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Mutter Courage und ihre Kinder

Rezeption und Kritik

»Mutter Courage und ihre Kinder« wurde am 2. Juni 1946 zum ersten Mal in Deutschland aufgeführt – im Rahmen der Kunst- und Kulturwochen am Stadttheater Konstanz in Baden-Württemberg (vgl. Kugli 2001: 397). Zuvor war es in Zürich aufgeführt worden.

Kugli zeigt auf, dass viele Rezensionen einseitig auf die Mutterrolle Mutter Courages abzielten und sich deswegen mit der eigentlichen Aussage des Stückes, dass nämlich gesellschaftliche Umstände für alles verantwortlich zu machen seien, gar nicht beschäftigten. Etwas anders habe Erich Kästner geurteilt, der an der Courage nicht ihre Mütterlichkeit – oder im Gegensatz dazu ihre Bösartigkeit – hervorhob, sondern vielmehr den Umstand, dass die prägenden politischen Konstellationen erst die Charaktere hervorbrächten. Mutter Courage zeige die herrschende Moral (vgl. ebd.).

In der Sowjetischen Besatzungszone indes wurde anhand des Stückes eine Diskussion über das epische Theater als solches geführt. Es wurde die Frage gestellt, inwieweit das Stück der Forderung des sozialistischen Realismus entspricht oder nicht. Fritz Erpenbeck etwa habe Brechts Stück rundweg abgelehnt (vgl. ebd.).

Nachdem »Mutter Courage und ihre Kinder« 1949 im Theater am Schiffbauerdamm in Ost-Berlin mit Helene Weigel in der Hauptrolle aufgeführt wurde, erschien Brecht diese – freilich von ihm selbst inszenierte – Aufführung als mehr oder weniger perfekt. Deswegen schrieb er 1949 auch das sogenannte Modell. Brecht selbst äußert sich eher lapidar zur Entscheidung, das Modell zur verpflichtenden Vorlage zu machen: »Der Stückeschreiber, um ein allzu freies Herumschöpfen mit seinen Stücken zu verhindern, griff tatsächlich zu sanfter Erpressung, indem er das Stück eine Zeitlang nur Bühnen zur Verfügung stellte, welche die Vorlage benutzten« (Brecht 1964: 96). Was genau an seinem Modell so vorbildlich gewesen ist – darüber schweigt der Autor jedoch.

Kugli schreibt, dass sich das Modell durchaus als erfolgreich erwies. Etwa 1949 in Wuppertal oder 1950 in München. Die Rezensionen waren überwiegend positiv.

Bis in die 1980er Jahre waren die meisten Inszenierungen Erfolge. Das Stück geriet geradezu zum Selbstläufer – wohl auch ein Grund, warum noch immer keine Spielzeit vergeht, an dem das Stück an keinem deutschen Theater aufgeführt wird.

Hervorzuheben ist allerdings die 1981er-Inszenierung in Bochum. Dort wurde Kattrin statt mit einer Trommel mit einem Schlagzeug ausgestattet. Dies hatte eine Diskussion um Modernisierung zur Folge (vgl. ebd.). Es ist ein bezeichnendes Faktum, dass ein Stück, das sich doch eigentlich dem epischen Theater verpflichtet fühlt, vom Publikum als so naturalistisch wahrgenommen wird, dass Modernisierungen verworfen werden.

Damit erweist sich das Stück auch in seiner Rezension als eines, dessen modernistischer Gehalt nicht richtig durchdringen konnte. Ein wenig paradox ließe sich wohl behaupten, dass die brechtsche Chronik zu gutes herkömmliches Theater ist, als dass das epische Moment sich wirklich manifestieren könnte. Episches Theater in Reinform lädt nicht zur Identifikation ein – ja, es soll Identifikation verhindern. Die Figur Mutter Courage aber tut genau das.

Brecht selbst war einigermaßen irritiert über diese Wirkung, die das Stück hatte. In einer Rezension schreibt Käthe Rülicke: »Es erschien Brecht erstaunlich, daß vielen Nachkriegszuschauern schwerfällt, die Courage als ›die Händlerin‹ zu erkennen. Sie sehen in ihr ›den Menschen‹, und da sie sich dann mit ihr identifizieren können, meinen sie: ›Sie kann nichts gegen den Krieg machen. Das Schicksal ist eben so: der eine kommt durch, dem andern nimmt er alles‹. Diesen Wunsch, sich mit der Courage zu identifizieren, empfand Brecht als vollkommene Kleinbürgerlichkeit, Folge einer Gesellschaftsordnung, in der die ›natürliche‹ Lebensweise die Produktion und der Verkauf von Waren ist, in der die Kriege zum Wirtschaftssystem gehören, keine Absonderlichkeiten sind, sondern ›Fortsetzung der Geschäfte mit anderen Mitteln‹. Das Merkantile gehört da zum Wesen des Menschen. ›Die Händlerin ist der Mensch‹.« (Rülicke 1964: 131).

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.