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Mutter Courage und ihre Kinder

11. Bild (1430-1436)

Zusammenfassung

Es ist 1636. Im Januar kommen Courage und Kattrin mit ihrem Wagen auf einem Bauernhof vor den Toren der Stadt Halle an der Saale unter. Es ist Nacht. Der Planwagen sieht mittlerweile eher mitgenommen aus.

Mutter Courage ist gerade in der Stadt um einzukaufen. Es treten Soldaten der katholischen Seite auf, die die Bewohner: drei Bauern und Kattrin, heraustreiben. Sie zwingen sie zu schweigen, damit die Soldaten sich an die Stadt heranpirschen können. Außerdem wollen die Soldaten, dass ihnen einer von den Bauern einen Weg zur Stadt zeigt.

Zunächst weigern sich die Bauern, den Soldaten zu helfen. Als diese aber drohen, das Vieh der Bauern zu erschlagen, geben die Bauern nach und willigen ein. Der Jungbauer geht mit den Soldaten ab. Zurück bleiben Kattrin, der Bauer und die Bäuerin.

Der Bauer steigt auf das Dach des Hofes und schildert den Vormarsch der katholischen Truppen. Die Bäuerin fängt an, für die Bewohner der Stadt zu beten. Dabei erwähnt sie auch, dass in der Stadt ihr Schwager mit seinen vier Kindern säße. Kattrin hört es und schleicht zum Wagen.

Sie holt sich eine Trommel und steigt heimlich auf das Dach. Dort angekommen, fängt sie an zu trommeln und die Hallenser zu wecken. Bauer und Bäuerin wollen sie vom Dach herunterholen, doch Kattrin zieht die Leiter zu sich nach oben.

Daraufhin tritt der Fähnrich hinzu, der Kattrin anbrüllt, sie solle herunterkommen. Doch Kattrin trommelt weiter. Auch der junge Bauer ist wieder da. Gemeinsam überlegen die katholischen Truppen und die Bauern, wie sie Kattrin vom Dach bekommen könnten. Drohen und Bitten nützen allerdings nicht, sodass der Fähnrich schließlich ein Gewehr holen lässt, um Kattrin vom Dach zu schießen.

Kattrin hört nicht auf zu trommeln und wird schließlich von den Kugeln getroffen. Der Schuss allerdings wird von den Kanonen der Stadt Halle übertönt. Kattrin hat ihr Ziel erreicht.

Analyse

In dieser Szene schließt sich die Handlungskurve von Kattrin. Sie opfert sich, um die Kinder des Schwagers der Bäuerin zu retten. Dies wurde bereits in Bild fünf proleptisch angedeutet, als herausgestrichen wurde, in welchem Maße Kattrin Kinderlieb ist. Es scheint fast so, als könne Kattrin gar nicht anders, als sich selbst zu opfern, um die Kinder der Stadt Halle zu retten.

Bezeichnend ist das kontrastive Verfahren, mit dem Brecht einerseits die Einstellung der gastgebenden Bauern, andererseits aber das Verhalten Kattrins darstellt. Der Bäuerin fällt angesichts der drohenden Gefahr nichts anderes ein als zu beten. Auch von Kattrin fordert sie: »Bet, armes Tier, bet!« (1432).

An dem Gebet fällt auf, dass die Bäuerin immer wieder ihre eigene Handlungsfähigkeit betont. Sie wende sich an Gott, weil nur er noch helfen könne: »Vater unser, hör uns, denn nur du kannst helfen, wir möchten zugrund gehn, warum, wir sind schwach und haben keine Spieß und nix und können uns nix traun und sind in deiner Hand mit unserm Vieh und unserm ganzen Hof« (1432). Die Verschiebung der Verantwortung auf Gott wird ihr als tendenziell feiges Sich-Ergeben porträtiert. Vergleicht man das mit dem offen zur Schau gestellten Opportunismus der Bauern (vgl. 1433 ff.), der erst vom jungen Bauer eingestellt wird, ergibt sich der Eindruck einer zutiefst obrigkeitshörigen Gesellschaft.

Und genau das Gegenteil macht Kattrin vor. Freilich stirbt sie am Ende ihrer Auflehnung gegen das vermeintliche Schicksal. Es ließe sich durchaus sagen: sie erfüllt ihr Schicksal sogar und gibt dem Gebet der Bäuerin recht. Sie können nichts machen – außer sie opfern sich.

Dass aber gerade der Jungbauer das opportunistische Verhalten seiner Eltern schließlich aufgibt ist wichtig. Er bestärkt Kattrin in ihrem Verhalten, feuert sie regelrecht an: »Schlag weiter! Sonst sind wir alle hin! Schlag weiter, schlag weiter…« (1435). Dafür wird er vom Fähnrich niedergeschlagen – ob er überlebt, wird offen gelassen. Der Jungbauer darf hier als Figur verstanden werden, die Brecht nutzt, um die Bauernschaft nicht zur Gänze schlecht aussehen zu lassen.

Kommunisten und Bauern hatten von jeher ein schwieriges Verhältnis zueinander. Die Kommunisten repräsentierten das Industrieproletariat. Bauern waren oftmals sogar Besitzer ihres Landes und dementsprechend Eigner der Produktionsmittel. So hatte Josef Stalin nur wenige Jahre vor Entstehung von »Mutter Courage und ihre Kinder« die sogenannte Entkulakisierung befohlen, eine Zwangsumsiedlung von Bauern, die von vielen Historikern als Genozid bezeichnet wird. Brecht will mit der Figur des Jungbauern aufzeigen, dass die Bauernschaft nicht als Ganzes zu verwerfen sei. Auch sie könne zur Revolution getrieben werden – selbst wenn sie strukturell auf der Seite der Besitzenden stehen würde, also eigentlich der Klassenfeind sei.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.