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Faust I

Szene 17: »Am Brunnen« und Szene 18: »Zwinger«

Zusammenfassung

Gretchen trifft Lieschen am Brunnen. Die beiden unterhalten sich und Lieschen beginnt zu lästern. Bärbel sei unehelich schwanger geworden und ihr Liebhaber habe sie sitzen lassen. Laut Lieschen sei Bärbel selbst daran schuld, da sie gesündigt habe, während sie selbst und Gretchen ihren Pflichten nachgegangen seien. Gretchen fühlt sich schuldig, da sie durch die Beziehung mit Faust auch sündigt. Sie erinnert sich daran, wie sie früher selbst über ein solches Verhalten gelästert hat.

Später bringt Gretchen Blumen zum Andachtsbild der »Mater dolorosa«, das sich in der Stadtmauer befindet. Sie betet für ihre eigene Erlösung und erklärt, in welcher Notlage sie sich befindet. Sie sucht Trost und Vergebung im Glauben.

Analyse

Gretchen trifft Lieschen an einem öffentlichen Brunnen. Es ist also ein Ort der sozialen Kommunikation. Lieschen erzählt ihr von Bärbels Schwangerschaft: »Sie füttert zwei, wenn sie nun isst und trinkt.« (V. 3549) Lieschen spottet weiter und zeigt damit das engmaschige Kontroll- und Kommunikationsnetz der Stadt, in der Gretchen lebt. Bärbel wird nun sozial ausgestoßen, sowohl von der Gesellschaft als auch von der Kirche. Da Bärbel von ihrem Liebhaber verlassen wurde, kann sie auf keine Ehe hoffen und ist nun auf sich allein gestellt. Lieschen lästert weiter und erfreut sich an Bärbels Schicksal: »So ist’s ihr endlich recht ergangen.« (V. 3551) Gretchen hingegen empfindet Mitgefühl, da sie sich in einer ähnlichen Situation befindet. Als sie nach Hause geht, erinnert sie sich an die Zeit, als sie selbst gelästert hat und keinerlei Verständnis für die Sünde aufbringen konnte. Was sie in ihren Augen jedoch von Bärbel unterscheidet, ist, dass sie sich Faust aus Liebe hingab: »Doch - alles was dazu mich trieb,/Gott! war so gut! ach war so lieb!« (V. 3585 f.) (Diekhans, Völkl, S. 65 f.).

Der »Zwinger« mit dem Andachtsbild der Mater dolorosa bezeichnet den Ort zwischen der inneren und der äußeren Stadtmauer. Gretchen ist somit von der Gesellschaft abgegrenzt und kann ihre Gedanken frei aussprechen. Sie bringt der Mater dolorosa Blumen. Dieses Andachtsbild stellt Maria, die Mutter Jesu, dar, die um ihr Kind weint. Gretchen kann sich damit identifizieren und beginnt zu beten. Schlüsselelemente der Szene sind ihre Ausrufe »wie weh, wie weh, wie wehe« und »[i]ch wein, ich wein, ich weine« (V. 3603; 3606). Der Kernsatz ist »Das Herz zerbricht in mir.« (V. 3607) Sie spiegeln ihr Seelenleben wider und die Wiederholung der Wörter sowie die Alliteration des Buchstaben »w« messen den Aussagen mehr Gewicht zu und zeigen, wie sehr sie leidet. Ihr Herz war der Ort, an dem ihre innere Ruhe und Ordnung vorherrschten und diese wurden ihr genommen. Gretchen weiß sich nicht mehr zu helfen und erhofft sich Rettung in ihrem Glauben an Gott. Eine Rückkehr Fausts scheint sie aufgegeben zu haben. Sie fleht die Mater dolorosa an: »Hilf! rette mich vor Schmach und Tod!« (V. 3616). Sie hofft auf eine Vergebung ihrer Sünden und eine Erlösung durch Gott (Diekhans, Völkl, S. 66 f.).

Veröffentlicht am 18. April 2023. Zuletzt aktualisiert am 18. April 2023.