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Bürgerliches Trauerspiel

Ein bürgerliches Trauerspiel ist ein Bühnenstück. Diese Untergattung der Dramatik entstand im 18. Jahrhundert mit dem Aufstieg des Bürgertums. Ihr Begründer war Gotthold Ephraim Lessing.

Was ist ein bürgerliches Trauerspiel?

Das bürgerliche Trauerspiel ist eine Tragödie, die in der Welt von Privatpersonen spielt. Diese Untergattung des Dramas entstand zur Zeit der Aufklärung. Im 18. Jahrhundert gewann das Bürgertum an Bedeutung. Sein zunehmendes Selbstbewusstsein sollte sich auch auf den Theaterbühnen widerspiegeln.

Seit der Antike war die Tragödie – und mit ihr die Tragik – dem Adel vorbehalten gewesen. Es galt die Ständeklausel: Danach war der tragische Held von hohem gesellschaftlichen Stand und konnte im Verlauf des Stücks tief fallen. Im Gegensatz dazu gab es Komödien. Diese handelten von Figuren aus niedrigen Schichten.

Es herrschte die Vorstellung, dass Bürger zur Tragik nicht fähig seien: Wer so weit unten stand, hatte nur eine geringe oder gar keine Fallhöhe. Dagegen wehrte sich nun das aufstrebende Bürgertum. Es wollte seine eigenen Tragödien, das heißt Trauerspiele.

Die Stücke waren nahe am Leben der Bürger. Sie spielten in einem Umfeld, das ihnen vertraut war. Sie behandelten Themen aus ihrer eigenen Erfahrungswelt. Zunächst wurden Unterschiede zwischen Bürgertum und Adel aufgezeigt. Später wurde eine bürgerliche Ethik und Moral auf die Bühne gebracht. Das Publikum sollte sich mit den Helden identifizieren und mitleiden. Ziel war die sittliche Besserung der Zuschauer.

Zum Begriff Bürgerliches Trauerspiel

Der Begriff Trauerspiel entstand im 17. Jahrhundert als deutsches Ersatzwort für Tragödie. Im engeren Sinn war damit die christliche Form der Tragödie gemeint. Das Bühnengeschehen war eher traurig als tragisch. Der Zusatz bürgerlich ergab sich aus dem Aufstieg des Bürgertums im Zuge der Aufklärung. Das Bürgertum wollte die Tragik nicht länger allein dem Adel überlassen, sondern nahm sie auch für sich in Anspruch.

Merkmale des bürgerlichen Trauerspiels

Das bürgerliche Trauerspiel ist aus einer Ablehnung der Ständeklausel entstanden. Mit steigendem Selbstwertgefühl wollten die Bürger ihre eigene Tragik auf die Bühne bringen. Die Inhalte veränderten sich im Lauf der Zeit.

Die wichtigsten Merkmale des bürgerlichen Trauerspiels:

  • Thematisierung von Konflikten:
    • Unterdrückung der Bürger durch den Adel,
    • dann Enge innerhalb des bürgerlichen Standes,
    • später Zusammenstoß mit der aufkommenden Arbeiterschicht
  • Ernsthafte Darstellung der Lebenserfahrungen und moralisch-ethischen Grundsätze des Bürgertums
  • Hauptfiguren aus dem Bürgertum und dem niederen Adel
  • Teils klassischer Aufbau, häufig jedoch eine offene Dramenform
  • Immer in Prosaform, also ohne Reim
  • Tragisches Ende oder auch Abdriften zu Rührstücken (ernste Handlung mit glücklichem Ausgang)

Geschichtliche Entwicklung

Vorläufer des bürgerlichen Trauerspiels gab es in England und Frankreich. Zur Zeit Shakespeares war in England die Domestic Tragedy beliebt. Das waren Mordgeschichten innerhalb von bürgerlichen Familien.

Das englische Bürgertum emanzipierte sich früher als auf dem Kontinent. Im 18. Jahrhundert trat der gesellschaftliche Stand in den Hintergrund. Fragen der Ethik gewannen dagegen an Bedeutung. Das bürgerliche Trauerspiel »The London Merchant« (1731) von George Lillo (dt.: »Der Kaufmann von London, oder Begebenheiten Georg Barnwells«) wurde wegweisend auch für den Kontinent.

In Frankreich ging die Entwicklung zum bürgerlichen Trauerspiel nicht von der Tragödie aus. Vielmehr wurde in der Komödie das Komische zurückgedrängt. Das Ergebnis war die Comédie larmoyante. Erst später entstanden ernste Stücke als Drame bourgeois. Der Aufklärer Denis Diderot (1713–1784) war ein wichtiger Vertreter des neuen Genres.

In Deutschland wurde Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) zum Schöpfer des bürgerlichen Trauerspiels. 1755 entstand sein Drama »Miss Sara Sampson«. Nach englischem Vorbild spielt es im familiären Milieu. Lessing fand zahlreiche Nachahmer. Einen ersten Höhepunkt erreichte das bürgerliche Trauerspiel schließlich mit »Emilia Galotti« (1772). Lessing wendet sich damit von rührenden Familienszenen ab. Stattdessen thematisiert er den tragischen Zusammenstoß von Bürgertum und Adelswillkür.

In Klassik und Romantik fand das bürgerliche Trauerspiel keine besondere Aufmerksamkeit. Erst 1844 gewann die Gattung wieder an Bedeutung. In seinem Stück »Maria Magdalena« zeigt Friedrich Hebbel die Konflikte innerhalb des Bürgerstandes auf: Kleinbürgerliche Moral und pedantisches Pflicht- und Ehrgefühl werden dem Einzelnen zum Verhängnis und machen ihn zum Opfer der Gesellschaft.

Im Naturalismus wurde das bürgerliche Trauerspiel gesellschaftskritisch. Es entlarvt die Selbstgerechtigkeit und Selbstzufriedenheit des Bürgertums. Im Gegensatz dazu verteidigt es den rechtlosen Arbeiterstand. Das bürgerliche Trauerspiel wird damit zur politischen und sozialen Dichtung. Im Expressionismus und Surrealismus wird die Kritik an den brüchigen Lebensformen durch Verzerrung und Karikatur erreicht.

Bekannte bürgerliche Trauerspiele

  • Miss Sara Sampson (1755) von Gotthold Ephraim Lessing
  • Emilia Galotti (1772) von Gotthold Ephraim Lessing
  • Die Kindermörderin (1776) von Heinrich Leopold Wagner
  • Kabale und Liebe (1784) von Friedrich Schiller
  • Maria Magdalena (1843) von Friedrich Hebbel

Quellen und weiterführende Literatur:
Basiswissen Schule Deutsch Abitur, Duden Schulbuchverlag Berlin, Mannheim, Zürich, 2011.
Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2013.

Seite veröffentlicht am 08.04.2020. Letzte Aktualisierung am 03.09.2020.