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Faust I

Szene 7: »Straße« und Szene 8: »Abend«

Zusammenfassung

In der Szene »Straße« sieht Faust Margarete (Gretchen) zum ersten Mal. Er bietet ihr sein Geleit nach Hause an, doch sie lehnt ab. Faust hat sich auf den ersten Blick verliebt und befiehlt Mephisto, Gretchen gefügig zu machen, damit er mit ihr zusammen sein kann. Mephisto merkt an, dass sie gerade aus der Kirche gekommen und sehr fromm und gläubig sei, weshalb er keine Macht über sie habe. Faust möchte das nicht hören und droht, die Wette zu beenden. Mephisto beschwichtigt ihn mit dem Angebot, sich in Gretchens Zimmer zu schleichen, wenn diese nicht zu Hause ist.

In der nächsten Szene »Abend« bringt Mephisto Faust schließlich in Gretchens Zimmer. Es ist ein reinliches kleines Kämmerchen. Faust ist von seinen Gefühlen überwältigt und stellt sich gemeinsame Nächte mit Gretchen vor. Mephisto gibt Faust ein Schmuckkästchen, das er Gretchen zurücklassen soll. Beide verlassen den Raum und Gretchen betritt ihr Zimmer. Sie hat ein unwohles Gefühl und beginnt das Lied vom König von Thule zu singen, während sie sich umzieht. Als sie ihre Kleidung in den Schrein legen möchte, sieht sie das Schmuckkästchen und ist verwundert und glücklich zugleich.

Analyse

Die Szene »Straße« ist die erste Szene der Gretchentragödie. Der nun verjüngte Faust sieht Gretchen und spricht sie an: »Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,/Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?« (V. 2605 f.). Faust begehrt Gretchen sofort, doch diese zeigt sich unbeeindruckt von der forschen Anrede und erwidert: »Bin weder Fräulein, weder schön,/Kann ungeleitet nach Hause gehn.« (V. 2607 f.) Faust ist trotzdem nachhaltig von Gretchen beeindruckt: »Beim Himmel, dieses Kind ist schön!/Sie ist so sitt- und tugendreich« (V. 2609; V. 2611). Deshalb befiehlt er Mephisto, ihn mit ihr zusammenzubringen: »Hör, du musst mir die Dirne schaffen!« (V. 2619). Sein Ton ist harsch, ganz im Gegenteil dazu, wie er zuvor mit Gretchen sprach. Doch Mephisto zeigt sich unbeeindruckt und sagt, er habe über Gretchen keine Macht, da diese gläubig sei.

Der Hexentrank hat die gewünschte Wirkung. Fausts Triebe wurden geweckt und er ist von sich überzeugt. Er behauptet sogar, den Teufel nicht zu brauchen, um Gretchen zu verführen. Er selbst bräuchte lediglich sieben Stunden, währenddessen Mephisto vierzehn Tage vorschlägt. Mephisto rät zu einem behutsamen Vorgehen, da ein »unschuldig Ding« (V. 2624) wie Gretchen nicht stürmisch erobert werden sollte. Faust selbst bezeichnete sie als tugendreich. Daher schlägt Mephisto vor, ihm Zugang zu Gretchens Zimmer zu verschaffen und Faust verlangt nach einem Geschenk, das er in ihrem Zimmer zurücklassen kann, um auf sich aufmerksam zu machen. Mephistos gesamtes Handeln ist dem Gewinn der Wette gewidmet, er ist nicht an Fausts Glück interessiert (Diekhans, Völkl, S. 49).

Der Eindruck, der in der vorherigen Szene von Gretchen vermittelt wurde, wird hier unterstützt. Faust selbst weist darauf hin, dass er sie für sehr tugendhaft und sittsam hält. Gretchens Zimmer wird in der Regieanweisung als »ein kleines reinliches Zimmer« (S. 77) beschrieben, was den Eindruck Fausts unterstützt. Außerdem spiegelt das Zimmer ihre innere Harmonie und Ausgeglichenheit wider, die durch Faust und Mephisto gestört werden wird. Gretchen hält einen Monolog, während sie sich die Zöpfe aufbindet. Symbolisch steht das Aufbinden der Zöpfe für das Auflösen der Sittsamkeit, die sie nach außen zeigen muss. Sie denkt über Faust nach und fragt sich »wer heut der Herr gewesen ist!« (V. 2679). Die Begegnung war also doch nicht so unbedeutend für sie und sie lehnte wohl aus dem Grund ab, dass sie bei Faust eine Herkunft aus »einem edlen Haus« (V. 2681) vermutet.

