Skip to main content

Der blonde Eckbert

Historischer Hintergrund und Epoche

Mit seinem Erscheinungsjahr 1797 ist »Der blonde Eckbert« eindeutig der Epoche der Frühromantik, nach ihrem geistigen Zentrum auch als »Jenaer Romantik« bezeichnet, zuzuordnen. Sie begann um 1795 und dauerte bis etwa 1804, wobei die Übergänge zur sogenannten »Hochromantik« fließend sind. 

In Jena versammelten sich um 1800 einige der wichtigsten deutschen Dichter, Philosophen, Literaturtheoretiker und Naturwissenschaftler. Hier wurde in philosophischer und ästhetischer Auseinandersetzung, durch Vorlesungen, Publikationen und Gespräche die Grundlage für das romantische Weltbild gelegt. Es entstand als Gegenbewegung zur vernunftbetonten Aufklärung und zum strengen ästhetischen Regelwerk der Klassik. Anders als diese wollten die Romantiker festgelegte Formen auflockern, die Grenzen zwischen den Gattungen verschwimmen lassen und die schöpferische Fantasie des Individuums in den Mittelpunkt stellen. 

Die Epoche der Frühromantik legt für diese Ideen den theoretischen Grundstein.  Neben Novalis (Friedrich von Hardenberg, 1772–1801) waren es vor allem die Brüder Schlegel, die hier wesentliche Konzepte lieferten. August Wilhelm Schlegel (1767–1845) und Friedrich Schlegel (1772–1829) veröffentlichten wichtige Schriften zur Romantik, der eine als Literaturhistoriker und Altphilologe an der Universität Jena, der andere als freier Schriftsteller. Von Friedrich Schlegel stammt der berühmte Satz: »Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie« (116. Athenäums-Fragment). »Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen.« »Progressiv« bedeutet an dieser Stelle, dass diese Poesie im ständigen Wandel begriffen und ihre Entwicklung noch offen ist, »Universalpoesie« weist darauf hin, dass die Grenzen zwischen verschiedenen Kunstformen und Gattungen aufgehoben werden sollen. Durch diese Grenzaufhebung hofften die Frühromantiker nichts Geringeres, als die angesichts der einsetzenden Industrialisierung verloren geglaubte Einheit von Mensch und Natur zurückzugewinnen. Kunst und Alltagsleben sollten miteinander versöhnt werden, ja verschmelzen, und Gegensätze überwunden werden.

Betrachtet man die Ziele, die die Theoretiker der Frühromantik mit diesen Konzepten anstrebten, so kommt Tiecks Märchen »Der blonde Eckbert« trotz seines frühen Erscheinungsjahres eine eigenartige Sonderrolle zu. Gezeigt wird hier nämlich, wie genau diese Konzepte scheitern. Die Einheit von Mensch und Natur in der Waldidylle wird durch Berthas Vergehen zerstört. Natürliche menschliche Gemeinschaft wird durch eine verlogene Pseudo-Harmonie vorgetäuscht, existiert aber in Wahrheit gar nicht.

Veröffentlicht am 11. Dezember 2022. Zuletzt aktualisiert am 11. Dezember 2022.