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Krabat

Interpretationsansätze

Die Rolle der Religion: Das Christliche und das Teuflische in Preußlers »Krabat«

Das Gute und das Böse sind ein zentrales Thema des Romans. Es lassen sich zahlreiche teuflische und christliche Symbole in der Geschichte finden, die einander gegenüberstehen und die Differenzierung von guter und böser Seite vornehmen.

Die Präsenz des Christentums wird beispielsweise dadurch deutlich, dass der Erzähler seine Zeitangaben stets am Kirchenjahr orientiert, wie bereits im Kapitel »Aufbau des Werks« näher erläutert wurde. Auffällig ist jedoch auch, dass jede Form christlicher Religiosität aus dem Lebensalltag der Mühlknappen verbannt wurde. (Vgl. Kulik 180) So werden beispielsweise die christlichen Feiertage nicht gefeiert, wie an der Beschreibung der Oster- und Weihnachtstage deutlich wird. »Weihnachten kam, für die Mühlknappen waren es Tage wie alle anderen.« (S. 86) Durch das Menschenopfer in der Silvesternacht reagieren Krabats Mitgesellen sogar wütend, als dieser versucht, die Gesindestube weihnachtlich zu dekorieren.

Das Osterfest geht zwar mit Riten einher, doch diese zeigen die teuflische Seite. Zunächst halten die Burschen eine Osterwache, doch sie müssen »die Osternacht unter freiem Himmel verbringen, je zwei miteinander an einer Stelle, wo jemand gewaltsam zu Tode gekommen ist.« (S. 47) Am Ende der Nacht zeichnen sie sich gegenseitig mit einem Drudenfuß, einem fünfzackigen Stern. Dieses Pentagramm wird häufig als teuflisches Mal interpretiert. Das Fehlen der christlichen Religiosität zeigt sich außerdem im Verstoß gegen die Sonntagsruhe sowie im Umgang mit den Toten. (Vgl. Kulik 180) Diese werden möglichst schnell und schmucklos begraben und während der Beerdigung verzichten die Mühlknappen auf einen Pastor, Kreuze, Kerzen und Klagelieder. Zudem kann Krabat sich plötzlich nicht mehr an das Vaterunser erinnern, als er das Gebet für Tonda sprechen will. Stattdessen wird er von seinen Mitgesellen ermahnt, den toten Freund zu vergessen. Dies steht in direktem Gegensatz zum christlichen Umgang mit Trauer.

Die christlichen und teuflischen Systeme werden zudem durch die Figuren im Roman repräsentiert. Die Kantorka kann als Vertreterin des Christentums betrachtet werden. (Vgl. Kulik 187) Diese wird niemals mit ihrem eigenen Vornamen angesprochen, sondern immer nur mit dem Begriff »Kantorka«, der wendischen Bezeichnung für »Vorsängerin«. Dadurch »kommt ihr eine herausgehobene Stellung in der christlichen Gemeinde zu.« (Vgl. ebd.) Auch ihre Kleidung repräsentiert ihre Religion, da sie sowohl bei ihrer ersten Begegnung mit Krabat als auch bei seiner Freibittung die christliche Abendmahlstracht und ein weißes Stirnband trägt. Zudem wird beschrieben, dass das Mädchen ein junges, schönes Gesicht hat, welches mit den christlichen Werten der Reinheit und Unschuld in Verbindung gebracht werden kann. Des Weiteren hat die Kantorka helle Haare und helle Augen. Hier arbeitet Preußler wieder mit der Farbsymbolik. Während die Seite des Bösen stets dunkel beschrieben wird, schreibt er der Kantorka als Verkörperung der christlichen Gemeinschaft helle Attribute zu. Im religiösen Kontext wird Helligkeit und Licht primär mit Leben, dem Guten und Göttlichen assoziiert. (Vgl. Kulik 187) Die Kantorka ist letztendlich in der Lage, Krabat und die Mühle zu befreien. Der Schlüssel zum Sieg ist ihre Liebe – der höchste aller christlichen Werte. (Vgl. ebd.)

