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Tschick

6. Abschnitt (Kapitel 20-24)

Zusammenfassung

Maik und Tschick sind unterwegs. Dabei nimmt Maik alles intensiver wahr, schöner und seltsamer. Sie verlassen Berlin direkt und fahren dann auf Landstraßen. Allerdings haben sie keine Karte. Da die Walachei in Rumänien liegt, versuchen sie es Richtung Süden, können sich aber bei einem aufziehenden Gewitter und mit Maiks unbrauchbarem Kompass nicht orientieren. Im Auto finden sie eine Kassette mit klassischer Musik, die sie hören. Maik erinnert das an Tatjana. Nachdem sich ein anderer Fahrer bei ihrem Versuch, auf die Autobahn zu fahren, mit wilden Gesten über sie beschwert, testen die beiden 14-Jährigen, wie sie Tschick älter wirken lassen. Die glaubhafteste Version ist die, bei der sich Tschick ein Quadrat aus schwarzem Isolierband unter die Nase klebt, womit er wie Hitler aussieht. Sie nutzen das Werfen einer Münze oder Primzahlen, um eine Richtung zu bestimmen. Zum Schluss wählen sie die am wenigsten befahrenen Strecken.

Als ein Gewitter aufzieht, fährt Tschick in ein Weizenfeld, um dem Wind auszuweichen. Nach einem recht schnell scheiternden Versuch, ihre Namen in das Feld zu schreiben, finden sie dessen Ausgang und blicken auf weitläufige Weiden und Felder. Sie bestaunen den Anblick, picknicken im Auto und übernachten darin, als das Gewitter losbricht.

Tschick überredet Maik dazu, fahren zu lernen. Denn mit dem Argument, dass Maik nur Angst habe, hat er recht. Obwohl Maik sehr nervös ist, findet er Spaß daran und übt auf einer Wiese, während Tschick sich sonnt. Niemand beobachtet sie. Maik will auch noch wissen, wie das Kurzschließen funktioniert und Tschick erklärt es ihm. Maik fühlt sich wie in einer Parallelwelt.

Sie machen an einer Bäckerei halt, um Kaffee und belegte Brötchen zu kaufen. Dort treffen sie ihren Klassenkameraden Lutz Heckel mit seiner Familie. Dieser fragt, was sie hier machen würden, und äußert abfällige Bemerkungen gegenüber Tschick. Maik behauptet, Verwandte zu besuchen, und Tschick ergänzt dies mit dem Flüchtlingslager. Sie seien mit dem Fahrrad unterwegs. Überraschenderweise kauft Lutz’ Vater ihnen eine große Ladung Brötchen. Maik und Tschick bleiben noch eine ganze Weile bei der Bäckerei sitzen.

Maik beobachtet zahlreiche Rentner, die mit Reisebussen ankommen. Ihr Anblick deprimiert ihn. Er kann sich nicht vorstellen, dass sie auch mal jung waren. Nun seien die Schönen nicht mehr von den Langweiligen zu unterscheiden. Tschick macht ihn auf zwei Polizisten aufmerksam, die parkende Autos und Nummernschilder kontrollieren. Daraufhin machen sich die beiden unauffällig davon und tauschen auf einem Waldparkplatz das Nummernschild des Ladas mit dem eines anderen Autos aus. Sie rasen durch die Felder, landen bei einem großen Wald und beschließen, für ein paar Tage wandern zu gehen, um den Lada aus dem Verkehr und damit der Aufmerksamkeit zu ziehen.

An einem Kiosk decken sie sich mit ausreichend Snacks und sogar Bier ein. Am Abend liegen Tschick und Maik in ihren Schlafsäcken und beobachten die Sterne. Für beide ist das ein besonderer Anblick, viel besser als Fernsehen. Tschick will von Maik wissen, ob er an außerirdisches Leben glaube. Maik hält das für möglich und trifft mit seiner Antwort genau Tschicks Meinung. Sie erfinden Geschichten darüber, was sich alles im Weltraum abspielen könnte und sind von Staunen erfüllt.

Am nächsten Morgen ist Maik beunruhigt, denn Tschick ist nicht da. Doch Tschick taucht wieder auf. Er hat nur nach dem Lada gesehen. Sie beschließen, weiterzufahren. Das Warten ergibt für sie keinen Sinn mehr. Bevor sie aufbrechen, begegnen sie einer Gruppe Jugendlicher, die von einem Erwachsenen begleitet wird. Auf Maik wirken sie fremd. Ein Mädchen stellt die Gruppe als »Adel auf dem Radel« vor, die von Gut zu Gut fahren. Tschick, Maik und das Mädchen liefern sich ein paar Wortgefechte. Später fährt sie winkend an ihnen vorbei. Maik schlägt für Tschick den Decknamen »Graf Lada« und für sich »Graf Koks« vor.

Analyse

Mit dem 20. Kapitel beginnt die Reise der beiden Jungen. Dass diese ohne jegliche Planung erfolgt, zeigt allein der Fakt, dass sie keine Karte oder anderweitige Möglichkeiten haben, sich zu orientieren. In geraffter Zeit werden die ersten Versuche, Entfernungen zurückzulegen, geschildert. Trotz der Unannehmlichkeiten überwiegt für Maik der Moment des Augenblicks. All diese Aspekte lassen darauf schließen, dass das Ziel der Walachei mehr symbolischen anstatt geographischen Charakter hat. Entscheidend ist die Flucht aus Berlin und damit die Flucht aus der Einsamkeit. Bewusst haben sie keine Handys mitgenommen. Maik will sich dem Elternhaus und der Situation mit Tatjana entziehen. Tschick scheint ebenfalls nichts in seinem Zuhause zu halten.

