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Faust I

Szene 11: »Straße II« und Szene 12: »Garten«

Zusammenfassung

Faust und Mephisto unterhalten sich, nachdem dieser ein Treffen mit Gretchen und Marthe in deren Garten arrangiert hat. Damit das Treffen stattfinden kann, muss Faust den Tod des Ehemanns von Marthe bestätigen. Dieser weigert sich zunächst, doch Mephisto macht ihn darauf aufmerksam, dass Fausts wissenschaftliche Theorien auch nicht immer fundiert waren und seine Liebe für Gretchen zudem nicht aufrichtig sei. Dies verneint Faust, lässt sich dennoch auf die Lüge ein, um Gretchen treffen zu können.

Mephisto und Marthe laufen in der Szene »Garten« getrennt von Faust und Gretchen durch den Garten. Faust offenbart Gretchen seine Gefühle, die sie erwidert. Sie erzählt ihm von ihrer Lebenssituation. Sie müsse viel arbeiten und kümmere sich um die Familie, die nur noch aus ihr, ihrem Bruder und ihrer Mutter besteht. Marthe spricht währenddessen mit Mephisto über ihre gesellschaftliche Position und zeigt deutlich, dass sie gewillt ist, sich auf ihn einzulassen und nach dem vermeintlichen Tod ihres Mannes für eine erneute Ehe bereit ist. Mephisto geht darauf allerdings nicht ein.

Analyse

Faust ist gespannt, ob Mephisto ein Treffen mit Gretchen vereinbaren konnte. Das freut Mephisto: »Ah bravo! Find ich Euch in Feuer?« (V. 3025), da ihn dies dem Gewinn der Wette näherbringt. Doch als er Faust erklärt, dass dieser beim Treffen bestätigen müsse, dass Marthes Mann verstorben sei, weigert sich Faust: »Wenn Er nichts Besseres hat, so ist der Plan zerrissen.« (V. 3039) Doch Mephisto erinnert ihn daran, dass er bei seinen Lehren und seinem Streben nach Höherem auch nicht immer wusste, was er tat und es deshalb mit der Wahrheit nicht so genau nehmen solle. Damit erinnert Mephisto Faust an seine Unzulänglichkeiten und Unfähigkeit. Außerdem unterstellt er ihm, dass dessen Liebe für Gretchen nicht echt sei und seine Gefühle rein von den eigenen Trieben gesteuert würden. Faust lässt sich widerwillig auf die Bedingung für das Treffen ein, um Gretchen näher zu kommen und sich selbst seine Liebe für diese zu bestätigen: »Denn du hast recht, vorzüglich, weil ich muss.« (V. 3072) (Diekhans, Völkl, S. 54 f.)

Die Szene »Garten« hat einen sehr speziellen Aufbau. Faust und Mephisto reden weiterhin über ihre Ansichten zu dem Thema Liebe, allerdings nicht miteinander, sondern jeweils in Pärchen. Faust spricht mit Gretchen und Mephisto mit Marthe. Dabei wird insgesamt sechs Mal zwischen den Auftritten der Pärchen gewechselt, wobei Faust und Gretchen den größeren Redeanteil in der Szene erhalten. Daher ist der Schwerpunkt der Szene auf die Entwicklung zwischen Faust und Gretchen gelegt.

Gretchen ist Faust gegenüber misstrauisch. Sie hält ihn für einen »Reisende(n)« (V. 3075), wodurch sie zum Ausdruck bringen möchte, dass sie vermutet, dass er sie nach einer kurzen Liebesbeziehung wieder verlassen und weiterziehen werde. Außerdem hält sie sich für nicht gebildet genug, um Faust in Gesprächen zu unterhalten: »Ich weiß zu gut, dass solch erfahrnen Mann/Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.« (V. 3077 f.) Doch das ist es auch nicht, was Faust sucht, weshalb er Gretchen mit der Aussage: »Ein Blick von dir, Ein Wort mehr unterhält,/Als alle Weisheit dieser Welt.« (V. 3079 f.) beruhigt. Er sucht bei ihr die Erfüllung seiner Triebe und demnach irdische Freuden. Sie soll ihn von seinem Streben ablenken.