Dem entgegen stehen der Meister und der Herr Gevatter auf der teuflischen Seite. Dies wird zum einen durch die Farbsymbolik deutlich, da sowohl der Herr Gevatter als auch der Meister überwiegend schwarz gekleidet sind. Die Farbe wird oftmals mit dem Teufel und dem Tod assoziiert. Der strenge, teilweise gewalttätige Umgang des Müllers mit seinen Mühlknappen ist ebenfalls als Merkmal des Teuflischen zu nennen, da diese Verhaltensweise konträr zur christlichen Nächstenliebe ist. Auch den um Hilfe bittenden Bauern verwehrt der Meister jede Nächstenliebe, obgleich ihre Bitte für ihn leicht zu erfüllen gewesen wäre. Kulik beschreibt dies als »soziale Kälte«, die der »sozialen Wärme« der christlichen Figuren entgegengesetzt ist. (Vgl. Kulik 192) Der Herr Gevatter kann als Teufelsfigur selbst verstanden werden. So kann nicht nur seine dunkle Kleidung, sondern auch sein hinkender Gang und die rote Hahnenfeder, die er trägt, als Teufelssymbolik verstanden werden.

Am Ende siegt Krabat zwar über den Meister, nicht aber über den Herrn Gevatter. »Als Teufel stellt er vielmehr einen essentiellen Bestandteil der dargestellten Welt dar, so dass zur dargestellten Welt sowohl das Gute als auch das Böse gehören.« (ebd. 191) Preußler arbeitet das Gute und das Böse in Form des Christlichen und des Teuflischen so präzise heraus, um eine Orientierung zu schaffen und zu verdeutlichen, welcher Seite der Mensch sich anschließen sollte. Dennoch gibt er dem Bösen auf der Welt Raum und zeigt auf, dass beides zur Welt und zum Leben dazugehört.

Krabat als Adoleszenzroman

Der Begriff »Adoleszenzroman« beschreibt Literatur, die von den Problemen des Erwachsenwerdens handelt. Hier wird zumeist von einer Altersspanne von 12 bis 25 Jahren gesprochen. (Vgl. Andersson 38) Auch Preußlers »Krabat« kann zu dieser Gattung gezählt werden.

Das Erwachsenwerden des Protagonisten Krabat wird auf mehreren Ebenen dargestellt. Zunächst ist hier Krabats körperliche Entwicklung zu beachten. Zu Beginn des Romans wird Krabat als »ein Junge von vierzehn Jahren« beschrieben, der sich gerade im Stimmbruch befindet. (S. 11) Krabat verbringt drei Jahre in der Mühle im Koselbruch, doch durch die Magie der Mühle altert er im ersten Jahr bereits um drei Jahre. Bereits während der Osterfeier des ersten Jahres stellt Krabat fest, dass er wieder singen kann »ohne das lästige Kratzen im Hals, das ihn seit Anfang des letzten Winters geplagt hatte.« (S. 56) Im Winter desselben Jahres wird Krabats körperliche Reife durch seinen beginnenden Bartwuchs verdeutlicht. Im dritten Jahr ist Krabat etwa 19 Jahre alt. Besonders deutlich wird sein Erwachsenwerden hier, als der neue Lehrjunge eintrifft, den Krabat bereits vor seiner Zeit in der Mühle kannte. Lobosch erklärt ihm, er könne der große Bruder des Jungen sein, den er einmal gekannt habe. Hier wird deutlich, wie weitreichend die Entwicklung ist, die der Leser im Laufe der Handlung mitverfolgt hat.

Weitaus größer ist jedoch Krabats geistiger Entwicklungsprozess. Otfried Preußler versucht, in seinem Roman »Krabat« einen jungen Menschen abzubilden, der sich zwar zunächst mit bösen Mächten einlässt, sich jedoch am Ende mithilfe seiner Freunde befreien kann. (Vgl. Lange 258)

    Preußler macht aus den Motiven der Zaubersage Elemente psychischer Reifungsvorgänge. Der individuelle Entwicklungsprozess Krabats endet mit seiner Selbsterlösung, an der die Kantorka mit ihrer Liebe einen großen Anteil besitzt. (Lange 259)

