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Katz und Maus

Sprache und Stil

Auch wenn die Novelle ausschließlich von Pilenz erzählt wird, ist die Sprache von Katz und Maus nicht monologisch zu nennen. Das wohl auffälligste Merkmal des Texts ist die Verwendung von Umgangssprache und Dialekt bei der direkten Rede. So legt der Erzähler Tulla Pokriefke Sätze wie die Folgenden in den Mund: »Oder kannste das nich? Willste nich? Darfste nich?« (34). Direkt auf der nächsten Seite ruft Jürgen Kupka: »Meß doch mal nach!« (35) und benutzt somit einen falschen Imperativ. Dabei geht es dem Erzähler nicht darum, Kupka als schlechten Sprecher zu zeigen, sondern vielmehr darum, die Sprache realitätsnah wiederzugeben. Die wörtliche Rede verfolgt den Anspruch, das von den Figuren Gesagte naturalistisch (also naturgetreu) abzubilden. Noch deutlicher wird das in den Szenen, in denen Joachim Mahlkes Tante spricht (110ff). Genauso in der Szene, in der Mahlke und Pilenz den Jungs in der Bushaltestelle begegnen (137ff). 

In der Redewiedergabe wird also ein mimetisches Verfahren angestrebt.

Anders verhält es sich bei der Sprache des Erzählers selbst. Wie bei vielen Texten von Günter Grass ist die Sprache (oder Stimme) des Erzählers hochartifiziell, also künstlerisch. Diese Sprache ist gerade keine Abbildung von Alltagssprache, sondern geradezu lyrisch. Bezeichnend für Katz und Maus ist das, was Ingrid Hasselbach die »Subjektivierung der Dinge« (Hasselbach, 1990: 96) nennt. »Es liegt in der Komposition des Stils die erklärte Absicht von Günter Grass, die poetische Welt von den Dingen her aufzubauen« (ebd.). Ein Beispiel dafür: »Dann kroch ihr Flüstern in mein Ohr« (111). Das Schallphänomen Flüstern wird hier als ein Lebewesen gestaltet, das Flüstern kriecht. Oder an anderer Stelle: »[N]och bevor verirrte Schaumfetzen auf der Brücke ermüdeten und unter jedem Lüftchen zitterten« (9). Der Meerschaum verirrt sich, ermüdet bald und zittert. Diese Personifikationen beleben die dargestellte Welt. So entsteht eine ungemein reiche, aber auch fremde Welt, in der alle Dinge ihr Eigenleben aufweisen. Das bedeutet aber nicht, dass die Dinge ein tieferes Wesen hätten – im Gegenteil. Selbst die geschilderten Personen verhalten sich oberflächlich. »Die Figur Joachim Mahlke ist das Kompositum ihrer Körperteile und Kleidungsstücke. Ein davon unabhängiges Innenleben bleibt unerwähnt« (Hasselbach, 1990: 97). Über Mahlke schreibt Pilenz: »Wir rätselten herum und konnten Dich nicht verstehen. Bevor Du schwimmen konntest, warst Du ein Nichts, das ab und zu aufgerufen wurde, zumeist richtige Antworten gab und Joachim Mahlke hieß« (28). Und an späterer Stelle: »[S]eine Seele wurde mir nie vorgestellt. Nie hörte ich, was er dachte. Am Ende blieben sein Hals und seine viele Gegengewichte« (32). Das Erzählen in Katz und Maus ist also ein Erzählen von den Dingen her, aber es geht auch nicht über die Dinge hinaus. Man kann es ein oberflächliches Erzählen nennen, ohne dass dabei Oberflächlichkeit mit einer künstlerischen Wertung verbunden sein soll. Diese spezielle Oberflächlichkeit ist sogar, wenn überhaupt, ein großer Kunstgriff.

Des Weiteren fällt auf, dass der Erzähler immer wieder Zitate in seinen Text einfügt, allerdings ohne sie kenntlich zu machen. Vor allem die Vorträge Klohses strotzen vor Zitaten: »Undindieserstunde – Wandererkommstdu – Undwollenwirnie« (55). Es sind Phrasen aus dem Bildungsgut, die hier angeführt werden (vgl. das Kapitel Zitate und Textstellen). 

Auch die Berichte über den Kriegsverlauf stellen Zitate dar: »Die Krim hatten sie, und Rommel war in Nordafrika mal wieder im Kommen« (84). So lapidar gegeben wird durch die Zitation der Wehrmachtsberichte deutlich gemacht, wie fremd der ablaufende Krieg sich darstellt. 

Zu guter Letzt ist noch die Verfremdung zu erwähnen, die der Erzähler als Stilmittel benutzt. Am Deutlichsten kommt das darin zum Ausdruck, dass das Ritterkreuz des eisernen Kreuzes, der Orden, von Pilenz niemals mit diesem Namen bedacht wird. Der Orden heißt das »Ding« (87), der »Bonbon« (51) oder »jener eiserne Artikel« (135). Die höchste militärische Auszeichnung des Dritten Reichs wird hier nicht mit Namen genannt – erst auf der allerletzten Seite heißt es: »Muß ich noch sagen, daß ich im Oktober neunundfünzig nach Regensburg, zum Treffen jener Übriggebliebenen fuhr, die es wie Du zum Ritterkreuz gebracht hatten?« (150). Erst nach dem Zusammenbruch des Nazireichs wird der Orden beim Namen genannt. Damit wird gezeigt, wie sehr jene Übriggebliebenen aus der Zeit gefallen sind, indem sie noch dem Nazismus anhängen. Der Erzähler positioniert sich also gegen die NS-Zeit und deren Überbleibsel.

Veröffentlicht am 16. September 2022. Zuletzt aktualisiert am 20. Oktober 2022.