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Mutter Courage und ihre Kinder

Figuren

Figurenkonstellation

Mutter Courage und ihre Kinder – Figurenkonstellation
  • Mutter Courage, Anna Fierling

    Liest man »Das Lied von der großen Kapitulation« biographisch, dann erfährt man, dass die Courage ursprünglich mit Talenten gesegnet war, leider aber hohe Ambitionen hatte. Diese hohen Ambitionen wurden ihr mit zunehmendem Alter von den gesellschaftlichen Umständen nach und nach ausgetrieben. Doch weiterhin ist die Courage auf ihren Vorteil bedacht, erweist sich als kreativ und äußerst findig.

    Gleichzeitig ist Mutter Courage keine durch und durch kalte Person. Für ihre Kinder empfindet sie ohne Zweifel starke Gefühle. Auch wenn sie es aushält, gegenüber der Leiche von Schweizerkas indifferent zu wirken, so ist dies doch nur die äußerliche Ebene des Verhaltens. Über ihre Gefühle sagt dieses Verhalten nichts aus.

    Auch dass sie Eilif dafür ohrfeigt, dass er leichtsinnig gewesen sei, zeugt von Zuneigung und Verantwortungsgefühl. Vielleicht kann sie am Ende des Stückes auch nur deshalb wieder dem Krieg hinterherziehen, weil sie immer noch die Hoffnung hat, Eilif könnte noch leben.

    Fest steht aber auch, dass Mutter Courage niemals das Rechnen vergisst. Sie ist zu einem so großen Anteil Händlerin, dass es ihr geradezu in Fleisch und Blut übergegangen ist. Selbst unter Schock stehend – etwa wenn Kattrin stirbt – gelingt es der Courage, noch das Wechselgeld abzuzählen. Und selbstverständlich ist ihr Gewerbe in höchstem Maße anrüchig. Sie verdient am Krieg, also am Leid und Tod tausender Menschen. Das ist moralisch alles andere als einwandfrei. Dennoch können sich Zuschauer einer gewissen Sympathie für die Figur Mutter Courage nur schwer entziehen.

    Sie ist geradeheraus, hat so interessante wie amüsante Ansichten und erscheint den meisten Menschen gegenüber eben doch als anständig. Sie hat keine Vorurteile, gibt nacheinander dem Feldprediger und dann dem Koch eine vorübergehende Lebensgrundlage.

    Doch Mutter Courage repräsentiert auch ganz klar eine gesellschaftliche Position. Sie gehört zur Gruppe der Händler, zu denjenigen also, die an der Arbeitskraft anderer Menschen verdienen. Aus einer kommunistischen Perspektive sind Händler als solche problematisch. Sie verdienen mit an der Arbeitskraft anderer. Mutter Courage verdient am Leid der Menschen. Als Vorbild taugt die Courage nicht. Und doch bleibt sie eine sehr vielseitige und starke Frauenfigur. Wohl auch deswegen erweist sich das Stück immer noch als Best- und Longplayer von Brecht.

  • Schweizerkas

    Ganz im Gegensatz zu seinem extrovertierten Bruder Eilif, ist Schweizerkas ein stiller, laut Aussage seiner Mutter aber pflichtbewusster junger Mann (vgl. 1381). Seinen Namen hat er, weil sein Vater ein Schweizer war.

    Tatsächlich zeigt sich Schweizerkas im dritten Bild als äußerst pflichtbewusst. Er hat die Verantwortung für die Regimentskasse zugesprochen bekommen und versucht nun, diese vor den herannahenden katholischen Truppen zu retten. Auffällig ist, dass Schweizerkas immer wieder an seinen Vorgesetzten denkt und an das Vertrauen, das dieser in Schweizerkas gesetzt hat. Wegen seines Gewissens kommt Schweizerkas schließlich zu dem Entschluss, die Regimentskasse in einem Maulwurfsloch nahe einem Bach zu verstecken. Dort könne er sie dann abholen, wenn sich das Frontgeschehen wieder verlagern würde.

    Allerdings wissen die katholischen Truppen längst um die Regimentskasse und haben Schweizerkas im Verdacht, diese weggeschafft zu haben – was er auch tatsächlich getan hatte. Unter Folter verrät Schweizerkas schließlich das Versteck. Dieser Verrat kommt allerdings seinem Todesurteil gleich. Schweizerkas wird standrechtlich erschossen.

    Schweizerkas ist keine besonders profilierte Figur, tatsächlich fällt auf, dass er neben der starken Persönlichkeit seiner Mutter geradezu blass wirkt. Dies ist allerdings auch genau das, was Mutter Courage über ihren Sohn sagt. Er sei nicht schlau, dafür aber redlich. Ähnlich verkleinernd wie das Lob der Mutter ist auch seine Rolle im Stück. Schweizerkas fungiert als eine Art Sandwich-Kind auch auf der dramaturgischen Ebene. Er muss geopfert werden, gleichzeitig lässt er es an Profil gegenüber seinem Bruder Eilif und an Entwicklung gegenüber seiner Schwester Kattrin vermissen.

