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Faust I

Szene 25: »Kerker«

Zusammenfassung

Faust erhält von Mephisto die Schlüssel zu Gretchens Kerker. Er geht zu ihr und hört sie singen. Als sie ihn hört, erkennt sie ihn nicht und hält ihn für den Henker. Faust redet auf sie ein und versucht, sie davon zu überzeugen, mit ihm zusammen zu fliehen.

Als Gretchen ihn erkennt, zählt sie alles auf, was sie für ihn getan hat. Ihre Mutter ist gestorben, damit sie sich mit Faust vergnügen konnte und auch ihr Bruder Valentin starb durch Fausts Degen. Gretchen sieht nun klar, dass Faust sie ausgenutzt hat und trotz des Kindes nie vorhatte, sie zu heiraten. Faust beteuert seine Liebe und versucht weiterhin, sie zur Flucht zu überreden. Diese lehnt ab, da sie in ihm nicht mehr ihren einstigen Geliebten sieht und zudem nicht für immer in Sünde leben möchte. Sie stellt sich ihrem Schicksal und tut Buße, indem sie die Flucht ablehnt. Schließlich wird sie von Gott erhört und gerettet.

Analyse

In dieser Schlussszene erscheint Faust vor Gretchens Kerkertür. Er hat einen Schlüssel und eine Lampe dabei, um mit ihr flüchten zu können. Er zögert jedoch: »Du fürchtest, sie wieder zu sehen« (V. 4410). Die Konfrontation mit Gretchen ist gleichermaßen eine Konfrontation mit seiner Schuld. Faust besinnt sich und sein schlechtes Gewissen gegenüber Gretchen überwiegt: »Fort! Dein Zagen zögert den Tod heran« (V. 4411).

Als Faust den Kerker betritt, hört er Gretchen singen. Die letzten zwei Verse des Liedes lauten: »Da ward ich ein schönes Waldvögelein;/Fliege fort, fliege fort!« (V. 4419 f.). Dies deutet darauf hin, dass sie frei von ihren Sünden sein möchte, die sie zuvor aufgezählt hat. Als Faust schließlich den Kerker betritt, erkennt Gretchen ihn nicht: »Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod! Wer hat dir Henker diese Macht/Über mich gegeben!« (V. 4423; 4426 f.). Sie hält Faust für denjenigen, der kommt, um sie richten bzw. hinzurichten. Ganz falsch liegt sie damit nicht, denn Faust trägt eine erhebliche Mitschuld an ihrer jetzigen Situation.

Schließlich beginnt Gretchen, über ihre Beziehung zu Faust zu sprechen. Man merkt, dass sie die Beziehung nun anders sieht: »Nah war der Freund, nun ist er weit;/Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut./Schone mich! Was hab ich dir getan?« (V. 4435 f.; 4438). Sie empfindet Fausts Verhalten nun als unangenehm und fragt sich, wieso er sie so behandelt und ihr das angetan hat und bereut, sich auf ihn eingelassen zu haben. Faust ist schockiert von Gretchens Zustand, denn sie benimmt sich wahnhaft. Gretchen kann sich ihrer Tat nicht stellen und gibt vor, dass ihr Kind noch leben würde und es ihr nur weggenommen wurde, weil die Weise, wie es entstanden ist, eine Sünde war. Sie versucht, sich vor ihrer Tat zu schützen, da sie die Realität nicht ertragen kann. Als Faust vor ihr auf die Knie geht, um sie aus ihren Ketten zu befreien, versteht Gretchen dies als Aufforderung für ein gemeinsames Gebet: »O lass uns knien die Heil’gen anzurufen!« (V. 4453). Selbst in der größten Todesangst spendet ihr der Glaube Kraft und ist ihr einziger Anker, der sie nicht vollständig verzweifeln lässt. Daher spürt sie auch immer noch Mephistos schlechten Einfluss und seine Anwesenheit.

