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Faust I

Szene 19: »Nacht. Straße vor Gretchens Türe« und Szene 20: »Dom«

Zusammenfassung

Valentin, Gretchens Bruder, kehrt nach Hause zurück. Er befindet sich in der Straße vor dem Haus. Dort befinden sich auch Mephisto und Faust. Mephisto beginnt zu singen. Valentin ahnt, dass es um seine Schwester geht und sie gesündigt hat. Er fordert Mephisto und Faust zu einem Duell heraus. Mephisto setzt seine Magie ein, damit Valentin sich nicht wehren kann und befiehlt Faust, den entscheidenden Stoß zu tun. Als Valentin im Sterben liegt, flüchten beide. Marthe und die anderen Bewohner werden auf den Kampf aufmerksam und finden Valentin. Auch Gretchen kommt hinzu und ist bestürzt. Valentin richtet seine letzten Worte an Gretchen und beschimpft sie, da sie gesündigt habe.

Gretchen geht in der Szene »Dom« in die Kirche, um Buße zu tun. Sie wird von ihrem schlechten Gewissen eingeholt und fällt schließlich in Ohnmacht.

Analyse

Valentin, Gretchens Bruder, kehrt nach Hause zurück. Gretchens Sittsamkeit hatte ihm zuvor noch innere Ruhe verschafft, doch nun muss er sich das Gespött der Leute anhören.

Mephisto und Faust befinden sich auch vor Gretchens Haus. Faust spricht über seine Gefühle und bemerkt, dass er »Finsternis« (V. 3663) spürt und so auch sein Gemütszustand ist. Mephisto hingegen ist in guter Stimmung, da die Walpurgisnacht bevorsteht. Um die Wette mit Gott zu gewinnen, möchte Mephisto die Beziehung zwischen Faust und Gretchen weiter voranbringen. Mephisto beginnt ein Lied zu singen, das auf die Situation zwischen Faust und Gretchen hinweist. Ein Mann verführt ein Mädchen und verspricht ihr die Ehe, zu der es aber nicht kommen wird.

Valentin tritt aufgrund des Liedes hervor und fordert Mephisto zu einem Duell heraus: »Nun soll es an ein Schädelspalten!« (V. 3703). Doch ihm wird schnell klar, dass er nicht gegen einen Menschen antritt: »Ich glaub der Teufel ficht!/Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm.« (V. 3709 f.) Mephisto bedient sich seiner Kräfte und sorgt dafür, dass Valentin sich nicht verteidigen kann. Dann befiehlt er Faust »[s]toß zu!« (V. 3711) und Faust versetzt Valentin den Todesstoß. Nun hat er sich des Mordes schuldig gemacht und beide fliehen, da der Kampf Aufsehen erregt hat. Mephisto kann gegen eine mögliche Verurteilung Fausts wenig ausrichten, weshalb er ihn zur Flucht überredet, um seine Wette doch gewinnen zu können. Die Walpurgisnacht ist nah und Mephisto hofft auf neue Versuchungen für Faust.

Marthe und Gretchen sowie weitere Dorfbewohner werden auf Valentin aufmerksam. Dieser versucht, seinen Ruf durch Beschimpfungen gegenüber Gretchen wiederherzustellen, indem er sich von ihren Handlungen distanziert. Er bezeichnet sie als »Hur« (V. 3730) und fährt fort mit: »Und wenn dich erst ein Dutzend hat,/So hat dich auch die ganze Stadt.« (V. 3738 f.) Dabei lässt er auch die Schwangerschaft nicht aus: »Wenn erst die Schande wird geboren,/Wird sie heimlich zur Welt gebracht,/[...]/Ja, man möchte sie gern ermorden.« (V. 3740 f.; V. 3744) Valentin spielt darauf an, dass Gretchen ihr Kind nicht mehr verstecken kann und sie es in Schande und ganz alleine großziehen muss, da sie gesellschaftlich geächtet wird. Er prophezeit bereits ihr späteres Schicksal, indem er die Ermordung des Kindes in den Raum stellt. Valentin spricht Gretchen ihren Glauben und ihren Platz in der gesellschaftlichen Ordnung ab, um sich vollends von ihr zu distanzieren. Er hat kein gutes Wort mehr für seine Schwester übrig. Schließlich erhofft er sich von der Distanzierung, »zu Gott ein[zugehen] als Soldat und brav.« (V. 3775) Gretchen habe ihm, durch ihre Beziehung mit Faust, den eigentlichen Todesstoß versetzt, »den schwersten Herzensstoß« (V. 3773) (Diekhans, Völkl, S. 67 ff.).

Valentins Tod nimmt Gretchen sehr mit. Außerdem hat sie große Angst vor der Zukunft. In der Stadt wird ein Gedenkgottesdienst abgehalten, vermutlich auch für Gretchens Mutter. Gretchen wird begleitet von ihrem »bösen Geist«. Dieser ist ihr schlechtes Gewissen, das sie nicht mehr verdrängen kann. Sie fühlt sich für den Tod ihrer Mutter und ihres Bruders verantwortlich. Der böse Geist spricht alle Sorgen an, die Gretchen hat. Hierzu gehört auch ihre Schwangerschaft: »- Und unter deinem Herzen/Regt sich’s nicht quillend schon« (V. 3790 f.). Gretchens Gewissen quält sie, denn sie empfindet ihre Sünde als ein Vergehen an drei Generationen: Der Generation ihrer Eltern, ihrer Geschwister und ihrer Nachkommen. Sie hat über alle Sünde gebracht, zumindest sagt das ihr schlechtes Gewissen.

Gretchen sucht nun die Erlösung von ihren Sünden im Gottesdienst. Dies gelingt ihr allerdings nicht, da ihre Schuldgefühle eine zu schwere Last für sie sind. Der Chor singt und sie scheint nur die mahnenden Strophen zu hören. »Verbirg dich! Sünd und Schande/Bleibt nicht verborgen« und »Die Hände dir zu reichen,/Schauert’s den Reinen.« (V. 3821 f.; 3830 f.), sagt Gretchen ihr schlechtes Gewissen. Es spiegelt wider, dass sie sich bewusst ist, auf sich allein gestellt zu sein und kein Auffangen durch die Gesellschaft erwarten kann. Das nimmt ihr die Luft zum Atmen: »Mir ist als ob die Orgel mir/Den Atem versetzte« (V. 3809 f.). Alles in der Kirche scheint Gretchen einzuengen, bis sie schließlich am Ende der Szene in Ohnmacht fällt. Ihr schlechtes Gewissen belastet sie nicht nur seelisch, sondern hat nun auch körperliche Auswirkungen (Diekhans, Völkl, S. 70 f.).

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.