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Tschick

11. Abschnitt (Kapitel 41-44)

Zusammenfassung

Maik und Tschick warten vor dem Krankenhaus. Als sie sich sicher sind, dass sie nicht mehr beobachtet werden, rennen sie los. Tschick bleibt mit seinen Krücken im Acker stecken und humpelt daraufhin ohne Krücken an Maiks Seite weiter. Nach einer Weile dreht sich Maik um und bemerkt eine Gestalt im weißen Kittel, die sie vom Krankenhausfenster aus beobachtet.

Sie erreichen den verbeulten Lada, in dem ihre Sachen kreuz und quer verteilt sind. Tschick bringt ihn zum Laufen, aber er kann aufgrund seines eingegipsten Fußes nicht fahren. Er bittet Maik zu fahren, der sofort ablehnt. Maik behauptet, ein Feigling und Langweiler zu sein. Doch Tschick ist anderer Meinung. Dies sei die beste Woche seines Lebens gewesen. Die Mädchen würden Maik nur nicht beachten, weil sie Angst vor ihm hätten, da er sie wie Luft behandle. Isa mochte ihn schließlich sofort und Tatjana hätte nicht genug Charakter. Tschick behauptet, das beurteilen zu können, da er sich nicht für Mädchen interessiere. Das habe er noch niemandem erzählt. Maik ist nicht überrascht. Tatsächlich hatte er es schon geahnt. Für einen Moment würde er am liebsten auch schwul werden. Er mag Tschick und es würde vieles einfacher machen. Doch er mag Mädchen lieber. Maik ist für Tschick da.

Maik beschließt, das Steuer zu übernehmen. Die Reise kann noch nicht zu Ende sein. Nach ein paar Startschwierigkeiten schaffen sie es auf die Autobahn. Maik tritt auf Tschicks Kommando die Kupplung. Tschick schaltet. Maik überkommt ein Glücksgefühl. Weder Tschicks gebrochener Fuß noch das ramponierte Auto können sie aufhalten. Tschick klebt ihm sogar den Bart aus Isolierband auf.

Sie fahren bis zur Dämmerung und rollen dann durch die Felder. Maik erinnert sich daran, als er das erste Mal verstanden hatte, was die Nacht ist. Er hatte mit einer Freundin in den Feldern gespielt. Dabei wurde er von dem Nachbarn Herr Klever angeschrien, dass sie die Ernte verderben würden. Aus Angst rennt Maik vor dem schreienden Alten weg und landet auf einem Spielplatz, der nachts verlassen ist. In diesem Moment hätte er alles für sich haben können. Maik rennt noch eine große Schleife bis nach Hause. Er ist das erste Mal nachts alleine draußen und genießt es. Die Angst vor Klever ist vergessen. Doch dann sieht er zwei Frauen vor einem Restaurant sitzen. Die eine weint, die andere versucht, sie zu trösten. Sowohl Maik als auch die Frauen sind von dem jeweils anderen irritiert. Das erste Mal eine erwachsene Frau weinen zu sehen, hat Maik lange beschäftigt. Jetzt hier durch die Felder zu fahren, fühlt sich wieder wie diese Nacht an. Maik will anhalten. In der Ferne sieht er einen Bauernhof, wo ein grünes Licht angeht. Das gibt ihm den Rest. Tschick erinnert ihn behutsam, dass sie weiter müssen.

Am nächsten Morgen sind sie wieder auf der Autobahn. Ein Schweinelaster überholt sie. Ob der Fahrer dabei die beiden Jungs oder nur den Wagen ansieht, macht Maik und Tschick nervös. Aus für sie unerklärlichen Gründen versucht der Laster sie auszubremsen und wechselt immer wieder die Spur. Maik will ein Überholmanöver über den Standstreifen versuchen und fährt auf Tschicks Rat Schlangenlinien. Plötzlich schreit Tschick, dass er bremsen solle und Maik reagiert automatisch. Der LKW kommt ins Schlingern und nimmt mit der gesamten Breite die Fahrbahn ein. Auch der Lada kommt ins Schlingern. Maik denkt noch daran, was er jetzt alles nicht mehr erleben würde. Dann krachen sie in den Laster.

Als Maik wieder zu sich kommt, hängt er im Sicherheitsgurt fest und bekommt keine Luft. Auf der Frontscheibe rotiert ein Rad des Schweinelasters. Tschick fragt, ob alles okay sei. Offenbar haben beide überlebt. Maik schält sich aus dem Auto und stolpert über ein totes Schwein. Hinter ihnen parkt ein Opel Astra. Maik setzt sich auf dessen Kühlerhaube und hält sich an der Antenne fest, die er unter keinen Umständen wieder loslassen will. Eine Horde Schweine jagt über die Fahrbahn. Die Polizei taucht auf und Tschick humpelt mit seinem Gipsfuß davon.

