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Faust I

Sprache und Stil

Goethes Werk »Faust, der Tragödie erster Teil« wurde als Theaterstück verfasst. Daher weist es Regieanweisungen anstelle eines Erzählers auf und besteht aus Dialogen und Monologen der handelnden Figuren. Hierbei sind zwei Handlungsstränge zu erkennen. Zum einen die Gelehrtentragödie und zum anderen die Gretchentragödie, die einen Teil der Gelehrtentragödie darstellt. Diese Handlungsstränge verlaufen parallel, ergänzen sich und die Gretchentragödie findet ihren Abschluss in der Szene »Kerker«. Die Gretchentragödie ist, im Gegensatz zur Gelehrtentragödie, wie das klassische Drama nach Gustav Freytag aufgebaut. Sie weist eine Exposition auf, gefolgt von einem erregenden Moment, hinführend zum Höhepunkt, welcher zur fallenden Handlung und schließlich zur Katastrophe führt.

Ein sehr wichtiges Charakteristikum dieses Dramas ist die Vielfalt des Standes. Es treffen verschiedene soziale Schichten aufeinander. Hierbei ist die Tragödie nicht dem Adel vorbehalten und der bürgerlichen Schicht die Komödie, sondern die Menschen agieren miteinander. Faust als Gelehrter begehrt Gretchen, die nicht gleichermaßen gebildet ist wie er. Dies zeigt sich auch in der Vielfalt der Sprache. Faust spricht über die Wissenschaft und Bildung. Gretchen singt meist Lieder, da sie ihre wahren Gefühle nicht ausdrücken kann, oder sie spricht mit ihren Nachbarinnen über die aktuellen Gerüchte. Ihre Sprache ist einfach im Gegensatz dazu, wie Faust und Mephistopheles sprechen (Wrobel, S. 87.).

Das Stück »Faust I« ist in Versform geschrieben. Dabei wird keine einheitliche Versform verwendet, sondern zwischen verschiedenen Formen variiert, was kennzeichnend für den Übergang zur Weimarer Klassik ist. In Vers 386-459 und Vers 981-1011 finden sich beispielsweise Knittelverse. Knittelvers heißt übersetzt Reimvers (Knittel = Reim). Das Reimschema ist hier der Paarreim. Meist erscheint der Knittelvers in einer Abfolge von acht oder neun Silben. Die Kadenzen wechseln jeweils. Eine Kadenz kann weiblich oder männlich sein. Weibliche Kadenzen sind mehrsilbig am Wortende, männliche Kadenzen hingegen einsilbig.

Der Madrigalvers (früher auch als freier Vers bezeichnet) wird für Vers 59-74 und Vers 280-307 verwendet. Ein Madrigalvers weist einen regelmäßigen Wechsel von kurzen und langen Silben auf. Die Hebungszahl kann variieren.

Freie Rhythmen sieht man in Vers 514-518 sowie Vers 3431-3458 und den Blankvers in Vers 3217-3219. Freie Rhythmen weisen weder einen bestimmten Reim noch ein Metrum auf. Sie haben eine beliebige Silbenanzahl mit vielen Hebungen und Senkungen und erlauben es, Wörter, die besonders betont werden sollen, an einer geeigneten Stelle im Satz zu positionieren.

Bei der Strophenform zeigt sich ebenfalls eine Varianz zwischen der Stanze, z. B. in Vers 59-66 und Vers 67-74 sowie der Volksliedstrophe in Vers 2759-2782 und Vers 3602-3615. Sowohl bei der Strophenform als auch bei der Versform handelt es sich hier um ausgewählte Beispiele. Im gesamten Werk finden sich weitere Verse, die den eben genannten Formen zugeordnet werden können (Wrobel, S. 86.). 

»Trüber Tag. Feld« stellt die einzige Szene dar, die nicht in Versform, sondern in Prosa verfasst wurde. Die dort verwendete kraftvolle Sprache erinnert an die Epoche des Sturm und Drang. Dies ist an dem häufigen Gebrauch von Ausrufezeichen zu sehen. Auch sind die Sätze häufig elliptisch oder reine Ausrufe, um die Emotionalität der Figuren in der Szene zu unterstreichen. Hier zeigt sich, dass in »Faust I« Elemente aus verschiedenen literarischen Strömungen bzw. Epochen verwendet wurden. Zum einen die kraftvolle und ausdrucksstarke Sprache des Sturm und Drang, zum anderen die verschiedenen Versformen, die ein Indiz für die Weimarer Klassik sind. 

Des Weiteren zeigt sich eine Hinwendung zum Mystischen, durch das Auftreten von Geistern, Hexen oder gar dem Teufel, was der Epoche der Romantik zugeordnet wird. Das Sehnsuchtsmotiv ist durch die Erwähnung des Mondes (Szene »Nacht«) ebenfalls zu finden. Motive der Aufklärung sind in der Gretchentragödie zu sehen, da diese die Merkmale eines bürgerlichen Trauerspiels aufweist. Fausts Erkenntnissuche ist ein weiteres Motiv der Aufklärung. Es lassen sich aber auch Themen mittelalterlicher Dichtung erkennen, z. B. in der Thematisierung der Religiosität und ereignisreichen (spektakulären) Szenen wie »Auerbachs Keller« und »Walpurgisnacht«.

Eine sprachliche Besonderheit stellt die Verwendung von Liedern dar. Besonders Gretchen nutzt diese häufig, um die Leserschaft an ihren Gefühlen teilhaben zu lassen oder diese mitzuteilen. Sie singt in der Szene »Abend« das Lied »Der König in Thule« (V. 2759-2782) und rezipiert ein Gedicht am Spinnrad in der Szene »Gretchens Stube« (V. 3374-3413). Diese Form des sprachlichen Ausdrucks ist beschreibend für Frauen aus dem Kleinbürgertum. Gretchen konnte ihre Gefühle nicht mit eigenen Worten beschreiben und hat sich deshalb durch Lieder und Gedichte ausgedrückt, die ihre Gefühlslage widerspiegeln. Auch eingangs in der Szene »Nacht« ist es Chorgesang (V. 737-740 und V. 757-761), der Faust an seine Kindheit erinnert und von seinem Vorhaben, sich umzubringen, abhält.

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.