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Mutter Courage und ihre Kinder

9. Bild (1422-1428)

Zusammenfassung

Inzwischen ist es 1634 und Herbst: Mutter Courage und der Koch ziehen an einem Morgen durch ein halb zerstörtes Dorf und betteln. Dabei sprechen die beiden darüber, dass der Koch einen Brief aus Utrecht – seiner Heimat – erhalten habe, in dem es heißt, er könne eine Gastwirtschaft erben. Der Koch macht Mutter Courage das Angebot, mit ihr in die Niederlande zu ziehen, um sich dort als Gastwirtin niederzulassen.

Die Courage bittet sich Bedenkzeit aus. Sie müsse zunächst mit Kattrin darüber reden. Ohne sie würde sie nicht gehen. Der Koch allerdings hat das Angebot nur an die Courage gerichtet. Er befürchtet, Kattrin würde – weil sie durch die verunstaltende Narbe häßlich geworden sei – die Gäste verschrecken.

Zum Betteln singen Koch und Courage den »Salomo-Song«, in dem nacheinander die Tugenden der Weisheit, des Mutes, der Redlichkeit, der Frömmigkeit und überhaupt der Gesetzestreue als Nachteile präsentiert werden.

Aus einem zerschossenen Pfarrhaus ruft den beiden eine Stimme zu, sie könnten eine Suppe haben. Die Courage schickt den Koch voraus und kehrt zu Kattrin im Wagen zurück.

Die beiden Frauen packen ihre Waren und machen sich auf den Weg. Der Koch bleibt im Dorf zurück.

Analyse

Während der Koch die Mutter Courage in der vorangegangenen Szene noch »Frau Fierling« genannt hatte, hat sich ihre Beziehung nun gewandelt. Er nennt sie beim Vornamen: »Anna« (1423). Tatsächlich wird es nicht eigens thematisiert, doch es hat den Anschein, als wären Koch und Courage in ein intimeres Verhältnis eingetreten. Das Anliegen des Feldpredigers hatte die Courage ausgeschlagen, der Koch allerdings – als Don Juan verschrien – ist inzwischen soweit, ihr das gemeinsame Auswandern vorzuschlagen, womit die Courage grundsätzlich einverstanden ist.

Der Vorschlag des Kochs entwirft eine quasi-bürgerliche Existenz, die als Möglichkeit erscheint, auch nach dem Krieg zu überleben. Dass der Koch Kattrin aber nicht in seine Planungen miteinbezieht, hatte die Courage nicht geahnt. Sie will mit Kattrin die neue Lage besprechen, doch der Koch versetzt: »Ich hab dich unterbrochen, weil das ist ein Mißverständnis von deiner Seit, seh ich. Ich hab gedacht, das müßt ich nicht eigens sagen, weils klar ist. Aber wenn nicht, muß ich dirs halt sagen, daß du die mitnimmst, davon kann keine Rede sein« (1424).

Auf Nachfrage der Courage erläutert der Koch: »Da ist kein Platz in der Wirtschaft. Das ist keine mit drei Schankstuben. Wenn wir zwei uns auf die Hinterbein stelln, können wir unsern Unterhalt finden, aber nicht drei, das ist ausgeschlossen« (ebd.). Auch wenn die Ansicht des Kochs als egoistisch wahrgenommen werden kann, Brecht schreibt in seinem Modell: »Der Koch darf in dieser Szene unter keinen Umständen als brutal dargestellt werden« (Brecht 1964: 62).

Und weiter: »Die geerbte Wirtschaft ist zu klein, um drei Leute zu unterhalten, und den Gästen kann der Anblick der entstellten Kattrin nicht zugemutet werden, das ist alles. Die Courage findet seine Argumentation nicht unverständlich« (ebd.). Aber auch wenn sie die Argumente nachvollziehen kann, achtet sie doch darauf, dass Kattrin nichts davon mitbekommt.

Die Szene zeigt auch, dass die Zeiten schlechter geworden sind. Der Koch und Mutter Courage ziehen vor das Pfarrhaus und singen den »Salomon-Song«. In diesem Lied werden die zentralen Tugenden der Weisheit, der Kühnheit, der Redlichkeit, des Mitleids und der Frömmigkeit als Schwächen herausgearbeitet. Auch den großen Namen der Weltgeschichte hätten ihre Tugenden nichts genützt. Im Gegenteil, sie seien sogar für ihren Untergang verantwortlich.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.