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Faust I

Szene 3: »Studierzimmer I« und Szene 4: »Studierzimmer II«

Zusammenfassung

Faust kehrt nach dem Spaziergang mit dem Pudel in sein Studierzimmer zurück. Er ist ernüchtert, denn sein Drang nach der Antwort, was der Sinn des Lebens, des Daseins ist, wird wieder größer. Er redet mit sich selbst und dem Pudel und schlägt die Bibel auf. Diese versucht er zu verbessern, indem er passendere Übersetzungen findet, als die, die ihm vorliegen. Der Hund bellt, wodurch Faust sich gestört fühlt. Daraufhin verwandelt sich der Hund und Geistergesang erklingt. Faust versucht, den Hund zu bändigen und sein Meister zu werden. Mephistopheles tritt aus der Hundegestalt hervor und ist gekleidet wie ein fahrender Student. Er stellt sich als einen Teil des Ganzen vor, der in der Finsternis seine Erfüllung gefunden hat. Mephistopheles merkt an, dass er durch die Macht eines Pentagramms, das Faust an die Türschwelle zeichnete, das Zimmer nicht verlassen könne. Daraufhin schlägt Faust einen Pakt vor. Mephistopheles scheint darauf einzugehen, jedoch unter seinen Bedingungen. Faust ist noch nicht so weit, den Pakt zu schließen. Mephistopheles verschwindet, indem er Faust mit Geistergesang zum Schlafen bringt.

Als Faust in der nächsten Szene (»Studierzimmer II«) aufwacht, fühlt er sich betrogen, wie schon zuvor bei der Begegnung mit dem Erdgeist. Es klopft und Mephisto kommt wieder. Faust ist erstaunt, aber auch erfreut. In einem Gespräch zwischen den beiden klagt Faust über sein irdisches Dasein und sein unerfülltes Streben. Schließlich schlägt Faust dem Teufel eine Wette vor. Mephisto soll ihm seine Wünsche erfüllen. Schafft er das, wird Faust ihm seine Seele geben und ihm somit dienen. Mephisto macht Faust deutlich, dass er sich allein durch den Abschluss der Wette nicht verändert habe und lernen müsse, die Menschen zu betrügen, um seine Ziele zu erreichen. Dafür gehen Faust und Mephisto auf Reisen. Während Faust sich für die Reise umzieht, redet Mephisto mit einem Schüler, der bei Faust lernen möchte. Faust ist sich unsicher, ob er die Reise antreten kann und diese seine Wünsche erfüllen wird.

Analyse

Faust kehrt in der Szene »Studierzimmer I« in sein Studierzimmer zurück und ist noch frohen Mutes aufgrund des Osterspaziergangs: »Es regt sich die Menschenliebe,/Die Liebe Gottes regt sich nun.« (V. 1184 f.) Das gefällt dem Pudel nicht und er stört die Ruhe und Fausts Monolog durch wiederkehrendes Bellen. Er schafft es nun, dass Faust die noch eben verspürte Ausgeglichenheit verliert und ausruft: »Aber ach! schon fühl ich bei dem besten Willen,/Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.« (V. 1210 f.)

Um seine Ausgeglichenheit wiederzufinden, beginnt Faust, seine Übersetzung der Bibel fortzusetzen. Er sucht eine zufriedenstellende Übersetzung für das griechische Wort »logos«. Die Übersetzung als »Wort« (V. 1226) gefällt ihm nicht und schließlich gelangt er zu der deutschen Übersetzung als »Tat« (V. 1237). Denn genau das verspürt Faust, einen Tatendrang, mehr zu erfahren und mehr zu wissen, als das, was in Büchern steht. Diese Entwicklung der Begrifflichkeiten spiegelt auch seine innere Entwicklung wider; er möchte endlich handeln und nicht mehr jeden Tag in seinem Studierzimmer vor Büchern verbringen.

