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Tschick

Sprache und Stil

Wolfgang Herrndorf nutzt in »Tschick« eine Kunstsprache, die sich an die Alltagssprache anlehnt und Züge der Jugendsprache und des Slangs aufweist. Damit verleiht er dem 14-jährigen Ich-Erzähler Authentizität, also Glaubwürdigkeit. Außerdem entsteht eine Nähe zwischen Leser*in und Erzähler. Herrndorf gelingt der Spagat, sich an die Jugendsprache anzunähern, ohne aufgesetzt zu wirken. Er selbst sagte dazu: »Wenn man erst anfängt, mit Slang um sich zu schmeißen, wird man doch schon im nächsten Jahr ausgelacht« (Scholz, 65) und deutet damit die Schnelllebigkeit der Jugendsprache an.

Maik schildert seine Erlebnisse als Ich-Erzähler in zwei Formen: Von Kapitel 1-4 und im letzten Abschnitt des 42. Kapitels spricht er als erlebendes Ich. Maik erzählt im Präsens aus der Situation heraus und ohne zeitlichen Vorsprung. Die zweite Form ist die des erzählenden Ichs. Sie setzt mit dem 5. Kapitel ein, ab dem Maik rückblickend und sich-erinnernd von seinen Erlebnissen erzählt. Die Zeitform wechselt daher ins Präteritum oder Perfekt. Durch die zeitliche Distanz kann Maik seine Erzählung mit Kommentaren versehen.

Die Handlung wird durch Maiks Innensicht mit subjektiver Färbung wiedergegeben. Dazu erhält er Bestätigung oder Widerspruch von anderen Figuren. Durch die Ich-Perspektive ist die Erzählweise unzuverlässig. Maik zweifelt oder schätzt Situationen falsch ein. Zum Beispiel glaubt er, dass er nie wieder etwas von Isa hören wird, eine Annahme, die zum Romanende widerlegt wird. Es handelt sich also nicht um Tatsachen. Der oder die Leser*in darf Maiks Aussagen anzweifeln und hinterfragen. Zahlreiche Dialoge und direkte Rede sorgen für einen lebendigen Erzählstil, der die anderen Figuren persönlich zu Wort kommen lässt und sie charakterisiert. Allerdings entspringen auch die Dialoge Maiks Erinnerungen.

Der Satzbau ist einfach gehalten und meist parataktisch. Das heißt, er besteht aus mehreren Hauptsätzen. Einen großen Einfluss hat die vom Autor verwendete konzeptionelle Mündlichkeit, wodurch die Eindrücke des Erzählers angeglichen an den Sprechrhythmus verschriftlicht werden. Dadurch kommt es zu fehlerhaften Syntaxen, zum Beispiel durch die Abtrennung des Wortes »weil«: »Weil, das war zu einer Zeit, da hatten wir gerade ein Herbarium angelegt« (34) und Ellipsen (Satzfetzen) wie »Für Bäume« oder »Hölle.« (34) Auch die Verschriftlichung von Dialekten und Umgangssprache sind Merkmale dieses Stils.

Neben Standardsprache kommt es zu Ausdrücken der Jugendsprache, welche dafür typische Stilmittel beinhaltet: Neologismen (Wortneuschöpfungen): »strahlkotzen« (34), flektierte Fremdwörter, die an die deutsche Grammatik angepasst werden: »ganz okaye Lüge« (234), Superlative und Steigerungen durch Präfixe (Vorsilben): »endbescheuert« (21) sowie Anglizismen: »No way.« (83) 

Weiterhin bedienen sich die Charaktere der Fäkalsprache wie: »Scheißschule« (40), »verpissen« (162) oder »Arschloch« (241) sowie obszöner Begriffe und Vulgärsprache, zum Beispiel: »Fotze« und »Ficken« (151). Die Sprache wirkt somit derb, direkt und herablassend und bedient sich zusätzlich diskriminierender Vorurteile. Die daraus resultierende Radikalität ist ein Merkmal der Jugendsprache, wodurch eine Distanzierung von den Erwachsenen sowie Respekt und Akzeptanz in der Gruppe erzielt werden soll (vgl. Kramper, 56).

Mehrere Figuren greifen in ihren Äußerungen auf Ironie zurück, insbesondere Herr Wagenbach: »so schön es auch ist, sich mit dir zu unterhalten.« (45) Maik verwendet ebenfalls dieses Stilmittel, teilweise in Form von Selbstironie, um seine Unsicherheit zu überspielen. Über- und Untertreibungen drücken starke Empfindungen aus.

Anschaulichkeit entsteht durch Vergleiche und Metaphern, auch auf komische Weise wie bei »Flusspferd« (193) für die Sprachtherapeutin. Besonders typisch für Maik ist der Ausdruck: »Aber [...] zog mir komplett den Stecker«, eine Metapher, mit der er seine Fassungslosigkeit ausdrückt. Ähnlich verhält es sich mit dem Ausspruch »Alter Finne« (16).

Einen Kontrast zur derben Jugendsprache bilden die Naturbeschreibungen, die ohne obszöne Begrifflichkeiten auskommen und stattdessen bildhaft beschrieben werden: »Wie Handtücher auf abschüssigem Gelände lagen die Felder rechts und links. Dann kam der Wald, und als der Wald endete, standen wir über einer Schlucht mit einem glasklaren See drin.« (166) Die beruhigende und überwältigende Wirkung, die die Natur auf Maik hat, spiegelt sich in seiner Sprache wider.

Veröffentlicht am 29. Dezember 2023. Zuletzt aktualisiert am 29. Dezember 2023.