Zu Beginn des Romans wird der Protagonist als neugieriger, naiver Junge beschrieben, der die Warnung vor der Mühle ignoriert und sie entgegen allen Hinweisen auf die drohende Gefahr betritt. Dort angekommen schließt er sogar einen Pakt mit dem fremden Meister, ohne den genauen Inhalt zu kennen. So stimmt er zu, nicht nur das Müllern, sondern »auch alles andere« (S. 16) zu erlernen, hinterfragt jedoch nicht, was die Vereinbarung beinhaltet. »Anstatt sich innerlich von der Mühle zu distanzieren, ist er in der Schule sogar sehr engagiert.« (Kulik 185) Der Erzähler äußert Krabats Gedanken wie folgt:

    Denn Krabat hatte inzwischen begriffen: Wer in der Kunst der Künste bewandert war, der gewann über andere Menschen Macht; und Macht zu gewinnen – so viel, wie der Meister besaß, wenn nicht mehr –, das erschien ihm als hohes Ziel, dafür lernte und lernte und lernte er. (S. 58)

Im Laufe der Zeit, als Krabat die dunklen Geheimnisse der Mühle aufdeckt, entwickelt er sich jedoch weiter und wird zu einem reflektierten jungen Mann, der für seine Freiheit und die seiner Mitgesellen kämpft. Der Junge reagiert mutig und selbstkritisch, als er die Macht des Meisters zu hinterfragen beginnt, von der er sich bisher verführen ließ. (Vgl. Schroeter-Brauss 67) Mit Juros Hilfe »entwickelt er Widerstandskräfte gegen die Autorität des Meisters. Er gewinnt dadurch Ich-Identität.« (Ebd.)

Krabat entwickelt sich auf emotionaler Ebene weiter, was besonders an seiner guten Freundschaft zu Juro erkennbar ist. Diese wird mitunter am deutlichsten, als der Meister die beiden auf die Probe stellt und – getarnt in einer von ihm erschaffenen Traumsequenz, in der beide Jungen eine Rolle übernehmen müssen – verlangt, dass Krabat Juro mit einer Goldkugel erschießt, die einen Zauberer töten kann. Juro und Krabat bestehen die Probe nur, weil sie sich blind vertrauen können und wissen, dass sie einander niemals verletzen würden. Nur so ist es möglich, dass Krabat unabgesprochen schießt, ohne die Goldkugel zu benutzen und Juro zeitgleich einen Todesschrei simuliert. (Vgl. Drumm 181f.)

Auch die Liebe zur Kantorka zeigt Krabats zunehmende emotionale und geistige Reife. Er verliebt sich nicht nur in das Mädchen, sondern ist bereit, seine einzige Chance auf das Überleben zu opfern, insofern sie nicht freiwillig zur Mühle kommen will, um ihn freizubitten. So erklärt er Juro: »Wenn sie kommt, ist es gut – und wenn nicht, ist es auch gut: dann soll es mir gleichgültig sein, was mit mir geschieht.« (S. 253) Am Ende des dritten Jahres besiegt er den Meister durch Mut, Klugheit und Vertrauen sowie durch die Überwindung seiner Angst und aktives Handeln. (Vgl. Schroeter-Brauss 67) Aus dem naiven Jungen ist ein verantwortungsvoller, starker Erwachsener geworden.

Das Buch bietet besonders jungen Lesern ein hohes Identifikationspotenzial, da es existenzielle Themen wie Leben und Tod, Liebe und Freundschaft, die Vor- und Nachteile von Macht und den Umgang mit Angst thematisiert. (Vgl. Schroeter-Brauss 67) Sein Mehrwert als Adoleszenzroman sorgt dafür, dass das Werk sich vor allem in Schulen großer Beliebtheit erfreut. (Vgl. Andersson 47) Preußler selbst beschreibt: »Mein Krabat ist keine Geschichte, die sich nur an junge Leute wendet, und keine Geschichte für ein ausschließlich erwachsenes Publikum.« (Preußler 188f.) So geht es ihm selbst weniger um die Altersgruppe, sondern eher um die Botschaft, die er seinen Lesern zu vermitteln versucht.

Veröffentlicht am 11. Juli 2023. Zuletzt aktualisiert am 11. Juli 2023.