Analyse

Den Jungen gelingt die Flucht aus dem Krankenhaus. Dass Maik Tschick mit seinem gebrochenen Fuß stützt, unterstreicht ihre Freundschaft symbolisch. Eine Bedrohung geht von der Person im weißen Kittel aus, die die beiden beobachtet.

Tschick gelingt es, den Lada zum Laufen zu bringen - ein Triumph, der durch Tschicks Unfähigkeit zu fahren, direkt wieder zunichte gemacht wird. In der Konfrontation, den Lada fahren zu müssen, ruht Maiks größtes Wachstum. Er steht vor der Entscheidung, die Reise an diesem Punkt beenden zu müssen oder seine Ängste und damit verbundene negative Selbstwahrnehmung zu überwinden. Tschicks Einschätzung von Maiks Charakter trägt erheblich dazu bei. Er widerspricht deutlich Maiks Annahme, langweilig und feige zu sein, und behauptet sogar das Gegenteil. Die gemeinsame Zeit wurde zu Tschicks bestem Erlebnis und ermöglicht es ihm, Maik widerzuspiegeln, wie viel Potenzial in ihm steckt.
Weiterhin gibt er seine ehrliche Meinung zu Maiks Schwärmerei für Tatjana preis und entschleiert damit das verklärte Bild, das Maik von ihr hat.

Auch Tschick durchläuft eine Entwicklung. Ist er bisher immer lässig und selbstbewusst aufgetreten, zeigt er sich nun gegenüber Maik verletzlich und ehrlich: Er öffnet sich und gesteht seine Homosexualität. Darin liegt ein großer Vertrauensbeweis, denn Tschick hat noch niemandem davon erzählt. Dieses Vertrauen ermöglicht es Maik, auch an sich selbst zu glauben: »Es war ein euphorisches Gefühl, ein Gefühl der Unzerstörbarkeit.« (215)
Maiks Wunsch, selbst schwul zu werden, zeigt seine Sehnsucht nach Einfachheit und Zuneigung. Er ist sich aber seiner sexuellen Interessen bewusst: »ich mochte Mädchen irgendwie lieber.« (214)

Im 42. Kapitel beschreibt Maik ein Erlebnis, bei dem er zum ersten Mal die Nacht bewusst wahrgenommen hat. In dieser Erzählung werden die Aspekte von etwas Verbotenem (Spielen im Feld und Weglaufen vor dem wütenden Nachbarn), Freiheit (den ganzen Spielplatz nur für sich haben) und Emotionen (die weinende Frau) aufgezeigt. Die Nacht lädt durch ihre Dunkelheit zu eben solchen Taten ein: Verbotenes, Freiheiten ausleben und Gefühle zulassen. Für den jungen Maik liegt darin etwas Berauschendes und Verstörendes. Diese Gefühle spiegeln sich in der Fahrt wider. Verbot und Freiheit werden erfüllt, indem er als Minderjähriger einen geklauten Wagen fährt.

Ein schwermütiges Gefühl macht sich trotzdem breit. Vielleicht sind es die Gedanken an die Vergänglichkeit, vielleicht eine Ahnung, dass diese Reise nicht für immer so weitergehen kann. Seinen Höhepunkt erreicht dieses Gefühl, als Maik ein grünes Licht erblickt: »Ich kann nicht mehr.« (220) Damit wird der Bezug zu Tatjana hergestellt. Tatjana war der Auslöser, weswegen Maik diese Reise angetreten ist. Seitdem hat er sich sehr verändert. Womöglich wird er von der Fülle seiner Erfahrungen überwältigt.

Von der Kindheitserinnerung zurück zur Situation im Lada folgt ein Wechsel vom Präteritum ins Präsens, obwohl die Reise zuvor ebenfalls in der Vergangenheitsform dargelegt wurde. Es entsteht eine Verzögerung, die den Wendepunkt und das Ende der Reise einläutet (vgl. Kramper, 50). Maik reflektiert seine Erfahrungen und obwohl er sie noch nicht einordnen kann, wird deutlich, dass diese ihn verändert haben.

Der Unfall bereitet der Reise ein abruptes und unvermeidliches Ende. Dieser zwingt die Jugendlichen, nach ihren Erfahrungen nach Hause zurückzukehren, was als Merkmal der Heldenreise gedeutet werden kann. Es kommt zum Wendepunkt. Das traumatische Erlebnis wird unter Zeitdehnung beschrieben, die Erzählzeit ist also länger als die erzählte Zeit, um alle Details festzuhalten.

Am Ende des 44. Kapitels wird die Rückblende mit den Worten: »Und den Rest habe ich ja schon erzählt« (226) abgeschlossen. Chronologisch würde nun die Situation auf der Polizeistation folgen. Da diese bereits erzählt wurde, setzt die weitere Handlung danach ein.

Veröffentlicht am 28. Dezember 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. Dezember 2023.