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Mutter Courage und ihre Kinder

Sprache und Stil

Die Sprache wird auf eine naturalistische Art und Weise benutzt. Jedenfalls könnte es auf den ersten Blick so wirken. Tatsächlich ist ein wirklicher Dialekt aber kaum festzustellen. Mutter Courage, die aus Bamberg stammt, hat keinen sehr ausgeprägten fränkischen Dialekt. Dennoch benutzt sie typische süddeutsche Wendungen – etwa: »Sogar mit die, wo nicht beim Heer sind« (1372). Das »wo« als Relativpronomen, bezeichnet auch Kugli als typisch süddeutsche Varietät (vgl. Kugli 2001: 385).

Insgesamt aber findet sich unter den Personen nur wenig Variation. Auch der niederländische Koch spricht wie die Courage. Auch der Feldprediger – nach eigenem Bekunden mit der Gabe der Sprache begabt – klingt nicht anders als die Mutter Courage. Die Sprache des Stücks ist kein Dialekt, der in mimetischer Form realisiert werden würde. Dennoch ist es deutlich, dass hier eine gewisse Umgangssprache entworfen werden sollte. Kugli schreibt »Die Sprache des Stücks ist Jaroslav Haseks ›Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkriegs‹ (1921-23), genauer der Übersetzung von Grete Reiner (1926/27) entlehnt. Die Figuren der Courage, insbesondere Mutter Courage selbst, sprechen eine dialekt-gefärbte, volksnahe Sprache« (ebd.).

Durch diese anscheinende Nähe zur Volkssprache wird eine gewisse naturalistische Qualität der Sprache evoziert. Überhaupt waren es ja die Dramen der Naturalisten, die den Gebrauch von Dialekt nicht nur in Volksstücken, sondern für das Theater insgesamt forcierten – hier kann vor allem an die Stücke Gerhart Hauptmanns gedacht werden: Allen voran »Die Weber«, das ja ursprünglich sogar den dialektalen Titel »De Waber« hatte.

Der Naturalismus bei »Mutter Courage« darf dabei aber nicht überschätzt werden. Galt die Verwendung von Dialekt dem klassischen Naturalismus der Jahrhundertwende um 1900 noch als Mittel, Authentizität herzustellen, ist der pseudonaturalistische Sprachgebrauch bei Brecht nurmehr dazu da, sämtliche Figuren zu stilisieren: Dargestellt wird das Volk. Keine elaborierten Denker, keine wohlerzogenen Adeligen, sondern schlicht und ergreifend das Kleinbürgertum. Aus dem Dialekt, der einen Herkunftsort anzeigt, wurde ein Dialekt, der eine gesellschaftliche Lage ausdrückt.

Mit der einfachen Sprache wird verdeutlicht, dass Rezipient*innen es hier mit einem Milieu mittlerer Lage zu tun haben. Es sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – die sogenannten kleinen Leute, deren Leben im Krieg hier geschildert wird. Deswegen die Sprache.

Die Geschichtsschreibung in den 1930er-Jahren, die auf die Heroik einzelner Feldherren abzielte, wäre anders an den Stoff herangegangen, was durchaus auch mit dem Führerkult im eigenen Land zu tun hat. Indem Brecht nun die normalen Menschen auch sprachlich in den Fokus rückt, schafft er seiner eigenen Theorie ein handfestes Problem. Durch die saloppe Sprache laden die Figuren zur Identifikation und Einfühlung ein. Genau das sollen sie gemäß der Theorie des epischen Theaters aber nicht tun.

Veröffentlicht am 20. November 2023. Zuletzt aktualisiert am 20. November 2023.