In der Szene »Abend« geht Gretchen schließlich und Mephisto und Faust betreten ihr Zimmer. Mephisto lässt Faust mit seinen Gedanken alleine. Bevor Mephisto geht, bemerkt er: »Nicht jedes Mädchen hält so rein.« (V. 2686) und bestätigt damit erneut ihre Unschuld und innere Ordnung, die sich nach außen in ihrem Zimmer zeigt. Genau nach dieser Ordnung und Zufriedenheit sehnt sich Faust, da in ihm eine große Unruhe herrscht, die schließlich dazu geführt hat, dass er den Pakt mit dem Teufel schloss. Er beschreibt Gretchens Zimmer als »Heiligtum« (V. 2688) und meint, Erfüllung in der Armut zu erkennen.

Er vergleicht das Zimmer bereits mit einem Kerker, allerdings herrscht in diesem »Seligkeit« (V. 2694), ganz im Gegensatz dazu, wie es in der späteren Szene »Kerker« der Fall sein wird. Auch sein eigenes Studierzimmer bezeichnet Faust als Kerker, jedoch schränkt dieses ihn ein. Bei Gretchen sieht er nun, dass man im Einfachen seine Erfüllung und Zufriedenheit finden kann. Er wird geradezu enthusiastisch und sehnt sich stark nach Gretchen. Für ihre Beschreibung zieht er biblische Vergleiche heran, wie »eingebornen Engel« (V. 2712) oder »Götterbild« (V. 2716). Seine eigene Existenz empfindet er hierbei als armselig, ganz im Gegenteil dazu, wie Gretchen ihn wahrnimmt. Diese hält sich für zu ungebildet und nicht standesgemäß für ihn. In der Schwärmerei Fausts steckt nicht nur Liebe für Gretchen, vielmehr lässt er ihr die Rolle zukommen, ihn glücklich zu machen und zu erfüllen. Dieser wird sie jedoch nicht gerecht werden können, da sie die Situation und die Lage, in die sie Faust bringen wird, in ihrem Alter und ihrer Unerfahrenheit noch nicht überschauen kann.

Faust besinnt sich und erkennt, dass seine bloßen Triebe aus ihm sprachen: »Mich drang’s, so grade zu genießen/Und fühle mich im Liebestraum zerfließen!« (V. 2722 f.). Er sah sich kurz der Erfüllung nah, doch erkennt schnell, dass es nicht das ist, was er von Mephisto verlangte, als sie die Bedingungen für den Pakt besprachen. Er will fliehen: »Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!« (V. 2730) und sein Begehren für Gretchen aufgeben. Doch Mephisto möchte ihn von diesem Vorhaben abbringen, damit er die Wette gewinnt. Faust äußert seine Zweifel: »Ich weiß nicht soll ich?« (V. 2738), weshalb es auch Mephisto ist, der das Schmuckkästchen zurücklässt. Er selbst deponiert das Schmuckkästchen in Gretchens Zimmer, bevor diese zurückkehrt, da Faust zweifelt.

Gretchen spürt sofort, dass jemand in ihrem Zimmer war: »Mir läuft ein Schauer übern ganzen Leib -« (V. 2757). Sie öffnet sogar das Fenster, um die böse Energie herauszulassen. Um sich zu beruhigen, beginnt sie das Lied vom »König von Thule« zu singen, während sie sich auszieht. Das Lied handelt von einem König, der von seiner Frau einen Becher erhält, bevor diese stirbt. Diesen Becher behält er bis zu seinem eigenen Tod, da er für ihn ein Symbol ewig währender Liebe und Treue ist. Sie drückt durch das Lied ihre Gedanken aus. Sie denkt immer noch über die Begegnung mit Faust nach. Daher kommt ihr ein Lied über Liebe und Vertrauen in den Sinn.

Als Gretchen ihre Kleidung in den Schrein (Kleiderschrank) legen möchte, entdeckt sie das Schmuckkästchen, das Mephisto dort zurückgelassen hat. Sie ist überwältigt: »Ein Schmuck! Mit dem könnt eine Edelfrau/Am höchsten Feiertage gehn.« (V. 2792 f.) Es ist Schmuck, der einer Frau ihres Standes nicht zusteht. Dass sie das Schmuckkästchen geöffnet hat und den Schmuck anlegen möchte, zeigt, dass Gretchen immer mehr auf ihre inneren Wünsche hört und die gesellschaftlichen Gepflogenheiten nicht mehr beachtet. Sie verliert ihre Tugendhaftigkeit (Diekhans, Völkl, S. 49-52).

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.