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Tschick

9. Abschnitt (Kapitel 34-36)

Zusammenfassung

Beim Frühstück beschließen die drei, den Berg zu besteigen. Maik und Isa wollen zu Fuß gehen, Tschick hingegen besteht auf das Auto. Damit kommen sie aber nicht weit genug, sodass sie das letzte Stück doch wandern müssen. Am Gipfel erwartet sie eine atemberaubende Aussicht, ein Holzkreuz und eine kleine Hütte, auf der sich andere Bergsteiger mit Schnitzereien verewigt haben. Die älteste stammt von Anselm Wail aus dem Jahr 1903. Tschick beginnt, auch ihre Namen zu schnitzen. Maik muss daran denken, dass Anselm Wail und seine ganze Familie bereits tot sind und alles, was von ihm bleibt, womöglich diese Schnitzerei im Holz ist. Er vermutet, dass es bei ihm genauso sein wird.

Maik wünscht sich, dass Tschick ihre vollen Namen schreiben würde, aber es reicht nur für die Initialen und das findet Maik schon gut genug. Er will seine Freunde nicht verlieren. Darum schlägt er ein Treffen in 50 Jahren mit festem Datum und Uhrzeit genau an diesem Ort vor. Sie sollen schwören und danach müssten sie nicht mehr darüber reden. Maik fürchtet, dass die anderen die Idee für lächerlich halten. Aber Isa und Tschick stimmen zu. Gemeinsam legen sie den Schwur ab.

Die drei steigen vom Berg hinab und bemerken einige Reisebusse mit einer Aufschrift, die für Maik nicht zu entziffern ist. Isa rennt sofort auf sie zu und spricht mit dem Fahrer. Wenig später kehrt sie zu den Jungs zurück und bittet um 30 Euro. Sie verspricht, das Geld zurückzuzahlen. Ihre Halbschwester schulde ihr noch etwas. Isa verabschiedet sich und will sich von hier allein durchschlagen. Sie umarmt die Jungs jeweils und küsst Maik auf den Mund. Isa behauptet, sie melde sich, aber Maik glaubt nicht daran. Tschick bemerkt, dass Maik sich schon wieder verliebt habe.

Am nächsten Tag müssen Maik und Tschick einem Unfall ausweichen und gelangen so über Feldwege und Wälder an ein Gatter. Kurzerhand beschließen sie, es zu passieren. Danach durchfahren sie ein verlassenes, sumpfiges Gebiet, gesäumt von merkwürdigen Betonklötzen und zerfallenen Strommasten. Plötzlich befinden sie sich an einem Abgrund. Beim Blick nach unten schauen sie auf eine karge Landschaft, wie auf dem Mond. Ein Stück weiter weg führt eine Brücke auf die andere Seite. Tschick und Maik beschließen, diese zu befahren. Dabei geht Maik voraus und hält nach morschen Planken Ausschau. Tschick folgt ihm im Schritttempo. In der Mitte halten sie an, trinken Cola und bestaunen die Aussicht. Maik kann sich nicht mehr vorstellen, dass er in Berlin zur Schule gegangen ist oder gar dorthin zurückkehren wird.

Sie erreichen ein verlassenes Dorf. Die Häuser haben entweder keine Fenster oder wurden zugenagelt und mit weißen Zeichen beschriftet. Plötzlich hören sie einen Knall und müssen feststellen, dass eine Scheibe des Ladas gesplittert ist. Maik springt aus dem Wagen und geht in Deckung. In einem der Gebäude sieht er einen alten Mann mit einem Gewehr im Anschlag am Fenster stehen. Tschick drängt Maik dazu, wieder einzusteigen. Aber Maik versucht, dem Mann begreiflich zu machen, dass sie ihn nicht belästigen wollen. Als diesem klar wird, dass die Jungs nicht wissen, was sie tun, lädt er sie zu sich ein und verspricht ihnen Limonade. Maik und Tschick folgen der Einladung widerwillig.

Das Haus des Alten, der Horst Fricke heißt, befindet sich in einem bewohnten, aber ramponierten Zustand. Er fragt die Jungen einiges über Berlin und dann, ob sie ein Mädchen hätten. Maik will verneinen, aber Tschick nennt die Namen von Tatjana und Angelina. Der Alte spekuliert, dass Tschick und Maik schwul sein könnten, was sie versuchen, zu bestreiten. Dann schwärmt er von der Liebe und der Jugend - doch mit einem Schlag sei man alt.

Horst Fricke zeigt ihnen ein Foto, das ihn mit seiner Jugendliebe Else in Uniformen der Hitlerjugend zeigt. Sie seien Kommunisten gewesen und haben sich in einer Widerstandsgruppe kennengelernt. Else habe Schriften von verbotenen Autoren übersetzt und er habe diese für sie abgetippt. Sie wurde im Konzentrationslager vergast. Er kämpfte an der Front gegen die Russen. Tschick hält die Kriegserzählungen des Alten für Schwachsinn. Horst Fricke erzählt weiter. Letztlich kommt er zu dem Schluss, dass alles sinnlos sei, auch die Liebe. Er schenkt ihnen ein kleines Fläschchen mit einem vergilbten Etikett und schärft ihnen ein, es nur im Notfall zu öffnen. Es würde sie retten.

Zurück im Auto versuchen Maik und Tschick, die Aufschrift zu entziffern. Sie öffnen das Fläschchen. Da es nach faulen Eiern stinkt, werfen sie es aus dem Fenster.

