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Mutter Courage und ihre Kinder

3. Bild (1368-1391)

Zusammenfassung

1628 oder 1629 gerät Mutter Courage mit ihrem Planwagen in katholische Gefangenschaft. Die Szene beginnt nachmittags in einem Feldlager. Der Zeugmeister des Finnischen Regiments bietet der Mutter Courage einen Handel mit Munition an. Wissend, dass dies ihr Unternehmen in große Schwierigkeiten bringen kann, lehnt die Courage zunächst ab. Weil der Zeugmeister aber mit einer hohen Gewinnspanne locken kann, wenn die Courage die erstandene Munition wieder an die Armee zurückverkaufen würde, nimmt sie den Handel schließlich doch an.

Schweizerkas ist inzwischen Zahlmeister des Finnischen Regiments geworden und verwaltet die Regimentskasse. Im Feldlager ist auch Yvette Pottier anwesend. Sie verdingt sich als Prostituierte, findet aber keine Kundschaft beim Regiment, weil von ihr das Gerücht umgeht, sie habe eine Krankheit. Aus Frust trinkt Yvette nun bereits am Vormittag Schnaps und ist auch jetzt betrunken. Kattrin und Mutter Courage gegenüber singt Yvette das »Lied vom Fraternisieren«, in dem sie ihre Geschichte erzählt. So erfahren Courage und Kattrin, dass Yvette einst von einem Koch verführt und auf die schiefe Bahn getrieben worden sei. Betrunken schwankt Yvette schließlich davon und lässt ihren Hut und ihre roten Schuhe beim Planwagen.

Danach treten der Koch und der Feldprediger auf. Letzterer behauptet, eine Nachricht von Eilif an Schweizerkas zu haben. Mutter Courage gibt ihm etwas Geld, dass er dem Eilif hinterbringen solle. Der Koch ist dabei, weil er ein Glas Branntwein von Mutter Courage bekommen möchte. Zwischendurch reden Feldprediger und Koch über den Krieg, der von allen anderen Kriegen dadurch zu unterscheiden sei, weil er ein Glaubenskrieg sei. Allerdings vertritt der Koch die Meinung, dass der Glaube nur vorgeschoben sei, der Krieg an sich bleibe sich gleich.

Während Courage, der Koch und der Feldprediger sich einen Schnaps genehmigen, probiert Kattrin die von Yvette zurückgelassenen Kleider an. Da ertönt Kanonendonner und Soldaten kommen hinzu. Die katholischen Truppen greifen an. Der Koch geht ab, lässt aber seine Pfeife beim Wagen liegen.

Um nicht als evangelischer Pastor erkannt zu werden, wirft sich der Feldprediger einen Mantel über, den Mutter Courage ihm zur Verfügung stellt. Auch Yvette kommt wieder. Sie macht sich für die Arbeit bereit, bei den katholischen Truppen wird schließlich nicht über ihre Krankheit gesprochen. Als Yvette wieder abgeht, kommt Schweizerkas mit der Regimentskasse gelaufen. Er muss sie vor den katholischen Truppen verstecken. Unterdessen wird Kattrin von Courage mit Asche eingerieben, damit sie nicht von den Soldaten vergewaltigt wird. Die Kasse wird zunächst im Wagen versteckt.

Drei Tage später sitzen Schweizerkas, Kattrin, Courage und der Feldprediger vormittags beim Planwagen und essen. Schweizerkas hat vor lauter Gewissensbissen keinen Appetit und denkt darüber nach, wie er die Regimentskasse bestmöglich zu seinem Vorgesetzten zurückbringen könnte. Schließlich entscheidet sich Schweizerkas dazu, sie wegzubringen und zu verstecken. Wenn die katholischen Truppen abgezogen sein werden, will er sie aus dem Versteck holen. Allerdings tritt eine Person mit Binde auf, der sich als Spitzel der katholischen Seite entpuppt. Er ist bereits auf der Suche nach Schweizerkas und der Regimentskasse. Kattrin versucht Schweizerkas noch zu warnen, doch dieser versteht die Stumme nicht und macht sich mit der Kasse auf zu einem Maulwurfsloch, in dem er sie versenken will. Dabei wird er allerdings aufgegriffen und festgenommen.

Der mit der Binde und ein katholischer Feldwebel bringen Schweizerkas zum Wagen, um herauszufinden, ob Courage, Feldprediger und Kattrin etwas mit Schweizerkas zu tun haben. Alle aber leugnen die Verwandtschaftsverhältnisse. Schweizerkas wird abgeführt.

Am Abend des Tages sitzen Feldprediger und Kattrin allein beim Planwagen und putzen. Der Feldprediger singt »Das Horenlied«. Mutter Courage tritt auf. Sie hat einen Plan, um Schweizerkas aus der Macht der Katholiken zu befreien. Es gehe den Katholiken nur um das Geld. Mutter Courage berichtet, sie habe mit Yvette verabredet, dass diese den Wagen verpfändet.