In dieser Szene erfahren wir viel über Gretchens Leben. Sie erzählt Faust in ihrer Unschuld ihre gesamte Lebensgeschichte, wodurch deutlich wird, dass sie ein sehr selbstloser Mensch ist. Sie bildet die Kontrastfigur zu Faust, der rein aus Egoismus handelt. Gretchen hat sich um ihre Schwester gekümmert, bis diese schließlich starb, und führt den gesamten Haushalt, kocht, wäscht und geht täglich zur Beichte. Gerade diese Werte führen zu Fausts Begehren für Gretchen. Durch den Gesprächsverlauf wird deutlich, dass sowohl Faust als auch Gretchen die Nähe zueinander suchen. Jedoch verniedlicht Faust sie durch Ausdrücke wie »Liebchen« und zeigt, dass er sie nicht als gleichberechtigte Partnerin sieht. Gretchen untermalt diese Einschätzung, indem sie eine Blume nimmt und jeweils ein Blatt abreißt mit den Worten »Er liebt mich - liebt mich nicht.« (V. 3182) Dass dabei »Er liebt mich« das Ergebnis war, nimmt Gretchen als Zeichen, dass sie eine glückliche Zukunft mit Faust haben kann. Darauf verweist die Regieanweisung: »Das letzte Blatt ausrupfend, mit holder Freude« (S. 92). Die Blume und der Verlust der Blätter kann als Metapher und Vorausdeutung für die sexuelle Vereinigung von Gretchen und Faust gedeutet werden, die mit dem Verlust der Unschuld einhergeht.

Um seine Liebe zu verdeutlichen, baut Faust einen ersten Körperkontakt zu Gretchen auf. Während er sagt: »Lass dieses Blumenwort/Dir Götter-Ausspruch sein. Er liebt dich!« (V. 3184 f.), ergreift er ihre Hände. Für Faust bedeutet die Liebe zu Gretchen die Erfüllung seiner Wonnen, sprich unendliches Glück und die völlige Hingabe für eine andere Sache als seine Studien. Daher spricht er sehr enthusiastisch und untermauert seine Liebe mit der Aussage: »Sich hinzugeben ganz und eine Wonne/Zu fühlen, die ewig sein muss!/Ewig! - Ihr Ende würde Verzweiflung sein« (V. 3191 ff.). Die Betonung liegt hier auf »ewig«. Faust verspricht sich ewig andauernde Hingabe und Erfüllung, die Mephisto zum Sieger der Wette machen würden. Darauf drückt Gretchen seine Hände und läuft zu dem Gartenhäuschen in Marthes Garten. Faust folgt ihr.

Bei dem Gespräch zwischen Marthe und Mephisto wird deutlich, dass hier die Rollen anders besetzt sind als bei Gretchen und Faust. Marthe ist in dieser Konstellation die offensive Figur und versucht, mit Mephisto Konditionen für eine Eheschließung zu verhandeln. Bei Faust und Gretchen hingegen bemüht sich Faust offensiv um das schüchterne und zurückhaltende Mädchen. Hier wird besonders deutlich, wie unerfahren Gretchen noch ist und dass Marthe bereits Erfahrung im Umgang mit Männern hat, auch wenn sie Mephisto trotzdem in der Gesprächsführung unterlegen ist. Marthe versteckt ihre Absichten nicht und führt das Gespräch mit Mephisto direkt zu Beginn über das Thema Ehe. Sie steht der Ehe abgeklärt gegenüber, im Gegensatz zu Gretchen, und sieht diese lediglich als finanzielle Absicherung. Mephisto legt sich während des Gesprächs nicht fest und lenkt immer wieder von der Thematik ab. Marthe versteht jedoch nicht, dass es Mephistos Absicht ist, sich uneindeutig zu äußern und so sagt sie in ihrer Verzweiflung: »Ach, Ihr versteht mich nicht!« (V. 3161). Marthe und Mephisto ist die Annäherung zwischen Faust und Gretchen nicht entgangen. Sie freuen sich über die geglückte Verkuppelung (Diekhans, Völkl, S. 55-58).

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.