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Der Vorleser

Teil 1, Kapitel 13-17

Zusammenfassung

Zu Beginn des neuen Schuljahres wird Michaels Klasse auf die anderen Parallelklassen aufgeteilt. Hier lernt er Sophie kennen, die neben ihm sitzt und ihn freundlich anlächelt. Durch seine Erfahrungen mit Hanna hat Michael, anders als seine Mitschüler, keine Angst vor den Mädchen. Diese mögen ihn deshalb und auch bei den übrigen Jungen findet er schneller Anschluss. Im Unterricht übersetzen sie die Odyssee. Als er an die Romanfigur Nausikaa denkt, fragt Michael sich, ob er bei der schönen Frau eher an Sophie oder an Hanna denken soll.

Das Ritual, erst vorzulesen, dann gemeinsam zu duschen, miteinander zu schlafen und noch beieinander zu liegen, behalten Michael und Hanna auch im Sommer weiterhin bei. Hanna beginnt, Michael Kosenamen zu geben, statt ihn immer nur »Jungchen« zu nennen. Als sie ihn fragt, welches Tier er mit ihr verbinde, nennt Michael das Pferd. Er begründet dies sehr positiv, umschreibt ihren glatten, weichen, aber starken Körper und ihre zuckende Wade, die ihn an das Tier erinnert. Doch Hanna ist unentschlossen, wie sie dies findet, obwohl sie stets eine Meinung zu jedem Thema hat. Schließlich stellt sie fest, dass sie es mag, wenn er Pferd zu ihr sagt. Sie gehen in der Nachbarstadt gemeinsam ins Theater und Michael denkt darüber nach, dass es ihm in seiner Heimatstadt nicht egal gewesen wäre, mit Hanna gesehen zu werden.

Sein Leben dreht sich in diesem Sommer nicht mehr nur um Hanna und die Schule. Er verbringt seine Nachmittage auch häufig mit seinen Klassenkameraden im Schwimmbad.

Auch seinen Geburtstag feiert Michael mit seinen Freunden im Schwimmbad. Er verlässt seine Freunde schließlich, um Hanna zu besuchen. Diese weiß nicht, dass er Geburtstag hat und ist schlecht gelaunt. Michael wünscht sich insgeheim zu seinen Freunden zurück. Als er selbst ebenfalls schlechte Laune bekommt, geraten sie in Streit und als Hanna ihn ignoriert, bekommt Michael sofort Angst, sie zu verlieren. Er erniedrigt und entschuldigt sich, ist jedoch trotzdem wütend.

Michael fühlt sich, als würde er Hanna verraten, als er sie vor seinen Klassenkameraden verschweigt. Zunächst denkt er, dass er ihnen noch nicht genügend vertraut und schließlich ist es zu spät, um noch von Hanna zu berichten. Die anderen Jugendlichen bemerken, dass Michael ein Geheimnis hütet. Sophie fragt ihn, ob ihm seine Gelbsucht noch zu schaffen mache und ob er zu Arztterminen gehe, wenn er das Schwimmbad vorzeitig verlasse. Er hat das Gefühl, ihr von Hanna erzählen zu müssen, entschließt sich jedoch trotzdem dagegen.

Hanna gibt nicht viel von ihrem Leben preis. So antwortet sie Michael auch nicht auf die Frage, was sie in ihrer Freizeit mache, wenn er nicht da ist. Michael fällt auf, dass er sie niemals zufällig in der Stadt trifft.

Nur ein einziges Mal treffen sie sich zufällig in der Öffentlichkeit. Hanna war bereits tagelang in einer merkwürdigen Stimmung, erzählt Michael jedoch nicht, was sie so beschäftigt. Michael leidet darunter, weil er sich zurückgewiesen und hilflos fühlt. Plötzlich verhält sich Hanna wieder normal. Als Michael sie besucht, möchte sie ihn baden, anschließend schläft sie wieder mit ihm. Auch auf der sexuellen Ebene spürt Michael eine Veränderung, da Hanna sich ihm ungewöhnlich hingebungsvoll zeigt, als wolle sie mit ihm gemeinsam ertrinken. Schließlich schickt sie ihn zu seinen Freunden ins Schwimmbad. Dort fühlt Michael sich plötzlich falsch und die Gespräche der Mitschüler erscheinen ihm irrelevant. Als seine negative Stimmung verflogen ist, sieht er plötzlich Hanna, die aus einigen Metern Entfernung zu ihm herübersieht. Als er nach kurzer Überlegung aufsteht, um zu ihr zu gehen, ist sie gegangen.

Am nächsten Tag ist Hanna weg. Michael befragt den Eigentümer des Hauses und ruft auch bei der Bahngesellschaft an, für die Hanna arbeitet. Er erfährt, dass sie am Morgen aus ihrer Wohnung ausgezogen war und auch nicht zur Arbeit erschienen ist. Erst vor 14 Tagen habe man ihr eine Beförderung zur Fahrerin angeboten und heute habe sie einfach gekündigt. Als Michael beim Einwohnermeldeamt nachfragt, erfährt er, dass Hanna sich nach Hamburg abgesetzt hat.

