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Mutter Courage und ihre Kinder

2. Bild (1360-1368)

Zusammenfassung

Zwischen 1625 und 1626 ziehen Courage, Kattrin und Schweizerkas den Wagen durch Polen. Schließlich kommen sie vor der Festung Wallhof an. Im Feldlager handelt die Courage mit einem Koch über den Preis eines Kapauns. Im Hintergrund ist Kanonendonner zu vernehmen.

Der Koch beschwert sich über den seiner Ansicht nach zu hohen Preis. Mutter Courage verlangt sechzig Heller. Der Koch indes behauptet, für zehn Heller gleich ein Dutzend vergleichbarer Kapaune zu bekommen. Doch Mutter Courage versetzt, dass Belagerung sei. Und auch wenn die schwedischen Truppen, zu denen der Tross der Courage gehört, die Belagerer seien, hätten sie doch noch weniger als die Belagerten selbst, die alle Nahrungsmittel in Wallhof horten würden.

Der Koch bietet aus seiner Notlage heraus dreißig Heller, doch die Courage winkt ab. Also verweist der Koch auf den Rest Rindfleisch, den er noch auf Lager hat. Er will die Courage davon überzeugen, dass er gar nicht auf ihren Hahn angewiesen sei. Doch Mutter Courage lässt sich nicht beirren.

Dann aber treten der Feldhauptmann, Eilif und der Feldprediger ins benachbarte Zelt. Seit der Werbung hat Courage ihren ältesten Sohn nicht mehr gesehen. Dieser hat sich als Kriegsheld profiliert. Der Feldhauptmann ordert Fleisch beim Koch. Dadurch kommt dieser schließlich in Zugzwang und muss den Kapaun der Courage kaufen, die ihn nun zu einem nochmals höheren Preis an ihn verkauft.

Eilif erzählt seinem Hauptmann, dass er Auftrag gehabt habe, einigen Bauern aus der Gegend das Vieh wegzutreiben. Weil die Bauern das Vieh aber im Wald versteckt hätten, habe sich Eilif auf die Lauer gelegt und sie überrascht, als sie zum Vieh wollten. Bei dem sich anschließenden Handgemenge sei Eilif fast totgeschlagen worden. Allerdings habe er den Bauern gegenüber so getan, als wolle er ihnen das Vieh abhandeln. Als die Bauern sich aber darauf einlassen, überfällt Eilif sie und treibt sie in die Flucht.

Die Geschichte hat Mutter Courage gehört und schimpft über den Hauptmann. Er sei ein schlechter Hauptmann, weil er ansonsten keine guten Soldaten wie Eilif bräuchte. Nebenan singt Eilif unterdessen das Lied »Das Schießgewehr schießt, und das Spießmesser spießt«. Die letzte Strophe singt Mutter Courage mit, woraufhin Eilif ins Küchenzelt tritt und seine Mutter erkennt. Nach einigen Fragen nach seinem Ergehen, ohrfeigt die Mutter Eilif, weil er sich den Bauern nicht ergeben hat.

Analyse

Mutter Courage wird anschaulich als gerissene Händlerin gezeigt. Die Ausflüchte ihres Gegenübers, des Kochs, weiß sie genau zu kontern. Die Mutter Courage ist also nicht einfach nur eine Person, die am Krieg ihr Geld verdient, sie ist eine echte Kauffrau, die wohl auch – und das zeigt die Szene gleichsam mit – ohne den Krieg ihr Auskommen finden würde. Freilich mildert das nicht die Verantwortung, die Mutter Courage trägt. Im Gegenteil. Dadurch, dass sie zeigt, dass es auch anders ginge, wird Mutter Courage als moralisch besonders bedenklich präsentiert.

Doch auch in dieser Szene nutzt sie selbstredend die Notlage eines Geschäftspartners aus und geht sogar noch, als dessen Notlage offenbart wird, mit dem Preis nach oben. Freilich ist dies genau das, was der Markt macht. Steigt die Nachfrage, so steigt auch der Preis, das Angebot bleibt schließlich gleich. Freilich sieht auch der Koch das ein, er soll Mutter Courage deutlich später sogar dazu überreden wollen, mit ihm in die Niederlande auszuwandern. Einstweilen aber geht der Koch auf das Angebot ein und bereitet den Kapaun zu.

Von diesem Moment an verlagert sich die Handlung mehr und mehr auf die Personage im Nebenzelt: Eilif, Feldprediger und der Feldhauptmann. Verbunden werden die beiden Szenerien erst durch den Gesang, den Eilif ursprünglich anstimmt, Mutter Courage aber aufnimmt. Das »Lied vom Weib und den Soldaten« formuliert eine radikale Kritik am als männlich konnotierten Krieg. Dass hier »Das Weib« (1366) als Opposition zum kriegstreibenden Mann konstruiert wird, ist sicherlich aus feministischer Perspektive nicht unbedenklich. Auf der anderen Seite ist »Mutter Courage und ihre Kinder« aber auch ein historisches Stück. Wobei »historisch« hier zwei Wortbedeutungen aufweist. Das Stück ist also historisch, insofern es seinen Stoff aus einem Krieg bezieht, der zum Entstehungszeitpunkt des Stücks schon vergangen, also historisch war. Andererseits ist es auch aus unserer heutigen Perspektive historisch, datiert es doch auf einen Zeitpunkt, der bereits über 80 Jahre vergangen ist. Damit ist es selbstredend auch seiner Ideologie nach an einen bestimmten historischen Kontext gebunden: die späten 1930er Jahre in Europa.

Gleichzeitig verweist das »Lied vom Weib und den Soldaten« auch auf die vorangegangene Szene, in der Mutter Courage die Soldaten und ihre Kinder Lose zu ziehen hieß. Das Weib aus dem Lied erinnert wie Mutter Courage an Kassandra aus dem Homerischen Epos »Die Illias«. Kassandra ist hier die einzige Person, die die Zerstörung von Troja schon frühzeitig voraussieht. Doch auf ihre Unkenrufe reagiert niemand. Sie ist die Seherin, die nicht gehört wird. Ein wenig ist das durchaus auch die Rolle, die die Courage spielt. Wenngleich die Figur vielfach gebrochen ist.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.