Faust wird abermals durch den Hund unterbrochen und möchte diesen nun loswerden. Er befiehlt ihm, sein Zimmer zu verlassen: »Die Tür ist offen, hast freien Lauf.« (V. 1246) Daraufhin verwandelt sich der Pudel und zeigt endlich seine wahre Gestalt. Geistergesang ertönt »Drinnen gefangen ist einer!« (V. 1259) und deutet damit an, dass der Pudel nicht die wahre Gestalt ist. Faust glaubt nicht recht an die Kraft der Gestalt und versucht sie deshalb durch magische Beschwörungssprüche zu bannen. Dies gelingt allerdings nicht und er begreift, dass es sich um einen mächtigeren Geist als beispielsweise den Erdgeist handeln muss und fragt: »Bist du Geselle/Ein Flüchtling der Hölle?« (V. 1297 f.). Goethe baut eine Spannungskurve auf, die darauf schließen lässt, dass die folgende Begegnung von großer Bedeutung für die Handlung sein wird.

Der Rauch legt sich und Mephisto erscheint, verkleidet als Student. Er ist des Pudels Kern . In der Regieanweisung wird Mephisto als »fahrender Scholastikus« (Regieanweisung, S. 38) vorgestellt. Das verweist auf einen Studenten, der mehrere Jahre gereist ist und im Zuge dessen viele verschiedene Universitäten besucht hat. Dies ist ein angemessenes Auftreten, da Faust Gelehrter ist. Außerdem weist es auf die bevorstehende Reise hin, die Mephisto für Faust geplant hat. Er stellt sich vor als »der Geist der stets verneint!« (V. 1338) und als »Teil von jener Kraft,/Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« (V. 1335 f.) Mephisto ist ein Teil des Schöpfungsprinzips, arbeitet jedoch dagegen und möchte beweisen, dass Gott in seiner Annahme, die Menschen würden gut handeln, falsch liegt. Das Zitat weist darauf hin, dass er, wie eben erwähnt, Teil der Schöpfungsgeschichte ist, allerdings weder das Licht noch die Dunkelheit die Oberhand behalten, sie arbeiten Hand in Hand. Er führt weiterhin aus: »So ist denn alles was ihr Sünde,/Zerstörung, kurz das Böse nennt,/Mein eigentliches Element.« (V. 1342 ff.) Mephisto verheimlicht nicht, dass seine Absichten nicht gut sind. Faust widerspricht ihm und bezeichnet dessen Handeln als »vergebens« (V. 1382).

Daraufhin möchte Mephisto gehen, da er Faust für noch nicht bereit erachtet: »Du bist noch nicht der Mann den Teufel festzuhalten!« (V. 1509). Er bittet Faust, ihn gehen zu lassen, da er durch den Drudenfuß an dessen Tür das Zimmer nicht verlassen kann. Als Faust dies bemerkt, sieht er sich in einer besseren Verhandlungsposition als in einer zuvor ähnlichen Situation mit dem Erdgeist. Daher schlägt er Mephisto einen Pakt vor. Dieser jedoch wartet auf bessere Voraussetzungen für sich und schlägt den Pakt aus. Stattdessen ruft er seine Geister zur Hilfe und bringt Faust in einen Zustand des leichten Schlafs. Die Geister singen und zeigen Faust eine Welt voller Genuss und purem Erleben. Dies ist eine Vorausdeutung auf das, was folgt, nachdem Faust und Mephisto ihre Wette abschließen. Faust schläft und Mephisto lässt den Drudenfuß durch eine Ratte beschädigen, damit er den Raum verlassen kann. Als Faust erwacht, erinnert ihn die Situation an seine Begegnung mit dem Erdgeist: »Bin ich denn abermals betrogen?« (V. 1526). Er hat das Machtspiel mit dem Teufel vorerst verloren (Diekhans, Völkl, S. 31-35).