Er vermisst Hanna und fühlt sich schuldig für ihren Fortgang, weil er denkt, dass sie ihn verlassen habe, als sie sah, dass er im Schwimmbad gezögert hatte, sie vor seinen Freunden zu begrüßen.

Analyse

Michaels Entwicklung wird auch durch sein Verhältnis zu seinen Mitschülern verdeutlicht. Seine Erfahrungen mit Hanna haben nicht nur negative, sondern auch positive Auswirkungen für den Jungen. Er entwickelt ein Selbstbewusstsein, welches ihm vor allem den Umgang mit den Mädchen erleichtert – wodurch er auch bei seinen männlichen Mitschülern ein hohes Ansehen genießt. Die Mitschülerin Sophie entwickelt sich zu einer weiblichen Kontrastfigur. (Vgl. Köster 35f.) Während Hanna als starke, sehr weibliche, herrische und geheimnisvolle Frau umschrieben wird, die aufregend, lustvoll und sexuell aufgeschlossen ist, bildet Sophie eine typische Jugendliche in Michaels Alter ab. Das Mädchen ist sehr freundlich, jung und schön und erweckt im Vergleich zu Hanna einen unschuldigen Eindruck. Auch im späteren Verlauf des Romans zeigt sie sich offen und gütig und vereint somit Merkmale, die Hanna nicht besitzt. Sophie verdeutlicht somit indirekt Hannas Charakter und die Schwierigkeiten in der Beziehung zu Michael.

Ein weiterer interessanter Aspekt sind die Kosenamen, die Hanna und Michael einander geben. Sie nennt ihn zumeist »Jungchen« und verdeutlicht somit auch auf der Ebene ihrer Ansprache das Machtgefälle in der Beziehung. Durch die weiteren Kosenamen, die sie ihm gibt, zeigt sie sich zunehmend offener und persönlicher. Dies beweist auch ihre Frage, an welches Tier sie ihn erinnere. Als Michael sie mit einem Pferd vergleicht, reagiert sie unsicher. Eine Erklärung für diese untypische Reaktion findet sich im zweiten Teil des Romans. Hier wird erwähnt, dass es in dem KZ, in welchem Hanna eingesetzt war, eine Aufseherin gab, die als »die Stute« bekannt war. Die Frau wurde für ihre unbarmherzige und gewaltsame Art gefürchtet – ihr Name ist nicht bekannt. Hier gibt es zwei mögliche Interpretationen. Eine Möglichkeit besteht darin, dass Hanna diese Aufseherin war und kurz darüber nachdenkt, ob Michael ihre Identität bekannt sein könnte. Diese These wird vor allem durch Hannas gewaltsames, aggressives Verhalten sowie die – zumindest rechtlich als solche geltenden – sexuellen Übergriffe gestützt. Jedoch zeigt sie sich Michael auch liebevoll und erscheint dabei zwar meist verschlossen, aber nicht unaufrichtig. Ihr Zögern kann somit auch als Erinnerung an eine grausame Aufseherin betrachtet werden, die sie kannte und mit der sie nicht verglichen werden will. Schließlich gewährt sie Michael den Kosenamen doch, da ihr die liebevolle Erklärung und die dadurch entstehende positive Konnotation des Begriffs gefällt, durch die sie eine schlimme Erinnerung überdecken kann.

Michael entwickelt zunehmend ambivalente Gefühle für Hanna. Er liebt sie, doch nach außen hin ist ihm die Beziehung zu der älteren Frau peinlich, sodass er sie vor seinen Freunden geheim hält. Hierfür fühlt er sich schuldig – vor allem Sophie gegenüber, für die er ebenfalls Gefühle hegt. Die Beziehung gewinnt an Normalität und verliert somit an Priorität. Dies zeigt sich als positive Entwicklung für Michael, der nicht mehr nur in Hanna Erfüllung findet, sondern auch in der Zeit mit seinen Freunden. Zudem leidet der Junge zunehmend unter Hannas Erniedrigungen, denen er sich stets beugt, da er trotz seiner freundschaftlichen Beziehungen zu den Mitschülern und Sophie unter großen Verlustängsten leidet. Auch ihre verschlossene, unkommunikative Art bereitet Michael zunehmend Schwierigkeiten.

Die missbräuchliche Ebene ihrer sexuellen Beziehung verdeutlicht Schlink durch das Baden. Hannas Ausspruch »Lass mich dich baden, Jungchen« (S. 77) verstärkt den Eindruck, dass es sich nicht um eine Beziehung auf Augenhöhe handelt. Stattdessen erinnert die Szene an Michaels Kindheitserinnerung und Hanna rückt durch das aktive Baden des Jungen in die Rolle seiner Mutter. Schlink beschreibt eine Beziehung, die die beiden Figuren zwar aus eigenem Willen führen, die jedoch trotzdem einen unangenehmen, inzestuösen Eindruck erweckt. (Vgl. Fricke 7) Hanna badet Michael wie ein Kind und schläft anschließend mit ihm. Michael wird somit in eine kindliche Rolle gerückt und dennoch sexualisiert.

Veröffentlicht am 21. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 21. August 2023.