Analyse

Die gemeinsame Zeit der drei Freunde ist begrenzt. Als Isa einen Reisebus entdeckt, beschließt sie, sich eigenhändig auf den Weg zu machen. Das unterstreicht ihre Spontanität, aber auch die Konsequenz, mit der sie ihr Ziel verfolgt. Während ihr am Anfang noch jede Richtung lieb war, die sie fort von dem Schrottplatz geführt hat, will sie nun ihre Halbschwester finden.

Maik glaubt nicht an ihr Versprechen, dass sie sich melden würde. Damit wird die Perspektive des Ich-Erzählers herausgestellt, wodurch seine Erzählung nicht auf Tatsachen, sondern auf persönlichen Einschätzungen beruht. Sein Misstrauen bestätigt sich jedoch nicht, wie sich zum Romanende zeigen wird. Tschicks Gespür für Maiks Empfindungen macht ihn nicht nur zu einem guten Freund, sondern zeigt auch seine Menschenkenntnis.

Bevor Isa sich von den beiden Jungen trennt, erfolgt der Schwur auf dem Berggipfel. Damit wird ihre Freundschaft auf eine neue Ebene gehoben. Anlass dazu gibt Maik aufgrund seiner erneuten Konfrontation mit der Vergänglichkeit, als er den Namen Anselm Wail aus dem Jahr 1903 entdeckt. Nicht nur der Tod beschäftigt ihn, sondern auch, was von ihm bleibt: »dass wir in hundert Jahren alle tot wären. So wie Anselm Wail tot war. [...], und das Einzige, was übrig war von Anselm Wail, war dieser Name in einem Stück Holz.« (174) Obwohl Maik von diesen Gedanken sehr mitgenommen ist, lassen sie ihn die Einzigartigkeit des Momentes erkennen, und dass es diesen zu nutzen gilt.

Ein ähnliches Weltbild wird durch Horst Fricke vertreten, der den beiden Jungen das Motto »Carpe diem«, was so viel bedeutet wie »Nutze den Tag«, mitgibt. Diesen Ansatz könnte man eng in Bezug mit dem Autor Wolfgang Herrndorf setzen, der »Tschick« schrieb, als er bereits an einer tödlichen Krankheit litt, unwissend, wie viel Zeit ihm noch bleiben würde. Allerdings positionierte sich Herrndorf deutlich zu dieser Frage. Die Thematik um Tod und Vergänglichkeit war bereits Jahre zuvor in einem Entwurf für den Roman angelegt (vgl. Kramper, 83).

Durch die Figur von Horst Fricke wird die Vergänglichkeit aus einer anderen Perspektive geschildert, metaphorisch mit der Aussage: »ihr schließt einmal die Augen und öffnet sie wieder, und welk hängt das Fleisch in Fetzen.« (185) Im Gegensatz zu Maik, der noch sein ganzes Leben vor sich hat, hat Horst Fricke den Großteil bereits erlebt. Doch nicht nur Tod und Vergänglichkeit werden dabei thematisiert. In dem Gespräch mit Horst Fricke tauchen zahlreiche Motive auf, die den Roman prägen. Vordergründig ist das der Liebe, die er jedoch am Ende als sinnlos bezeichnet. Horst Fricke schwelgt in Erinnerungen und will auch von den Beziehungen der Jungen wissen. Mit den Worten »ihr seid zwei ganz hübsche Jungs [...] In dem Alter weiß man häufig nicht, wohin der Hase will« (185), spricht er die mögliche Homosexualität der beiden Jungs an, die erneut, insbesondere von Tschick, verneint wird.

Weiterhin drückt Fricke deutlich seine Russenfeindlichkeit aus, die durch seine traumatischen Kriegserfahrungen geprägt wurde. »Iwan« (186) steht dabei für »Russe«. Tschick nimmt diese nicht persönlich. Vielmehr hält er die Beschreibungen des Alten für Schwachsinn. (vgl. 188)

Die Begegnung mit Horst Fricke bedient Aspekte einer Heldenreise, als welche der Roman gedeutet werden kann. Tschick und Maik werden auf ihrem Weg ins Unbekannte (das verlassene Dorf) in Gefahren verwickelt (Beschuss von Horst Fricke) und anschließend mit einem Elixier belohnt, das sie in Notlagen retten soll. Dieses wurde von Wolfgang Herrndorf absichtlich eingebaut: »Angesprochen auf dieses mysteriöse Elixier, sagte der Autor, dass ihn jemand auf das Schema der Heldenreise aufmerksam gemacht habe, wo es immer ein Elixier oder einen Schatz zu finden gelte: ›Habe ich natürlich gleich eingebaut‹ [so Herrndorf]« (Scholz, 86f.). Dass Maik und Tschick dieses Fläschchen öffnen, anstatt es nur in Notlagen zu gebrauchen, und wegen des Gestanks sofort wegwerfen, birgt Ironie und Komik.

Die Beschreibung der Landschaft lässt darauf schließen, dass Maik und Tschick sich im Tagebaugebiet der Lausitz befinden. (Kramper, 90) Auf dem Berg erfolgt die einzige genaue Datumsangabe im Roman: der 17. Juli.

Veröffentlicht am 28. Dezember 2023. Zuletzt aktualisiert am 28. Dezember 2023.