In der Szene »Studierzimmer II« besucht Mephisto Faust erneut. Dieses Mal ist er als Adliger (»edler Junker« (V. 1353)) verkleidet. Selbiges Gewand soll nun auch Faust anlegen, um sich von seinem Gelehrtendasein zu lösen, damit er »losgebunden und frei, [erfahre,] was das Leben sei« (V. 1543). Faust erwidert darauf: »In jedem Kleide werd ich wohl die Pein/Des engen Erdenlebens fühlen.« (V. 1545 f.) Gerade der Gedanke, auf solch eine Reise zu gehen, macht Faust wieder bewusst, wie eingeschränkt er sich durch sein materielles Dasein fühlt. Er kann, gebunden an sein irdisches Dasein, nicht nach Höherem streben und wünscht sich daher den Tod. Mephisto hat für ihn allerdings nur Spott übrig und erinnert ihn an seinen gescheiterten Selbstmordversuch: »Und doch hat jemand einen braunen Saft,/In jener Nacht, nicht ausgetrunken.« (V. 1579 f.)

Wenn Faust das Leben doch so verhasst ist, wie er sagt, dann hätte er sein Leben an Ostern beenden sollen. Dies schürt in Faust nur noch mehr Wut auf das Leben und er gibt seiner Seele die Schuld an dem gescheiterten Selbstmordversuch, da in dieser die Erinnerung an seine Jugend liegt: »So fluch ich allem was die Seele/Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt« (V. 1587 f.). Er beginnt nun alles aufzuzählen, was ihm zuwider ist und dem irdischen Leben eine Sinnhaftigkeit zuschreibt. Fausts Rede gipfelt in der Verfluchung der religiösen Werte der Menschheit, d. h. Glaube, Hoffnung und Liebe. Auch Geduld ist eine Tugend, die Faust verflucht, was bei seinem Wesen sehr naheliegend ist.

Ein Geisterchor beginnt zu singen und fordert Faust auf, aktiv zu werden. Mephisto tut den Gesang erst ab und wandelt ihn schließlich ab, sodass der Chor seine Botschaft wiedergibt. Mephisto bietet Faust an, ihn das Leben wieder genießen zu lassen. Bis zur Erfüllung dessen bietet er ihm an, sich in dessen Dienst zu stellen: »Ich bin dein Geselle/Bin ich dein Diener, bin ich dein Knecht!« (V. 1646; 1649). Daraufhin ist Faust neugierig und möchte seinen Einsatz für den Pakt wissen. Er solle dem Teufel »drüben« dienen, wie der Teufel ihm »hier« (V. 1658; 1656) diene. Dieser Pakt erscheint auf den ersten Blick wie der traditionelle Teufelspakt, nach dessen Beendigung der Teufel die Seele des Menschen bekommt. Allerdings beschränkt Mephisto seine Dienste nicht zeitlich und die Konjunktion »wenn« in der Aussage »[w]enn wir uns drüben wiederfinden« (V. 1658) deutet darauf hin, dass dieser Pakt von dem üblichen abweicht. »Wenn« kann hier in einen zeitlichen Kontext gesetzt werden, d. h. wenn Faust im Jenseits ist, muss er Mephisto dienen. Allerdings kann die Konjunktion auch in einen konditionalen Kontext gesetzt werden, sprich als Bedingung verwendet werden.

Fausts Reaktion auf das Angebot ist herablassend. Weder traut er Mephisto zu, ihn seinem inneren Streben näherzubringen, noch ist ihm wichtig, was mit seiner Seele im Jenseits geschieht. Er möchte alle menschlichen Erfahrungsmöglichkeiten erleben, zu denen Höhen und Tiefen gehören. Er sucht die Summe der Erfahrungen, den »schmerzlichsten Genuss« und »erquickenden Verdruss« (V. 1766 f.) und nicht den bloßen Konsum des Genuss’. Das schreckt Mephisto keineswegs ab. Dieser zeigt sich weiterhin selbstsicher, Faust genau das bieten zu können. Mephisto hat ein gänzlich anderes Verständnis von Genuss, was sich in der Szene »Auerbachs Keller« zeigt, dem ersten Reisestopp der beiden.

