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Mutter Courage und ihre Kinder

Zitate und Textstellen

  • »Meine Lizenz beim Zweiten Regiment ist mein anständiges Gesicht, und wenn sie es nicht lesen können, kann ich nicht helfen. Einen Stempel laß ich mir nicht draufsetzen.«
    – Courage (zum Feldwebel) - 1352

    Mutter Courage erweist sich nicht nur der eigenen Aussage nach als Figur, die sich nicht auf einzelne Lesarten beschränken lässt. Sie ist so vielseitig wie uneindeutig. Sie ist emotional an ihre Kinder gebunden und dennoch eine kompromisslose Händlerin. Einen Stempel lässt sich Mutter Courage auch interpretatorisch nicht aufdrücken.

  • »Es ist gegen uns gesagt worden, daß es fromm zugeht im schwedischen Lager, aber das ist üble Nachred, damit man uns schadet. Gesungen wird nur am Sonntag, eine Stroph! und nur, wenn einer eine Stimm hat.«
    – Werber (zu Eilif) - 1357

    Auch wenn immer wieder bekundet wird, bei dem Krieg handele es sich um einen Glaubenskrieg, tritt der Werber energisch dem Eindruck entgegen, bei ihnen ginge es fromm zu. Der Glauben soll den Soldaten nicht den Spaß am Krieg verderben. Gesungen wird auch nur, wenn man überhaupt Stimme hat. Das bedeutet: Diejenigen, die einen starken Kater haben, heiser sind, müssen nicht singen.

  • »Boshe moi«
    – Courage - 1377 f.

    Dabei handelt es sich um die latinisierte Form eines russischen Fluchs oder Ausrufs. Er bedeutet zu deutsch soviel wie »Ach, du meine Güte!« Der fremdsprachliche Fluch verweist darauf, dass Mutter Courage durch ihre Lebensweise gewissermaßen paneuropäisch ist. Ihre Klasse – die Händlerklasse – ist international. Und genau auf dieser Ebene dem ebenfalls internationalistischen Proletariat als Klassenfeind entgegengesetzt.

  • »Mit tut so ein Feldhauptmann oder Kaiser leid, er hat sich vielleicht gedacht, er tut was übriges und was, wovon die Leut reden, noch in künftigen Zeiten, und kriegt ein Standbild, zum Beispiel er erobert die Welt, das ist ein großes Ziel für einen Feldhauptmann, er weiß es nicht besser. Kurz, er rackert sich ab, und dann scheiterts am gemeinen Volk, was vielleicht ein Krug Bier will und ein bissel Gesellschaft, nix Höheres. Die schönsten Plän sind schon zuschanden worden durch die Kleinlichkeit von denen, wo sie ausführen sollten, denn die Kaiser selber können ja nix machen, sie sind angewiesen auf die Unterstützung von ihre Soldaten und dem Volk, wo sie grad sind, hab ich Recht?«
    – Courage (zum Feldprediger) - 1401

    Mutter Courage führt den Krieg auf die Interessen sogenannter großer Männer zurück. Sie seien eigentlich verantwortlich. Ironisch ist hier zu verstehen, dass die Courage scheinbar die Partei der großen Männer einnimmt. Sie gibt vor, sie zu bemitleiden. So ironisch dies aber auch geäußert wird, im Prinzip hat Mutter Courage durchaus auch ein Interesse daran, dass der Krieg weitergeht. Sie lebt von ihm.

  • »Es hat immer welche gegeben, die gehn herum und sagen: ›Einmal hört der Krieg auf.‹ Ich sag: daß der Krieg einmal aufhört, ist nicht gesagt. Es kann natürlich zu einer kleinen Paus kommen. Der Krieg kann sich verschnaufen müssen, ja, er kann sogar sozusagen verunglücken. Davor ist er nicht gesichert, es gibt ja nix Vollkommenes allhier auf Erden. Einen vollkommenen Krieg, wo man sagen könnt: an dem ist nix mehr auszusetzen, wirds vielleicht nie geben. Plötzlich kann er ins Stocken kommen, an was Unvorhergesehenem, an alles kann kein Mensch denken. Vielleicht ein Übersehn, und das Schlamassel ist da. Und dann kann man den Krieg wieder aus dem Dreck ziehen! Aber die Kaiser und Könige und der Papst wird ihm zu Hilf kommen in seiner Not. So hat er im ganzen nix Ernstliches zu fürchten und ein langen Leben liegt vor ihm.«
    – Feldprediger (zur Courage) - 1401 f.