Als die Ketten abfallen, freut sich Faust, denn er denkt, er kann gemeinsam mit Gretchen fliehen. Diese scheint seine Stimme nun erkannt zu haben und erinnert sich an die gemeinsame Zeit. Ihre Freiheit bezieht sich auf die Liebe und nicht auf die Flucht: »Ich bin frei! Mir soll niemand wehren./An seinen Hals will ich fliegen,/An seinem Busen liegen!« (V. 4463 ff.). Faust geht nicht auf Gretchen ein und beteuert lediglich stetig, dass er ihr einstiger Geliebter ist. Gretchen verliert sich weiter in Gedanken an ihr erstes Kennenlernen und die gemeinsame Zeit. Faust hingegen möchte einfach nur fliehen, um nicht entdeckt und selbst verurteilt zu werden. Er drängt sie mit den Worten: »Komm mit! Komm mit!« und »Eile!« (V. 4478; V. 4481). Gretchen ist davon verwirrt, will sie doch endlich wieder gemeinsame Zeit mit ihrem geliebten Faust genießen können: »Wie? du kannst nicht mehr küssen?« (V. 4484). Als sie versucht, Faust zu küssen, bemerkt Gretchen, dass er nicht aus Liebe gekommen ist: »O weh! deine Lippen sind kalt« (V. 4493). Es ist sein schlechtes Gewissen, dass er mit der Rettung beruhigen will.

Gretchen lehnt die Flucht vehement ab. Sie weigert sich, mit Faust mitzugehen. Sie weist ihn daraufhin, was sie getan hat: »Meine Mutter hab ich umgebracht,/Mein Kind hab ich ertränkt.« (V. 4507 f.) Doch sie sieht auch Fausts Mitschuld an den Geschehnissen. Faust möchte all dies nicht hören »Lass das Vergangne vergangen sein« (V. 4518) und ist nur an der Flucht interessiert. Diese interessiert Gretchen jedoch nicht mehr. Sie hofft auf eine symbolische Vereinigung ihrer Familie im Tode. Sie beginnt, die Gräber zu beschreiben und möchte etwas abseits von ihrer Mutter und ihrem Bruder liegen, da sie gesündigt hat, aber ihr Kind solle zu ihrer rechten Brust gelegt werden (an ihr Herz), damit sie nicht alleine und wenigstens im Tod mit ihm zusammen ist. Faust dürfe daher nicht sterben und solle alleine gehen, damit er sich um die Gräber und deren Anordnung kümmern könne. Gretchen ist schließlich die einzige, die von ihrer Familie übrig geblieben ist.

Als Faust merkt, dass sein Bitten vergebene Mühe ist, versucht er, Gretchen mit Gewalt aus dem Kerker zu tragen. Doch diese wehrt sich: »Fasse mich nicht so mörderisch an!« (V. 4577). Gretchen hat sich entschieden, sich ihrer Strafe zu stellen, da sie in einer Flucht keine Erlösung sieht: »Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.« (V. 4544) Als dann noch Mephisto hinzukommt, erkennt Gretchen diesen: »Der! der! Schick ihn fort!« (V. 4602). Sie ist außer sich und sucht nun Hilfe bei Gott: »Gericht Gottes! Dir hab ich mich übergeben!« (V. 4605). Mit der Feststellung »Heinrich! Mir graut’s vor dir.« (V. 4610) zeigt Gretchen deutlich die Entscheidung gegen die Flucht mit Faust und dem Teufel und entscheidet sich symbolisch gegen ein Leben in Sünde und für die Sühne ihrer Sünden, auch wenn das den Tod bedeutet. Mephisto drängt auf ein Gehen und sagt nur: »Sie ist gerichtet!« (V. 4611). Er wird durch eine Stimme aus dem Himmel verbessert: »Ist gerettet!« (V. 4612). Faust hingegen hört auf den Teufel: »Her zu mir!« (V. 4613) und verschwindet mit Mephisto. Gretchen ist gerettet und ihre Sünden werden ihr vergeben. Faust setzt seine Reise mit Mephisto fort (Diekhans, Völkl, S. 78-81).

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.