Skip to main content

Der Vorleser

Prüfungsfragen

  • Beschreibe das Machtverhältnis in der Beziehung zwischen Hanna und Michael.

    Bei der Beziehung zwischen Hanna und Michael handelt es sich nicht um eine Beziehung auf Augenhöhe, da bereits der Altersunterschied von 21 Jahren für ein Machtgefälle sorgt, welches den 15-jährigen Michael stark benachteiligt. Er kann sich gegen die erwachsene Frau nicht durchsetzen, sodass diese ihn erniedrigt und dominiert, bis er sich unterwirft. Auch wenn die romantischen Gefühle beider Protagonisten als real interpretiert werden können, sorgt Hannas herrische Art dafür, dass Michael Verlustängste entwickelt und in eine Abhängigkeit gerät, die er erst viele Jahre später langsam überwinden kann.

  • Wieso reagiert Hanna unsicher auf den Kosenamen »Pferd«?

    Als Hanna Michael bittet, ihr einen Kosenamen zu geben, und dieser sich für »Pferd« entscheidet, reagiert Hanna zunächst entsetzt und ist dann unsicher, wie sie diesen aufnehmen soll. Dies kann als bloße Verwirrung über den Vergleich betrachtet werden, der üblicherweise eher negativ aufgefasst wird. Jedoch ließe sich Hannas Unsicherheit auch durch ihre Vergangenheit begründen, da in dem KZ, in welchem sie eingesetzt war, eine besonders grausame Aufseherin als »die Stute« bekannt war. Durch Hannas ambivalenten Charakter, der zwischen Fürsorge und emotionaler Distanz bis hin zu Aggression schwankt, bleibt unklar, ob sie sich an die Frau erinnert fühlt oder ob es sich um ihren eigenen Spitznamen handelte.

  • Wie beeinflusst Hanna Michaels spätere Entwicklung?

    Die Beziehung zu Hanna verändert Michaels Leben auf mehreren Ebenen. Zunächst gewinnt er an Selbstbewusstsein, wodurch er neue Freundschaften schließt. Als Hanna fortgeht, löst dies bei Michael ein Trauma aus, das zu emotionaler Distanz und einem Gefühl der Betäubung führt. Michael ist nicht mehr in der Lage, intime Beziehungen zu führen, ohne die Frauen mit Hanna zu vergleichen, wodurch seine Ehe und mehrere Partnerschaften scheitern. Durch ihren Gerichtsprozess nimmt Hanna auch indirekten Einfluss auf Michaels Karriere, da dieser sich nicht mehr in der Lage sieht, den Beruf des Richters oder Staatsanwalts auszuführen und stattdessen Rechtshistoriker wird und sich auf das Dritte Reich spezialisiert.

  • Welche Einstellungen zeigen Hanna und Michael zum Nationalsozialismus?

    Michael ist erklärter Gegner des nationalsozialistischen Gedankenguts. Er verurteilt als Jugendlicher, wie viele andere der ersten Nachkriegsgeneration, die gesamte Generation seiner Eltern dafür, die Grausamkeiten der Nationalsozialisten nicht gestoppt zu haben. Später reflektiert er sein Verhalten gegenüber seinen unschuldigen Eltern zwar, bleibt jedoch bei seiner Ansicht und kämpft schwer mit der Schuld, eine Täterin geliebt zu haben.
    Hannas Einstellung zum Nationalsozialismus ist ambivalent. Da sie ihre Vergangenheit vor Michael verschweigt, ist davon auszugehen, dass ihr ihre Schuld bewusst ist. Im Prozess zeigt sie jedoch wenig Reue und Mitgefühl für die Opfer. Sie äußert auch keinen Hass gegen diese, führte die Befehle der SS aber pflichtbewusst aus, ohne diese zu hinterfragen. Erst am Ende des Romans zeigt sie Reue für ihre Taten.

  • Welche Rolle spielt die Schuld im Roman?

    Die Schuld ist ein zentrales Motiv des Romans, das in mehreren Zusammenhängen eine Rolle spielt. Schlink thematisiert die Schuld der Kriegsgeneration am Vergehen der Nationalsozialisten und die Vergangenheitsbewältigung der Nachkriegsgeneration. Hier behandelt er durch die Figur Hanna Schmitz die Schuld der Täter und durch Michael die Frage nach der Schuld derjenigen, die diese Täter lieben. Auch der Generationenkonflikt, der hieraus entsteht, da es sich zumeist um die Beziehung der Nachkriegsgeneration zu ihren Eltern handelt, wird durch Michael und Hanna, sowie zweitrangig durch seine Eltern, dargestellt.
    Die Schuld wird außerdem auf der Beziehungsebene thematisiert, da Hanna als erwachsene Frau sich des sexuellen Missbrauchs am minderjährigen Michael schuldig macht. Dieser wiederum fühlt sich am Ende des ersten Teils schuldig für ihr Fortgehen.

  • Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der Dreiteilung des Romans und der Beziehung zwischen Hanna und Michael?

    Die Dreiteilung des Romans spiegelt die drei Stadien von Michaels Beziehung zu Hanna wider. Im ersten Teil lernen Michael und Hanna sich kennen. Sie führen eine Beziehung miteinander, die zwar von Machtspielen und Erniedrigung, aber auch von Liebe und sexueller Lust geprägt ist. Die Beziehung der beiden steht im ersten Teil im Fokus und rückt im zweiten Teil in den Hintergrund, da Hanna die Stadt verlassen hat. In diesem Teil des Romans wird vorwiegend Hannas Vergangenheit und die damit verbundene Schuldfrage thematisiert. Durch Hannas Schuld als KZ-Aufseherin und ihr plötzliches Verschwinden entsteht eine emotionale Distanz, die Michael auch wahren will, da er sich durch seine Liebe zu ihr mitschuldig für ihre Taten fühlt.
    Im dritten Teil des Romans folgt schließlich eine leichte Annäherung, auch wenn die Kommunikation der beiden jahrelang sehr einseitig verläuft. Michael nimmt Kassetten für die inhaftierte Hanna auf und diese schickt ihm nach einer Weile regelmäßig Briefe, die Michael jedoch aus Gründen des Selbstschutzes nicht beantwortet. Als sie sich kurz vor Hannas Entlassung wiedersehen, erkennt Michael Hanna kaum wieder. Parallelen zu seiner ehemaligen Geliebten, und damit eine erneute Annäherung, entdeckt er erst später, als die Beziehung der beiden durch Hannas Freitod endet. Erst zehn Jahre nach ihrem Tod schafft Michael es, sich emotional von Hanna zu lösen.

  • Welche Rolle spielt Michaels Besuch bei der überlebenden Tochter für ihn und Hanna?

    Michael besucht die überlebende Tochter, um ihr das Geld zu übergeben, welches Hanna ihr nach ihrem Freitod hinterlässt. Für Hanna geht es um eine letzte Entschuldigung sowie um eine Form der Anerkennung ihrer Reue. Sie weiß, dass sie ihre Taten nicht wiedergutmachen kann und bemüht sich dennoch, der Überlebenden das zu geben, wozu sie noch imstande ist.
    Für Michael ist der Besuch der Frau wichtig, da er somit Hannas letzten Wunsch ausführt. Außerdem ist die Überlebende die Einzige, die Michael Hannas sexuelles Vergehen an ihm deutlich vor Augen führt. Auch wenn dieser nicht auf ihre Aussagen eingeht, reflektiert er die Problematik ihrer Beziehung später.

  • Interpretiere die Bedeutung des Kosenamens »Jungchen«.

    Hannas Kosename für Michael wird als Verdeutlichung des problematischen Altersunterschieds zwischen den beiden Protagonisten genutzt. Der Name erinnert den Leser stetig daran, dass es sich bei Michael um einen Jugendlichen handelt, während Hanna bereits eine erwachsene Frau ist, die den Jungen rechtlich betrachtet sexuell missbraucht.

  • Wieso friert Michael nicht?

    Michaels Verlust des Kälteempfindens kann als Folge seines Traumas nach Hannas Fortgehen interpretiert werden. Er ist verletzt und betäubt seine Gefühle unterbewusst, um sich selbst vor weiteren Verletzungen zu schützen. Das Ausmaß seines Traumas wird durch die Umkehrung seiner inneren Betäubung nach außen dargestellt. So empfindet Michael zunächst emotionale Kälte, die zu physischer Kälte wird und ihn letztlich krank macht.

  • Welche Rolle spielt Sophie für Michael und den Roman?

    Sophie ist eine Mitschülerin und Freundin von Michael, die im Laufe des Romans auch Gefühle für ihn entwickelt. Sie stellt eine weibliche Kontrastfigur zu Hanna dar. Während Sophie jugendlich, freundlich und offen ist, wird Hanna als weiblich, emotional distanziert und verschlossen beschrieben. Sophies Gegensätzlichkeit unterstreicht diese Darstellung und erinnert zudem daran, wie Michaels Leben ohne Hanna hätte aussehen können. Durch ihre subtilen Gefühle füreinander wird dem Leser klar, dass ohne die Begegnung mit Hanna auch Sophie Michaels Jugendliebe hätte werden können.

Veröffentlicht am 22. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 22. August 2023.