Jürgen auslöst, der Ausweg, den sie ihm aus seiner Zwangslage bietet, wird ebenfalls durch die Figur der Anapher im folgenden Abschnitt unterstrichen, als Jürgen mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt zeichnet: »Lauter kleine Betten sind das [...]. Lauter kleine Kaninchen« (ebd.).

Veröffentlicht am 8. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 8. August 2023.