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Faust I

Szene 15: »Gretchens Stube« und Szene 16: »Marthens Garten«

Zusammenfassung

Gretchen sitzt alleine an ihrem Spinnrad und denkt an Faust. Sie beginnt ein Lied zu singen, das ihre Gefühle widerspiegelt. Es handelt von ihrem Verlangen nach Faust und ihrem Wunsch, ihn wiederzusehen.

In der nächsten Szene treffen sich Faust und Gretchen erneut im Garten der Nachbarin. Hier stellt Gretchen ihm die Frage, ob er an Gott glaube und genauso gläubig sei wie sie. Faust geht der Frage aus dem Weg, bis er schließlich lügt, um Gretchen weiterhin an sich zu binden. Er gibt ihr ein Fläschchen mit Schlafmittel, das sie ihrer Mutter geben soll, damit er und Gretchen die Nacht zusammen verbringen können. Mephisto ist erfreut über diese Entwicklung und sieht sich bereits als Gewinner der Wette. Gretchen hingegen äußert ihr Misstrauen gegenüber Mephisto.

Analyse

In der Szene »Gretchens Stube« wird erstmals der Name »Margarete« durch die Verniedlichung »Gretchen« ersetzt. Wie Faust zuvor in der Höhle reflektierte, so reflektiert Gretchen erneut ihre Gefühle durch ein Lied. Der Ausgangspunkt ihrer Reflexion ist, dass sie ihre innere Ruhe, die sie als Person ausmachte, verloren hat: »Meine Ruh ist hin« (V. 3374). Die Strophe, in der sie diesen Vers singt, wiederholt Gretchen mehrfach. Ohne Faust oder auch durch Faust hat sie ihre innere Ruhe verloren und findet sie nicht wieder. Laut Gretchen sei diese nun für immer weg. Ihr erscheint die Welt jetzt trist, denn »[w]o ich ihn nicht hab/Ist mir das Grab« (V. 3378 f.). Sie vertraut nicht mehr auf sich und ihren Urteilssinn, intuitiv das Richtige zu tun. Seit der Begegnung mit Faust ist ihr »Sinn [...] zerstückt« (V. 3384 f.).

Ein weiterer Aspekt des Liedes ist, dass Gretchen sich an Fausts schöne Erscheinung erinnert: »Sein’ edle Gestalt,/Seines Mundes Lächeln« (V. 3395 f.). Sie verzehrt sich nach ihm und kann nicht aufhören, an den gemeinsamen Kuss zu denken: »Und ach sein Kuss!« (V. 3401). Auch seine Ausdrucksweise beschreibt sie als »Zauberfluss« (V. 3399). Zusammenfassend ist Gretchen vollkommen von der Figur Faust und dem, was sie verkörpert, eingenommen. Deshalb kommt sie am Ende ihres Liedes (ihrer Reflexion) zu dem Schluss, dass sie sich ihm hingeben möchte, unabhängig davon, welche gesellschaftlichen Folgen das für sie haben kann. Faust hingegen kommt am Ende seiner Reflexion zu dem Ergebnis, dass er Gretchen verführen möchte, wohl wissend, welche Folgen das für sie haben wird und aus purem Egoismus heraus (Diekhans, Völkl, S. 61 f.).

Der zentrale Aspekt des Gesprächs zwischen Faust und Gretchen in der nächsten Szene in »Marthens Garten« ist die Gretchenfrage. Gretchen fragt ihn: »Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?« (V. 3415). Sie stellt die Frage, da sie vermutet, dass Faust nicht gläubig ist. Faust antwortet ausweichend: »Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben« (V. 3420) und bestätigt damit indirekt Gretchens Vermutung. Er leitet diese Aussage mit den Worten »Mein Kind« (V. 3418) ein und zeigt damit erneut, dass er Gretchen nicht als gleichwertige (Gesprächs-)Partnerin sieht. Auch Gretchen merkt, dass er sie nicht ernst nimmt und nicht versteht, wie wichtig ihr die Antwort auf die Frage ist. Daher fragt sie beständig nach, um endlich eine eindeutige Antwort zu bekommen. Sie unterstellt ihm, die heiligen Sakramente nicht zu ehren.

