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Das Märchen gehört zu den kleinen Formen der Epik. In kurzen Prosatexten werden Elemente der realen und magischen Welt miteinander verwoben. Der Begriff ist ein Diminutiv des mittelhochdeutschen maere = Erzählung, Kunde, Bericht.
Über Jahrhunderte hinweg wurden Volksmärchen mündlich überliefert. In der Epoche der Romantik (1795 – 1835) wurden Märchen und Sagen erstmals als literarische Genres anerkannt und schriftlich niedergelegt. In dieser Zeit erlebte zudem das Kunstmärchen seinen Höhepunkt. Dieses stammt nicht aus der Volkstradition, sondern ist das Werk eines einzelnen Dichters.
Mit »Es war einmal…« werden fast alle Volksmärchen eingeleitet. Und oft beenden Kinder einen Märchenvortrag selbst mit der hoffnungsvollen Formel: »Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.« Beides unterstreicht die völlige Losgelöstheit eines Märchens von Raum und Zeit und seine Allgemeingültigkeit.
Die meisten Volksmärchen, insbesondere die der Gebrüder Grimm, folgen über die bekannten Anfangs- und Schlussformeln hinaus einem festen Erzählschema. Grundsituationen kehren in Variationen immer wieder:
Das Personal im Märchen besteht aus stark typisierten und kontrastierten Figuren. Dem König steht die arme Müllerstochter gegenüber (sozialer Gegensatz), dem hässlichen Frosch die schöne Prinzessin (körperlicher Gegensatz) und der bösen Hexe der gute Hänsel (moralischer Gegensatz).
Neben Figuren aus der realen Welt tauchen fantastische Wesen wie Hexen, Zwerge und Riesen auf. Tiere können sprechen oder sich verwandeln. Wirklichkeit und magische Welt durchdringen sich wechselseitig.
Häufiges Motiv in Märchen ist das Wandern, auch im übertragenen Sinne: Altes oder Überlebtes wird zurückgelassen. Der Mensch durchläuft Reifungsprozesse, indem er sich im Vertrauen auf gute Mächte seinen Herausforderungen stellt. Er überwindet sich selbst und erreicht eine neue Stufe des Seins.
Die Rollen von Gut und Böse sind im Märchen klar verteilt: Immer siegt das Gute und wird das Böse hart bestraft.
Volksmärchen stammen aus längst vergangenen Zeiten. Jede Nation hat ihren eigenen Märchenschatz, der in ihrer Geschichte und ihren Traditionen wurzelt. Insbesondere in den unteren Gesellschaftsschichten wurden Märchen von Generation zu Generation weitererzählt. Im deutschsprachigen Raum war es das große Verdienst der nationalbewussten Romantiker, bis dahin mündlich tradiertes Volksgut zu sammeln und zu publizieren.
Die ersten deutschen Sammlungen von Musäus (Volksmärchen der Deutschen, 1782) oder Ernst Moritz Arndt wurden durch massive stilistische Eingriffe nach dem Verständnis der Romantiker von Sagen zu Kunstmärchen verändert. Erst die beiden 1812 und 1815 erschienenen Bücher der Gebrüder Grimm enthalten tatsächlich überlieferte Märchen, wenngleich sie stilistisch bearbeitet und bereinigt wurden.
Aus der Antike ist einzig das »Märchen von Amor und Psyche« bekannt. Als die eigentlichen Begründer der Kunstmärchen gelten die deutschen Romantiker. Sie eigneten sich dabei die fantastische und zauberhafte Darstellungweise der Volksmärchen an. Anders als diese wirken Kunstmärchen mitunter konstruiert und sind oft psychologisch oder philosophisch ausgerichtet.
Zu Anfang pflegten ihre Dichter eine überlegene Distanz gegenüber dem überlieferten Volksgut. Mit ihren fantastischen Geschichten wollten zum Beispiel Johann Karl August Musäus (1735 – 1787) oder Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) die aufgeklärte Gesellschaft geistreich unterhalten.
Erst durch den Einfluss Johann Gottfried Herders (1744 – 1803) begann eine Hinwendung zum Einfachen und Ursprünglichen: Man versuchte die schlichten Handlungsmuster und den natürlich wirkenden Stil der Volksmärchen nachzuahmen. Längere Kunstmärchen werden häufig als Märchennovelle bezeichnet.
Ein Mythos (griech. = Wort, Erzählung) ist eine überlieferte Erzählung, die von Göttern, Dämonen, Kulturheroen und Helden handelt. Von ihm unterscheidet sich das Märchen vor allem durch das Fehlen einer Göttersphäre. Auch ist im Mythos der Sieg des Guten über das Böse nicht selbstverständlich.
Eine Sage ist eine überlieferte Erzählung, die von fantastischen Ereignissen oder sogenannten Wundern handeln und objektiv Unwahres enthalten kann. Sie hat aber einen realen Kern und enthält Angaben zu Ort und Zeit sowie Namen. Darüber hinaus unterscheidet sie sich vom Märchen durch eine auf sich gestellte Hauptfigur und einen oft tragischen Ausgang.
Die Legende (lat. legenda = das zu Lesende) handelt von einer realen Figur, oft eines Heiligen oder gottesfürchtigen Menschen, der nach einer Bewährung auf einen guten Ausgang vertrauen kann. Im Gegensatz zur Legende fehlt dem Märchen der Gottesbezug. Zudem ist das oft vorbildhafte Geschehen dort räumlich und zeitlich fixiert.
Antimärchen haben Ähnlichkeit zum Volks- sowie Kunstmärchen, weisen zum Beispiel fantastische Elemente auf. Wie der Begriff vermuten lässt, stellen sie jedoch wesentliche Merkmale des Märchens auf den Kopf. Die Hauptfigur erfährt am Ende keine Erlösung. Es fehlt das naive Vertrauen in den Sieg des Guten. Stattdessen erlebt der Leser Verunsicherung und stellt die bestehende Weltordnung in Frage. Ein bekanntes Beispiel für ein sogenanntes Antimärchen ist Franz Kafkas »Die Verwandlung« von 1915.
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