  • Eilif

    Als mutiger Bruder ist Eilif geradezu für den Militärdienst prädestiniert. Das erkennt auch der Werber. Bezeichnend ist, dass der Werber gerade dann Interesse an Eilif bekundet, nachdem dieser ihm indirekt mit Schlägen gedroht hat.

    Um die Wogen zu glätten, sagt der Werber, als er Eilif bereits wegführt: »Zehn Gulden auf die Hand, und ein mutiger Mensch bist du und kämpfst für den König, und die Weiber reißen sich um dich. Und mich darfst du in die Fresse hauen, weil ich dich beleidigt hab« (1359). Darauf schließlich lässt sich Eilif ein.

    Und er reüssiert. Als Mann mit einem Hang zur Gewalt, ist er unter den Soldaten genau an seinem Platz. Wenige Jahre nach der Werbung treffen sich Eilif und Mutter Courage wieder. Eilif ist inzwischen ein anerkannter Soldat und wird von seinem Feldhauptmann zum Essen eingeladen.

    Fast schon tragisch – tatsächlich aber der brechtschen Folgerichtigkeit zu verdanken – ist, dass Eilif schließlich an genau dem Verhalten zugrunde geht, das ihm im Krieg zum Erfolg verhalf. Weil Frieden ist, ist sein Plündern plötzlich ein Verbrechen. Dafür wird er erschossen.

    Zu Eilifs Charakter passt, dass er mit seinem Schicksal nicht sonderlich zu hadern scheint. Er nimmt es hin. Ein pragmatischer Zug, der auch seiner Mutter eignet. Und auch die Kreativität hat Eilif von seiner Mutter geerbt. Durch Bauern in Bedrängnis gebracht, lenkt er sie ab und überfällt sie hinterrücks. Das erscheint als Äquivalent zum kreativen Opportunismus der Courage.

  • Kattrin

    Kattrin ist eine interessante Figur. In ihr wird nicht nur eine behinderte Figur dargestellt, sie ist sogar vom theatralischen Standpunkt aus behindert. Kattrin kann sich den anderen Figuren – nur Mutter Courage bildet hier eine Ausnahme – nicht mitteilen. Sie kann ihre Informationen nicht teilen, ist, obwohl so scharfsinnig und vorausschauend wie ihre Mutter, dazu verurteilt, mit ihren Warnungen nicht durchdringen zu können. Kattrin ist damit eine noch deutlichere Kassandra-Figur als ihre Mutter. Möglich, dass sie deswegen mit doppeltem T geschrieben wird, damit auch auf der Ebene der Grapheme eine Analogie zu Kassandra besteht.

    An Kattrin fällt auf, dass ihr ganzes Umfeld sie bevormundet, bemitleidet und nicht selten verachtet. Auch Mutter Courage ist ihr gegenüber nicht ganz ehrlich – so verschweigt sie ihr etwa ihre Ansicht, es würde vom Schlag der Soldaten eine Narbe zurückbleiben. Freilich ist Kattrin in der Lage, all dies zu durchschauen.

    Das letzte Bild, in dem Kattrin lebt – Bild 11 – ist auch überschrieben mit »Der Stein beginnt zu reden«. Damit ist ohne Zweifel Kattrin gemeint. Sie, die eigentlich stumm ist, benutzt die Trommel aus dem Planwagen um die Stadt Halle vor den heranschleichenden Katholischen Truppen zu warten. Kattrin, so scheint es, bedarf einfach nur eines Mediums, um sich äußern zu können.

    Tatsächlich ist es aber nicht so einfach. Von den Trommelschlägen wacht die Stadtwache nicht auf. Es sind die Schüsse, die Kattrin töten, die Halle wecken. Was Kattrin also braucht, um sich äußern zu können, ist das Opfer der eigenen Person. Somit ist Kattrin die einzige Person, bei der eine gradlinige Entwicklung gezeigt wird: Vom stummen Mädchen, das hinter den Figuren der Brüder verschwindet, zur Retterin einer Stadt. Man bemerke die Ironie, die darin steckt, dass Kassandras Rufe, Troja zu warnen, nicht verfingen. Kattrin, deren Sprache ihr Untergang ist, gelingt es.

    Dadurch wird Kattrin deutlich als Hauptfigur gezeichnet. Tatsächlich ist sie auch die einzige Figur, an der keinerlei moralische Ambivalenz auftritt.