Yvette tritt mit einem alten Obristen auf, der ihr Liebhaber zu sein scheint. Er berate sie in geschäftlichen Angelegenheiten, wie Yvette sagt. Allerdings gibt der Mann ihr lediglich Recht – wobei er sich auch widerspricht. Nach einer kurzen Verhandlung stimmt Yvette schließlich zu, den Wagen als Pfand zu akzeptieren. Nach Ablauf einer Frist von zwei Wochen würde der Wagen – und damit die Existenzgrundlage der Courage – Yvette gehören. Yvette verspricht dafür zweihundert Gulden aufzutreiben und damit exakt den Betrag, den die Katholischen haben wollen, um Schweizerkas freizulassen. Courage spekuliert unterdessen auf die Regimentskasse, deren Versteck Schweizerkas nicht verraten hat. Yvette geht ab, um sich mit dem Fähnrich – dem Spitzel mit der Binde – zu treffen, damit dieser ihr die 200 Gulden leihe.

Doch Yvette kommt mit schlechten Nachrichten wieder. Die katholischen Truppen haben Schweizerkas gefoltert, woraufhin dieser zugegeben hat, dass er die Kasse gehabt und wo er sie hingetan hat. Für Mutter Courage bedeutet dies eine dramatische Veränderung der Situation. Die Regimentskasse ist verraten, also kann die Courage ihre zweihundert Gulden nicht ersetzen. Deswegen versucht sie, den Preis herunterzuhandeln, damit ihr ein kleines Kapital zum Handeln übrig bleibt. Yvette überbringt den Katholiken das neue Angebot. Doch die Katholiken lassen sich nicht darauf ein. Schweizerkas wird standrechtlich erschossen. Als einige Soldaten die Bahre mit dem Toten zum Wagen bringen, um ihn identifizieren zu lassen, gelingt es Courage, Kattrin und dem Feldprediger, den Schein zu wahren, als würden sie den Toten nicht kennen.

Analyse

Dieses Bild ist das längste des ganzen Stücks und in sich in drei Sub-Szenen gegliedert. Wurde Mutter Courage im vorangegangenen Bild noch als, zwar ruchlose, dafür aber gerissene Händlerin gezeigt, wird sie nun auch mit einer geradezu pathologischen Tendenz zum Handel gezeigt. Sie ist von dem Handel nicht überzeugt, doch widerstehen kann sie ihm auch nicht.

Im Kontrast zu ihrem eigenen Verhalten fordert sie von ihrem Sohn Schweizerkas Redlichkeit: »Ich hab gelernt, nix muß kommen, wie man denkt, nicht einmal die Jahreszeiten. Aber deine Regimentskass muß stimmen, wies auch kommt« (1369). Allerdings ist der Kontrast im epischen Theater Brechts auf eine spezifische Weise hervorgehoben, die auch eine andere Lesart ermöglicht. Das Verhalten von Mutter Courage hat durchaus nichts widersprüchliches an sich. Sie fordert von ihrem Sohn keine Redlichkeit um der Redlichkeit willen. Sämtliche Tugenden werden vor allem wegen ihrer tatsächlichen Konsequenzen wertgeschätzt oder nicht. In dem Moment, in dem sich die Machtverhältnisse verschieben, ist der Imperativ Mutter Courages außer Kraft gesetzt. Mutter Courage herrscht Schweizerkas an, sich der Kasse zu entledigen: »Wirf sie weg! Es hat sich ausgezahlmeistert« (1377).

Diesem ethischen Opportunismus entsprechen die Versuche der Mutter Courage, sich den neuen Machtverhältnissen auch selbst anzupassen. Ihre erste Begegnung mit den erobernden Katholiken schildert sie analeptisch, also im Rückblick, wie folgt: »Ich hab ihnen gesagt, daß ich gegen den Antichrist bin, den Schweden, wo Hörner aufhat« (1378). Doch sie passt nicht nur ihre Äußerungen an, auch durch ihr Verhalten versucht sie eine gewisse Zugehörigkeit zur anderen Gruppe zur Schau zu stellen: »Mitten im Verhör hab ich gefragt, wo ich Weihkerzen einkaufen kann, nicht zu teuer« (ebd.).

Die Szene stellt die Courage in aller Zweideutigkeit dar. Einerseits erweist sie sich als heillose Opportunistin, die jegliche Maskierung nutzt, um daraus einen Vorteil zu schlagen. Andererseits aber stellt sich ihr Geschick, sich anzupassen, in solch einer Beiläufigkeit heraus, dass jeglicher Eindruck, sie brüste sich, verblasst. Mutter Courage wird als geschickt dargestellt, ihr moralischer Fehltritt wird in dieser Szene nicht eigens hervorgehoben. Da sie auch vorher keine übertriebene Zugehörigkeit zu den lutherischen Truppen hat erkennen lassen, wird indes auch der Eindruck, sie sei eine moralisch indifferente Opportunistin, gemindert.

Ähnlich indifferent erscheint die Szene, in der ihr Schweizerkas vom Feldwebel und Dem mit der Binde vorgeführt wird. In einer geradezu biblischen Anspielung verleugnet sie ihren Sohn dreimal (vgl. 1382). Freilich bleibt ihr Verhalten in diesem Falle nur unzureichend gedämpft. Als Feldwebel und Spitzel Schweizerkas wegbringen, läuft Mutter Courage ihnen rufend hinterher.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.