    In diesem Zitat kehrt der Feldprediger das Verhältnis von Krieg und Frieden als Verhältnis von Ausnahme und Regel um. Der Krieg ist hier fortan die Regel, nicht mehr der Frieden, der nur als Unterbrechung des Krieges verstanden wird. Ferner hat der Krieg ein Eigenleben. Damit wird er mythisch überhöht, ja zum Leviathan stilisiert.

  • »Die armen Leut brauchen Courage. Warum, sie sind verloren. Schon daß sie aufstehn in der Früh, dazu gehört was in ihrer Lag. Oder daß sie einen Acker umpflügen, und im Krieg! Schon daß sie Kinder in die Welt setzen, zeigt, daß sie Courage haben, denn sie haben keine Aussicht. Sie müssen einander den Henker machen und sich gegenseitig abschlachten, wenn sie einander da ins Gesicht schaun wolln, das braucht wohl Courage. Daß sie einen Kaiser und einen Papst dulden, das beweist eine unheimliche Courage, denn die kosten ihnen das Leben.«
    – Courage (zum Feldprediger) - 1404

    Hier thematisiert Mutter Courage ihren eigenen Spitznamen, ent- und rekontextualisiert ihn. Courage – also Mut – wird hier als eine Eigenschaft dargestellt, die keinen Wert an sich birgt, sondern je nach Situation etwas anderes meinen kann. So ist Courage auch eine gewisse Duldsamkeit, ebenso ein Absehen von den tatsächlichen Zuständen und – im letzten Vergleich – eine Form der Unehrlichkeit.

  • »Sagen sie mir nicht, daß Frieden ausgebrochen ist.«
    – Courage (zum Feldprediger) - 1410

    Dadurch, dass hier die Wendung »Krieg ist ausgebrochen« zitiert und ironisch gebrochen wird, macht die Courage den Krieg zur Normalität, den Frieden zur Abweichung. Krieg herrscht – Frieden bricht aus. Nach dieser Logik ist der Frieden auch ein Ärgernis, weil er die Geschäfte stört.

  • »Glaub nicht, daß ich ihm deinetwegen den Laufpass gegeben hab. Es war der Wagen, darum.«
    – Courage (zu Kattrin) - 1428

    Mutter Courage kann hier ihre Zuneigung zu Kattrin gar nicht richtig zeigen. Sie muss Kattrin davon überzeugen, dass es der Wagen sei, weswegen sie das Anerbieten des Kochs, mit ihm nach Utrecht auszuwandern, ausgeschlagen habe. Tatsächlich wissen Rezipient*innen aber, dass Kattrin der Grund für Mutter Courages Handeln ist. Das lässt auf eine gewisse Unfähigkeit schließen, Emotionen zuzugeben.

  • »Seit ich verlumpt bin, bin ich ein besserer Mensch geworden. Ich könnt ihnen nicht mehr predigen.«
    – Feldprediger (zum Koch) - 1416

    Eine typisch brechtsche Formulierung. Das Paradox funktioniert hier auf mehreren Ebenen. Zunächst werden ein abgerissenes Äußeres mit der inhärenten Qualität des Gutseins eines Menschen in Verbindung gebracht. Impliziert wird, der Feldprediger sei ein besserer Mensch geworden, seitdem er verlumpt sei. Verlumpt ist dabei durchaus wertend zu verstehen. Der Feldprediger sieht also schlechter aus, ist aber besser geworden. Die nächste Stufe des Paradoxons besteht darin, dass dieser bessere Mensch, der ja eigentlich dazu prädestiniert wäre, seine Mitmenschen zu bekehren, nicht mehr predigen kann. Das bedeutet: Nur schlechte Menschen können predigen. Aus dem Mund eines Feldprediger durchaus eine bemerkenswerte – und wie gesagt: brechtsche – Behauptung.

  • »Nehmts mich mit!«
    – Courage (zum vorbeiziehenden Regiment) - 1438

    Dies ist der letzte Satz der Courage – danach singt sie nur noch einen Song. Sie ruft diesen Satz einem vorbeiziehenden Regiment zu. Nachdem Kattrin gestorben ist, braucht Mutter Courage nur einen kurzen Moment, um wieder zu sich zu kommen. Sie fährt mit ihrem gewohnten Lebenswandel fort. Sie verdient weiterhin am Krieg.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.