Nachdem sie auch darauf keine aussagekräftige Antwort erhält, beschließt Gretchen, ihn ganz direkt zu fragen: »Glaubst du an Gott?« (V. 3426). Wieder spricht Faust ihr die Gleichberechtigung in dem Gespräch ab und fragt: »Mein Liebchen, wer darf sagen/Ich glaub an Gott?« (V. 3426 f.). Sie fasst diese Aussage als eine Verneinung auf: »So glaubst du nicht?« (V. 3430). Dies dementiert Faust jedoch und beginnt, seine Naturerfahrung zu beschreiben und erklärt Gretchen, dass für ihn göttliche Erfahrung in der Liebe liege. Auch wenn Gretchen etwas beruhigt scheint, fasst sie Fausts Antwort als ein Nichtglauben an das Christentum auf.

Ein weiterer Aspekt, der Gretchen in ihrer Feststellung unterstützt, ist, dass Faust sich mit Mephisto umgibt. Mephisto ist ihr in »tiefer innrer Seele verhasst;« (V. 3472) und sie spürt, »dass er an nichts keinen Anteil nimmt« (V. 3488). Damit meint Gretchen, dass er keine Empathie zeigt und sich einen Spaß aus jeder Situation zu machen scheint: »Sieht er immer so spöttisch drein« (V. 3486). Gretchen beschreibt weiter, wie sehr ihr die Gegenwart Mephistos zusetzt. Sie kann in seiner Gegenwart nicht beten und wird sich ihrer Liebe zu Faust unsicher. Faust geht nicht weiter auf Gretchens Beschwerde ein, bestätigt diese aber indirekt, indem er sie »ahnungsvoller Engel« (V. 3494) nennt.

Als Gretchen mitteilt, dass sie gehen müsse, äußert Faust sein Verlangen nach einer gemeinsamen Nacht. Gretchen teilt sein Verlangen, hat aber zu große Angst, von ihrer Mutter erwischt zu werden: »Doch meine Mutter schläft nicht tief,/Und würden wir von ihr betroffen,/Ich wär gleich auf der Stelle tot!« (V. 3507 ff.). Diese drastische Äußerung zeigt deutlich, dass die Beziehung mit Faust und die gemeinsame Nacht eine große Sünde zur damaligen Zeit waren. Faust gibt Gretchen ein Fläschchen mit Schlafmittel, das sie ihrer Mutter geben soll. Indem Gretchen dem Plan zustimmt, zeigt sie, dass sie sich vollständig auf Faust einlässt. Sie weiß selbst nicht, warum sie ihm so verfallen ist, doch hat sie sich bereits mehrfach von ihm beschwichtigen lassen, sodass sie auch dem Schlafmittel nicht abgeneigt ist: »Ich habe schon so viel für dich getan,/Dass mir zu tun fast nichts mehr übrig bleibt.« (V. 3519 f.) Gretchen geht und Mephisto tritt auf.

Mephisto versucht, Faust zu provozieren und stellt Gretchens Frage als eine Machtdemonstration dar. Sie wolle einen frommen Mann, da dieser auf sie hören würde. Faust weist diese Anschuldigung vehement zurück und beteuert, dass Gretchens Liebe aufrichtig ist. Auffällig ist auch, dass Mephisto Menschen häufig mit Vergleichen zu Tieren benennt, so fragt er Faust, ob der »Grasaff« (V. 3521) weg sei und meint damit Gretchen. Mephisto nimmt Menschen nicht ernst und benutzt sie als Spielfiguren. Trotzdem ist er erfreut, von der gemeinsamen Nacht zu hören, was Faust nicht recht versteht, da er nichts von der Wette von Gott und dem Teufel weiß. Die Szene ist besonders wichtig für den Verlauf der Gretchentragödie. Die verhängnisvolle Nacht bricht ein und wie man später erfährt, wird Gretchen in dieser Nacht schwanger und tötet ihre Mutter durch das Schlafmittel (Diekhans, Völkl, S. 62-65).

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.