Faust ist gespannt, ob Mephisto sein Verlangen stillen kann: »Kannst du mich schmeichelnd je belügen/Dass ich mir selbst gefallen mag,/Kannst du mich mit Genuss betriegen;Das sei für mich der letzte Tag! Die Wette biet ich!« (V. 1693-1698). Er bietet ihm die Wette an und wenn er sich wirklich auf Mephistos platte Verführungen einlassen und dadurch sein Streben aufgeben sollte, hätte Mephisto die Wette gewonnen, weil Faust damit das schlechte Menschenbild bestätigen würde. Faust kann die Wette guten Gewissens abschließen, denn Mephisto geht von falschen Voraussetzungen aus. Für Mephisto liegt der Gewinn der Wette darin, Faust zur Ruhe zu bringen, zu innerer Zufriedenheit, die keines Strebens mehr bedarf.

Faust hingegen will nach mehr Streben und weiß, dass der Zustand der Rastlosigkeit nie enden wird und sollte er es doch, so kann der Teufel gerne seine Seele haben, denn dann hätte er ohnehin nichts mehr vom Leben zu erwarten. Er möchte kein passiver Teilnehmer an seinem eigenen Leben werden. So steht die Wette von Mephisto und Faust parallel zu der Wette zwischen Mephisto und Gott. Wenn Faust nicht ruht, sondern strebt, bis er den Sinn seines Daseins erkannt hat, behält Gott recht, der das Gute in seiner Schöpfung (den Menschen) sieht.

Mephisto erwartet nun von Faust, dass er den Pakt mit seinem Blut, welches »ein ganz besondrer Saft« (V. 1740) ist, unterschreibt. Damit macht er den existenziellen Charakter der Wette deutlich. Faust kam mit Magie und Wissenschaft nicht an das Ziel seines Strebens. Faust verspricht Mephisto »das Streben« seiner »ganzen Kraft« (V. 1742), was Mephisto sogleich unterbrechen möchte und Faust erklärt, dass dem Menschen nur des »Lebens Freude« (V. 1819) bleibe, also der niedere Genuss. Dadurch möchte Mephisto Fausts Streben brechen. Dies macht er nochmals in seinem Monolog deutlich, den er hält, als Faust sich umzieht:

    Den schlepp ich durch das wilde Leben,/Durch flache Unbedeutenheit,/Er soll mir zappeln, starren, kleben,/Und seiner Unersättlichkeit/Soll Speis und Trank vor gier’gen Lippen schweben;/Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,/Und hätt er sich auch nicht dem Teufel übergeben,/Er müsste doch zugrunde gehn! (V. 1860-1867).

Mephisto wird alles versuchen, Fausts Triebe zu wecken, um ihn von seinen höheren Bestrebungen abzubringen und diese vergessen zu lassen, bis Faust schließlich ganz vom Konsum eingenommen wird. So ist der Plan Mephistos.

Den Schluss der Szene bildet ein Gespräch zwischen Mephisto und einem Schüler, der Rat bei Faust sucht. Der Schüler ist zwar strebsam, bemerkt aber unmittelbar die Enge des Raumes: »Es ist ein gar beschränkter Raum,/Man sieht nichts Grünes, keinen Baum« (V. 1884 f.). Im Gegensatz zu Faust möchte der Schüler ein ausgeglichenes Leben zwischen Lernen und Freizeit. Mephisto spricht allen großen Wissenschaften der damaligen Zeit ihre Erkenntnisse ab und parodiert somit das Studium. Die Abkehr Fausts von der Wissenschaft durch niedere Freuden ist das Ziel Mephistos (Diekhans, Völkl, S. 35-42).

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.