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Mutter Courage und ihre Kinder

5. Bild (1396-1399)

Zusammenfassung

Zwischen 1630 und 1631 durchstreift Mutter Courage mit dem Feldprediger und Kattrin Polen, Mähren, Bayern, Italien und schließlich wieder Bayern. Die Szene ist in der Nähe von Magdeburg in einem zerschossenen Dorf.

Beim Planwagen sind zwei Soldaten, die Schnaps trinken wollen. Allerdings haben sie kein Geld, weil sie zu spät zum Plündern gekommen seien. Es handelt sich um katholische Truppen. Einer hat einen Damenpelzmantel übergeworfen, den die Courage als Zahlungsmittel einbehält.

Der Feldprediger tritt auf und fordert von Mutter Courage Leinenhemden, damit er sie als Verbandsmaterial für die Opfer des Artilleriebeschusses benutzen kann. Courage verweigert die Herausgabe. Auch Kattrins Drängen überzeugt die Courage nicht. Kattrin wird vom Mitleid überwältigt und bedroht ihre Mutter mit einer Holzplanke. Doch auch das nützt nichts.

Schließlich nimmt sich der Feldprediger einfach einige Hemden aus dem Wagen, zerreißt sie und verbindet damit Verwundete. Kattrin unterdes setzt ihr eigenes Leben aufs Spiel, um einen Säugling aus einem brennenden Haus zu retten.

Kattrin nimmt das Kind auf den Arm und wiegt es. Die Soldaten versuchen, den Schnaps zu stehlen, müssen aber den Pelzmantel da lassen.

Analyse

Im fünften Bild treten erste Brüche in den Persönlichkeiten der Figuren zutage. Kattrin etwa wird hier erstmals als Kindernärrin gezeigt. Sie rettet einen Säugling aus dem Feuer und setzt sich mit diesem etwas abseits hin. Mutter Courage kommentiert das wie folgt: »Hast glücklich wieder einen Säugling gefunden zum Herumschleppen? Auf der Stell gibst ihn der Mutter, sonst hab ich wieder einen stundenlangen Kampf, bis ich ihn dir herausgerissen hab, hörst du nicht?« (1398). Und nur wenige Augenblicke später ermahnt Mutter Courage die Kattrin nochmals: »Da sitzt sie und ist glücklich in all dem Jammer, gleich gibst es weg, die Mutter kommt schon zu sich« (1399). Kattrin hat sich inmitten des Krieges also eine gewisse Sanftmut bewahrt.

Ganz im Gegensatz zu ihrer Mutter Courage, von der Brecht in Bezug auf das fünfte Bild schreibt: »Bei der Courage ist eine Änderung vorgegangen. Sie hat den Sohn dem Wagen geopfert, so verteidigt sie den Wagen jetzt wie eine Tigerin. Durch hartes Handeln hat sie sich verhärtet« (Brecht 1964: 47).

Somit werden Kattrin und Mutter Courage einerseits als Kontrastfiguren entworfen, andererseits aber hängen beide Charakterisierungen mit der jeweiligen Performanz von Mutterschaft zusammen. Freilich: Bei Kattrin handelt es sich um eine virtuelle Mutterschaft oder eine potenzielle Mutterschaft – schließlich ist es nicht ihr Kind, das sie wiegt. Beide aber werden in Bezug auf die Rolle Mutter gezeigt. Dass dieser Vergleich die Mutter Courage schlechter dastehen lässt als ihre Tochter, versteht sich dabei fast von selbst. Schließlich hat das »Lied von der großen Kapitulation« bereits gezeigt, inwiefern die Vita der Mutter Courage auch ein Niedergang ist.

Doch auch Kattrin wird nicht unbedingt verklärt. Brecht schreibt: »Am Schluß der Szene hob die stumme Kattrin den Säugling hoch, während die Courage den Pelzmantel rollte und in den Planwagen warf: Die beiden Frauen hatten ihren Beuteanteil« (Brecht 1964: 49).

Auch Kattrin wird also – zumindest von Brecht selbst – als egoistisch wenigstens angedeutet. Und doch fungiert Kattrin immer noch als moralisches Gegengewicht zur Mutter Courage selbst: »Es wird alles versäumt, wenn ihre Kinderliebe als etwas dumpf Tierisches denunziert wird. Die Rettung der Stadt Halle« – die sich in dieser Szene proleptisch andeutet – »ist ein intelligenter Akt. Wie sonst könnte herauskommen, was herauskommen muß, nämlich, daß hier der Hilfloseste bereit ist zu helfen« (ebd.).

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.