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Der Vorleser

Rezeption und Kritik

»Bernhard Schlinks Roman ›Der Vorleser‹ prägt seit Mitte der 1990er Jahre die literarische Erinnerungskultur und sein weltweiter Erfolg hat ihn zu einem festen Bestandteil des Lektürekanons an deutschen Schulen gemacht.« (Morgenroth 238)

Zunächst wurde Schlinks Roman durch die großen Tageszeitungen fast ausschließlich positiv aufgenommen, was den Autoren selbst verwunderte, da er sein Werk selbst als »politisch inkorrekt« betrachtet und demnach mit negativen Kritiken gerechnet hatte. (Vgl. Heigenmoser 98) Die erste größere Rezension zum »Vorleser« verfasste der deutsche Literaturkritiker Tilman Krause, der sich begeistert und wertschätzend äußerte. (Vgl. ebd.) Tilman lobt unter anderem, dass Schlink »nicht im Sinne rechter Revisionisten auf das Schwingen von Faschismuskeulen seinerseits mit dem Geschützdonner der Verurteilung« reagiert, und auch »die ›große‹ historische Schuld [...] nicht durch die ›kleine‹ persönliche relativiert.« (ebd. 99) Stattdessen stellt er fest:

    »Schlinks mutiges Buch mündet nicht in die Losung ›alles verstehen heißt alles verzeihen‹. Wenn es denn eine Lehre vermittelt, so heißt sie eher: ›Man wird nie alles verstehen, darum sollte man sich gerechterweise mit dem Verurteilen zurückhalten.‹« (Ebd. 99f.)

Letztlich gehe es aber nicht um die Lehre, sondern um eine aufregende Fallgeschichte mit einem guten Erzählstil, die hohen Stellenwert für die deutsche Literatur der Gegenwart besitze. (Vgl. ebd. 100)

Auch die Autorin und Journalistin Marion Löhndorf äußert sich positiv über den Roman. Der Ansatz, die Vergangenheit durch das Aufschreiben von Erinnerungen zu verarbeiten, erachtet sie als den einzigen Ansatz, sich dem Nationalsozialismus zu nähern: »Sich erinnern, darüber schreiben, darüber sprechen. Der Roman selbst tut es auf beeindruckende, nachhaltige Weise.« (Ebd. 101) 

Im Jahr 1997 wurde »Der Vorleser« ins Englische übersetzt. Auch wenn Schlinks Roman ein deutsches Werk ist, welches sich mit der Verarbeitung der deutschen Vergangenheit befasst, »genoss der ›Vorleser‹ lange den Status eines internationalen Bestsellers und hat sich nirgendwo besser verkauft und wahrscheinlich mehr Leser erreicht als in den Vereinigten Staaten.« (Donahue 223) Das Werk fand großen Anklang und wurde von beinahe jeder großen Tageszeitung sowie diversen kleineren Zeitungen rezensiert. (Vgl. ebd.) Mitverantwortlich für den enormen Erfolg war auch Oprah Winfrey, die das Werk im Jahr 1999 in ihrem Fernsehbuchclub thematisierte, in der Schlink sogar persönlich auftrat und sich den Fragen der Fans stellte. (Vgl. ebd. 223f.)  

Nach der ersten positiven Aufnahme kam jedoch vor allem in der akademischen Welt erste Kritik auf. (Vgl. Morgenroth 238) Diese Kritik bezieht sich vor allem auf zwei Punkte: Zunächst wird Schlink vorgeworfen, er verharmlose die Verbrechen des Nationalsozialismus, weil er nicht die Verbrechen selbst, sondern das Schweigen der Täter thematisiere und problematisiere. (Vgl. ebd.) Zudem würde Hannas Analphabetismus als Legitimation für ihre Verbrechen sowie ihr Schweigen darüber genutzt. (Vgl. ebd.) 

Eine besonders drastische Meinung formulierte der deutsche Literaturkritiker Willi Winkler. In einem Artikel der »Süddeutschen Zeitung« schrieb er, »Schlink wolle ›treudeutsch mit der Vergangenheit aufräumen‹; der gesamte Text sei ›Holo-Kitsch‹, der sich das Recht nehme, ›die Judenvernichtung an einem Musterfall zu erklären‹.« (Fricke 12)

Im März 2002 erregte außerdem eine Debatte im »Times Literary Supplement« Aufsehen, die der Germanistik-Professor Jeremy Alder anstieß, der das Werk als »Kulturpornographie« bezeichnete. (Vgl. Lewis 554) In einem darauffolgenden Leserbrief von Frederic Rafael stellt dieser die Beziehung zwischen Michael und Hanna als Duldung des Bösen dar. Die Debatte findet ihren Höhepunkt in der Aussage, wenn Literatur noch etwas bedeute, habe »Der Vorleser« keinen Platz in ihr. (Vgl. Fricke 12.)   

Insgesamt lässt sich jedoch festhalten, dass »Der Vorleser« trotz einiger Kritik großen Erfolg erzielte. Bereits im Frühjahr 1999 lagen Übersetzungen des Romans in 25 Sprachen vor. (Vgl. Köster 19) Bis heute wurde das Buch sogar in über 50 Sprachen übersetzt und mit nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. 

Im Jahr 2008 wurde der internationale Bestseller schließlich in deutsch-amerikanischer Koproduktion verfilmt. Die Regie übernahm Stephen Daldry. Die Hauptrollen werden von Kate Winslet - die für die Rolle der Hanna Schmitz einen Oscar gewann - sowie dem jungen deutschen Nachwuchsschauspieler David Kross in der Rolle des jungen Michael besetzt. Den erwachsenen Michael Berg spielt Ralph Fiennes. (Vgl. Greese/Peren-Eckert 114) Der Film kam im Februar 2009 in die deutschen Kinos und erzielte, wie bereits der Roman, großen Erfolg. 

Veröffentlicht am 22. August 2023. Zuletzt aktualisiert am 22. August 2023.