Einen weiteren Reiz der Reise bildet für Maik die Abwesenheit von Erwachsenen und damit die Abwesenheit erwachsener Themen, zu denen er eine Distanz empfindet. Ihre jugendliche Naivität zeigt sich in ihren Orientierungsversuchen sowie den Spielereien, Tschick möglichst erwachsen darzustellen. Es trägt eine düstere Ironie in sich, dass sie sich für eine Variante mit Hitlerbart entscheiden, da Tschick Migrant ist. Die politische Ausrichtung Brandenburgs hinsichtlich rechter Tendenzen wird mit dem Ausspruch: »Und weil wir eh in Brandenburg waren, konnte das auch keine politischen Konflikte geben« (107) angerissen.

Die Kommunikation zwischen Tschick und Maik basiert auf Slang und harmlosen Wortgefechten. Einen deutlichen Kontrast dazu bilden die Naturbeschreibungen: »Sattgrün und steil abfallend erstreckte sich eine Kuhweide vor uns und gab den Blick frei auf endlose Felder, Baumgruppen und kleine Straßen, Hügel und Hügelketten und Berge und Wiesen und Wald. Auf dem Horizont türmten sich die Wolken.« (111) Maiks Sprache als Ich-Erzähler verändert sich, da die Natur eine beeindruckende und beruhigende Wirkung auf ihn hat. Slang und Schimpfwörter werden für die Beschreibung nicht benötigt (vgl. Kramper, 87). Die Natur stellt die Entfernung zum üblichen Berliner Großstadtleben heraus.

Maik verändert sich in der Zeit, die er mit Tschick verbringt. Tschick ermutigt ihn, Neues auszuprobieren. Die Reise selbst ist schon ein Beispiel dafür. Eine weitere Stufe wird erreicht, als Tschick Maik das Fahren beibringt. Tschicks Selbstbewusstsein und innere Ruhe ermöglichen es Maik, an sich selbst zu glauben. Obwohl sein Körper mit der gewohnten Angst reagiert, findet Maik Gefallen an der Herausforderung: »Ich war schweißgebadet, aber aufhören wollte ich auch nicht« (114) und will sogar lernen, wie sich ein Auto kurzschließen kann. Die Freundschaft der beiden Jugendlichen wächst durch Maiks Erfolge.

Bei der Begegnung von Maik und Tschick mit Lutz Heckel erfährt Tschick Ablehnung in Form von Lutz’ auf Vorurteilen basierende Ausländerfeindlichkeit: »›Und der Mongole ist auch da‹, sagte Heckel überrascht, aber auch in einem Ton, der wenig Zweifel daran ließ, was er von Mongolen im Allgemeinen und Tschick im Besonderen hielt.« (116) Tschick reagiert unbeeindruckt, was zeigt, dass er von derartigen Beleidigungen nicht mehr überrascht wird. Er bedient das ihm zugeschriebene Klischee, indem er vom »Kanackenauffanglager« (116) spricht. Gleichzeitig machen die beiden Ausreißer erstmals auf ihrer Reise die Erfahrungen, dass ihnen von Menschen geholfen wird. Lutz’ Vater kauft ihnen unaufgefordert Proviant. Maik ist über diese Geste überrascht, widerspricht sie doch seinem Weltbild, das er später im Roman beschreiben wird.

Eine weitere sonderbare Begegnung erfolgt mit der Gruppe »Adel auf dem Radel«. Maik stellt sowohl anhand von Äußerlichkeiten als auch der sozialen Struktur der Gruppe Unterschiede zu Tschick und ihm fest. Auffallend sind für ihn ihre hochwertige Kleidung, ihre sauberen Gesichter und dass sich ihr Betreuer verhält, als ob die Jugendlichen seine Vorgesetzte seien. Obwohl sie sich mit einem Mädchen Wortgefechte liefern, winkt sie ihnen später vom Fahrrad aus. Auch hier kommt es zu einer positiven Wendung.

Im 23. Kapitel erfolgt die erste Begegnung mit der Polizei und die daraus resultierende Idee, das Nummernschild des Ladas auszutauschen. Maik und Tschick begehen diese Straftat ohne schlechtes Gewissen. Im Fokus steht die Reise, die unbedingt fortgesetzt werden soll. Maik und Tschick genießen ihre Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit, die sie nutzen, um sich mit allerhand Süßkram einzudecken - etwas, das im Beisein von Erwachsenen wohl kaum toleriert worden wäre.

Die Übernachtung auf dem Hügel mit Aussichtsplattform stellt die Einzigartigkeit der Reise im Allgemeinen und des Moments im Einzelnen heraus. Die Häufung des Wortes »Wahnsinn« (120f.) drückt die Ergriffenheit der Jugendlichen aus. Maik ist gerührt und erschrocken. Die Reise bringt ihn dazu, über das Leben und seinen Sinn nachzudenken. Bei der Betrachtung des Sternenhimmels stellt sich die Frage nach dem Leben im All, die jedoch auch das Leben auf der Erde in Frage stellt. Zuvor hat Maik eine Rentnergruppe beobachtet, was ihn unweigerlich mit der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens konfrontiert. Mit 14 Jahren ist er mit diesem Thema bisher kaum in Kontakt gekommen. Die Senioren erscheinen ihm fremd. Er kann sich nicht vorstellen, selbst einmal alt zu sein. Vor allem fällt ihm die Übereinstimmung im Erscheinungsbild auf: »Alle waren beige.« (117) Die Farbe dient hier metaphorisch für eine einheitliche Masse, ohne Akzente, Esprit, Besonderheiten und insbesondere ohne Erinnerung an ein früheres, junges Leben. Für Maik ist es ein pessimistisches Bild.

Veröffentlicht am 28. Dezember 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. Dezember 2023.