  • Feldprediger

    Der Feldprediger ist ein typischer Opportunist. Zunächst lernt man ihn als eher schweigsam kennen. In Begleitung von Eilif und dem Feldhauptmann hat er nur wenig zur Konversation beizutragen. Doch später taut er auf. Wenngleich er sich auch in seinen wenigen Redebeiträgen in der ersten Szene als durchaus humorvoller Konversationspartner auszeichnet.

    Als Prediger ist er konfessionell gebunden und in einem Glaubenskrieg notwendig Partei. Daher muss der Feldprediger in dem Moment, in dem katholische Truppen die Oberhand gewinnen, sein Amt niederlegen. Die Courage nimmt sich seiner aber an.

    Der Feldprediger vollzieht dienende Tätigkeiten, schält Kartoffeln und zieht den Wagen. Auch Holz hackt er. Dabei ist er allerdings nicht sehr geschickt. Auf den entsprechenden Verweis der Courage hin, klagt er: »Ich hab ihnen gesagt, ich bin kein gelernter Holzhacker. Ich hab Seelsorgerei studiert. Hier werden meine Gaben und Fähigkeiten mißbraucht zu körperlicher Arbeit. Meine von Gott verliehenen Talente kommen überhaupt nicht zur Geltung« (1505 f.). Und tatsächlich kann er sich sehr gewandt ausdrücken.

    Weil er sich allerdings zu einer Beleidigung der Courage hinreißen lässt, glaubt er nicht, dass sie ihn weiter beherbergen wird. Hinzu kommt, dass der Koch der wohl aussichtsreichere Kandidat für ein Verhältnis mit Mutter Courage ist. Den Feldprediger jedenfalls weist Mutter Courage zurück.

  • Koch

    Der Koch kommt ursprünglich aus Utrecht in den Niederlanden und heißt Piet. Sein Spitzname ist Pfeifen-Piet, wie Yvette mitteilt. Der Name rühre daher, dass er auch beim Sex die Pfeife nicht aus dem Mund nehme – die tatsächlich stark zerbissen ist (vgl. 1405).

    Später gehen der Koch und die Courage – mutmaßlich – ein Verhältnis ein. Auffällig ist jedenfalls, dass der Koch die einzige Figur ist, die Mutter Courage mit ihrem echten Namen, Anna Fierling, anspricht. Zunächst nennt er sie noch mit dem Nachnamen, später mit dem Vornamen.

    Der Koch tritt erstmals als Nebenfigur auf. Mutter Courage handelt mit ihm um den Preis eines Kapauns. Als der Koch plötzlich in eine Notlage gerät und unbedingt kaufen muss, korrigiert die Courage den Preis nach oben.

    Dennoch ist der Koch von ihr beeindruckt, geht später – wahrscheinlich – das obengenannte Verhältnis ein. Ebenso geschäftsmäßig ist dann schließlich sein Anerbieten, ausschließlich mit der Courage auszuwandern, Kattrin zurückzulassen. Genau deswegen aber nimmt Mutter Courage es ihm nicht eigentlich übel.

    Der Koch ist außerdem als Frauenheld bekannt. Sein Spitzname rührt zum Teil auch daher. So ist er derjenige, der Yvette in die Prostitution getrieben hat. Mutter Courage weiß das, glaubt aber auch daran, dass Menschen sich ändern können – oder wenigstens sich an Umstände anpassen können. Deswegen nimmt sie sich doch seiner an.

  • Yvette

    Yvette ist die einzige Figur, der man einen Erfolg bescheiden kann. Grundsätzlich ist sie der Courage ähnlich, sie verdient ebenfalls am Krieg. Das heißt, sie verdient als Lagerprostituierte an den Soldaten.

    Ihr erster Auftritt zeigt sie allerdings am Tiefpunkt. Sie trinkt bereits am Vormittag, weil sich im Lager herumgesprochen hat, dass sie eine Krankheit habe. Ob sie diese hat, ist nicht klar. Aber allein das Gerücht lässt ihre potenziellen Kunden wegbleiben.

    Dann aber erobern die katholischen Truppen die Region und Yvette schließt sich den neuen Machthabern an. Bald hat sie einen bevorzugten Freier beziehungsweise Liebhaber, der sie mit beträchtlichen ökonomischen Mitteln ausstattet. Ihr Liebhaber ist deutlich älter als sie.

    Heiraten aber tut sie dessen älteren Bruder, der bald stirbt. Damit ist Yvette die Witwe Obristin Starhemberg und zu Wohlstand gekommen (vgl. 1416). Dass sie aber drastisch gealtert ist, zeigt, dass es auch ihr nicht sehr gut ergangen ist. Yvette hat aber dennoch Erfolg und erweist sich damit als starke Frauenfigur. Eine moralische Verwerflichkeit an ihrer Tätigkeit ist zurückzuweisen. Yvette gehört zu den sympathischen Figuren. Dennoch: auch sie verdient am Krieg und ist damit eine Art Schwesterfigur zu Mutter Courage.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.