Skip to main content

Mutter Courage und ihre Kinder

6. Bild (1399-1408)

Zusammenfassung

Die Szene spielt im Inneren eines Marketenderzeltes vor Ingolstadt. Mittlerweile ist das Jahr 1632 angebrochen. Beim Planwagen sind der Feldprediger und ein Schreiber, die ein Brettspiel spielen. Mutter Courage und Kattrin sind mit der Inventur ihrer Waren beschäftigt.

Während der Hauptmann Tilly in der Nähe bestattet wird, muss Mutter Courage immer wieder zum hinten liegenden Ausschank, um dort Gäste zu bedienen. Mutter Courage äußert Mitleid für die Heeresführer, die beim Ausführen ihrer Pläne immer vom einfachen Volk abhingen, das nicht für den Krieg sei. Vor allem aber fürchtet die Courage wieder, dass der Krieg nun aus sein könnte.

Der Feldhauptmann aber beruhigt sie. Er geht davon aus, dass der Krieg ewig weitergehen werde und rät der Courage deshalb, sich Vorräte anzuschaffen, damit sie ausgestattet sei, wenn der Krieg wieder richtig losginge. Der Krieg könne, so der Feldprediger, zwar immer wieder ins Stocken geraten, zu einem wirklichen Ende aber werde er niemals kommen. Dafür würden schon die Parteien sorgen, die an ihm ein Interesse hätten. Damit überredet der Feldprediger die Courage. Sie schickt Kattrin in die Stadt, Vorräte einzukaufen.

Mutter Courage und der Feldprediger sprechen weiter über den Krieg. Derweil nimmt sich die Courage die Pfeife vom Koch vor und zündet sie an. Das nimmt der Feldprediger zum Anlass, um über den Koch zu lästern. Er sei ein Gewaltmensch und unzuverlässig. Courage aber lässt sich nicht beirren und hält an ihrem Urteil über den Koch fest: Es sei ein netter Mensch.

Über das Gespräch wird der Feldprediger schließlich vom Selbstmitleid übermannt und beklagt, dass seine Talente in der derzeitigen Lage brachliegen würden. Er habe die Macht der Sprache und könne ein ganzes Regiment in Rage sprechen. Schließlich macht er der Mutter Courage das Angebot, sie könnten ihre Beziehung in Zukunft doch enger gestalten. Courage aber lehnt ab.

Kattrin kommt wieder und wurde offenbar von Soldaten misshandelt. Sie hat einen Schlag auf den Kopf bekommen, von dem eine Narbe zurückbleiben wird. Zum Trost schenkt Mutter Courage der Kattrin die roten Stiefel von Yvette, die die Courage zurückbehalten hatte.

Die Szene endet mit einem Kanonendonner. Der Krieg ist also nicht zu Ende, sondern geht weiter.

Analyse

Bei der Mutter Courage hat sich erster Wohlstand eingestellt. Brecht schreibt: »Wieder ist die Courage verändert. Zunehmender Wohlstand hat sie weicher und menschlicher gemacht« (Brecht 1964: 52). Die ersten wirtschaftlichen Erfolge aber zeitigen auch Verunsicherung bei der Mutter Courage. Durch den Tod des Feldhauptmanns Tilly erscheint es möglich, dass es zu einem Friedensschluss kommt. Doch der Feldprediger beruhigt sie. Auf ihre Frage: »Dann meinen Sie nicht, daß der Krieg ausgehen könnt?« (1401), antwortet er: »Weil der Feldhauptmann hin ist? Sein Sie nicht kindisch. Solche finden sich ein Dutzend, Helden gibts immer« (ebd.).

Freilich ist die Angst der Courage vor dem Frieden ökonomisch determiniert: »Sie, ich frag Sie das nicht nur aus Hetz, sondern weil ich mir überleg, ob ich Vorrät kaufen soll, was grad billig zu haben sind, aber wenn der Krieg ausgeht, kann ich sie dann wegschmeißen« (ebd.). Worauf der Feldhauptmann versetzt: »Ich versteh, daß Sies ernst meinen« (ebd.).

An diesem Wortwechsel fällt auf, dass die Courage nach eigenem Bekunden nicht »aus Hetz fragt« (ebd.). Damit wird suggeriert, ein bloßes Interesse am Frieden um des Friedens Willen wäre eine nicht ganz ernst zu nehmende Motivation. Die Frage nach Krieg und Frieden wird nur dann eine ernsthafte Frage, wenn mit ihr ernsthafte geschäftliche Interessen verbunden sind. Die Antwort des Feldpredigers bestätigt diesen Eindruck. »Ich versteh, daß Sies ernst meinen« (ebd.) – das bedeutet auch, dass der Feldprediger die geschäftlichen Interessen der Courage wertschätzt.

Das wird vor allem deutlich an seiner Vorstellung vom Wesen des Krieges: »Der Krieg befriedigt nämlich alle Bedürfniss, auch die friedlichen darunter, dafür ist gesorgt, sonst möcht er sich nicht halten können« (1403). Der Krieg ist selbst geschäftsförmig. Und weil das so ist, wird er auch weitergehen: »Nein, der Krieg findet immer einen Ausweg, was nicht gar. Warum soll er aufhören müssen?« (ebd.). Dies nimmt die Courage als veritablen Ratschlag und entschließt sich, ihre Vorräte aufzustocken.

Im sechsten Bild wird Kattrin außerhalb der Szene von Soldaten angegriffen und geschlagen. Ihre Wunde wird sie verunstalten, meint Mutter Courage und damit ihre Hoffnungen darauf, nach dem Krieg einen Ehemann zu finden, dramatisch schmälern. Kurz schimpft die Courage auf den Krieg: »Das ist der Krieg! Eine schöne Einnahmequell!« (1408). Und dennoch fährt sie mit der Inventur der Waren fort, die Kattrin gerade vom Markt gebracht hat. Die Einsicht, die die Mutter Courage am Ende des sechsten Bildes hat: »Der Krieg soll verflucht sein« (ebd.), ist freilich nicht von langer Dauer. Der Krieg geht tatsächlich weiter, genauso wie die kaufmännischen Erfolge der Courage.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.