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Jugend ohne Gott

Rezeption und Kritik

Nachdem der Roman »Jugend ohne Gott« am 16.10.1937 im Amsterdamer Exil-Verlag Allert de Lange auf Deutsch erschienen war, begann sogleich seine große, auch internationale Erfolgsgeschichte. Die Horváth-Expertin Elisabeth Tworek stellte fest: 

    Der Roman begründete den internationalen Erfolg Horváths und wurde binnen eines Jahres in acht Sprachen übersetzt: Ins Englische, Tschechische, Polnische, Französische, Schwedische, Serbokroatische, Niederländische und Dänische. Alle bedeutenden internationalen Zeitungen besprachen ihn überwiegend positiv. (Tworek, in Kommentar zu 166)

Aufgrund der Vielschichtigkeit des Textes mit seinen verschiedenen Handlungsstrukturen wurde er auch von der Kritik aus unterschiedlicher Perspektive wahrgenommen. So hoben beispielsweise die deutschsprachigen Exilzeitschriften die politischen Aspekte des Buches in seiner Kritik an der faschistischen, totalitären Gesellschaft und ihren Parallelen zum NS-Staat in Deutschland hervor. So wurde auch erkannt, dass Horváth als Erster die Beeinflussung und Prägung der Jugend in der faschistischen Ideologie dargestellt und untersucht hatte, so der Kritiker Hermann Linde in der in Paris erscheinenden Wochenzeitung »Die Zukunft« vom 16.12.1938. Auch Kurt Großmann verstand den Roman in seiner Rezension vom 27.1.1938 in der Prager Zeitung »Sozialdemokrat« als ein Appell, im Kampf gegen den Faschismus und vor allem um die vom Faschismus verführte Jugend nicht nachzulassen (vgl. Tworek, in Kommentar zu 166/167).

Die meisten Rezensenten außerhalb der dezidierten Medien der Exil-Deutschen nahmen jedoch vor allem den individuellen moralischen Konflikt des Protagonisten in »Jugend ohne Gott« wahr oder stellten sein Ringen mit Gott und dem eigenen Gewissen als religiös-metaphysischen Aspekt des Buches in ihrer Kritik in den Vordergrund.

Auch der enge Freund Horváths, der Dramatiker Franz Theodor Csokor betonte, dass »Jugend ohne Gott« kein politischer Roman sei, sondern den Kampf um Freiheit und humanistische Werte des Individuums in der totalitären Gesellschaft verhandle. Vor allem kreise er auch um das Thema der Orientierungslosigkeit der Jugend, der jede metaphysische Dimension fehle und die daher nun ein »niedrigeres Objekt der Verehrung« gefunden habe. Und er lobt das Werk als eines der wenigen, das die Zeiten überdauern werde (vgl. Kastberger/Polt-Heinzl, S. 75).

Carl Misch stellte in seiner Rezension vom 12.11.1937 im Exilblatt »Pariser Tageszeitung« das Modell des Kriminalromans in den Vordergrund, dass Horváth für seine Kritik am totalitären faschistischen Staat und einer Jugend, die sich gegen jeglichen Humanismus und Individualismus wendet, nutzt. Er bezeichnete den Roman als »bemerkenswertes Buch« (Kastberger/Polt-Heinzl, S. 71).

Positive Kritik erhielt Horváth auch von bedeutenden Autoren der Zeit und Kollegen, so beispielsweise lobte Hermann Hesse den Roman als »großartig«, da er quer durch den heutigen moralischen Weltzustand schneide (vgl. ebd.). Auch Thomas Mann äußerte sich in einem Brief an Carl Zuckmayer sehr positiv; er hielt das Buch sogar für »das beste Buch der letzten Jahre« (vgl. ebd.).

In Deutschland wurde der Roman bereits am 7. März 1938 verboten und »wegen seiner pazifistischen Tendenzen« auf die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« gesetzt. Alle in Deutschland bereits in Umlauf befindlichen Exemplare wurden sichergestellt (vgl. Kaul/Pahmeier, S.100).

Nach dem Krieg gab es 1948 in Wien die erste Neuauflage von »Jugend ohne Gott«, bald folgten weitere in Sammelbänden und Anthologien. Jedoch geriet der Autor für Jahrzehnte in Vergessenheit und wurde erst ab den 1960er Jahren und dann vor allem als Dramatiker  wiederentdeckt. So veröffentlichte der Horváth-Experte Traugott Krischke 1962 den Aufsatz »Der Dramatiker Ödön von Horváth«. Bereits 1958 fand mit »Glaube Liebe Hoffnung« das erste Mal eine Ausstrahlung eines Stückes von Horváth im Fernsehen statt. 

Der Höhepunkt der »Horváth-Renaissance« ist Mitte der 1970er Jahre zu verorten und hing maßgeblich mit den Studentenprotesten der 1968er Generation zusammen. Diese forderten die Aufarbeitung der NS-Zeit und eine Auseinandersetzung mit den Gründe für den Nationalsozialismus und der Schuld der Mitläufer, die ihn mitgetragen und möglich gemacht hatten. Außerdem kam hier der Protest gegen autoritäre gesellschaftliche Strukturen und ebenso autoritäre Erziehungsmodelle auf, mit denen sich Horváth gerade in »Jugend ohne Gott« explizit auseinandersetzt. Hier fanden sich in Horváths Werk viele Beispiele und Analysen für den Geist des Kleinbürgers, des »deutschen Spießers« der in seiner Angst vor sozialem Abstieg einerseits und seinem Wunsch nach Unterordnung unter autoritäre Führungsstrukturen andererseits den Aufstieg des Nationalsozialismus entscheidend mitgetragen hatte. Auch Diskussionen über die Prägung der Jugend durch faschistische Ideologien und autoritäre Erziehungsmethoden generell wurden am Beispiel von »Jugend ohne Gott« vor diesem Hintergrund geführt.

So gab es bereits 1962 eine der ersten umfangreichen Gesamtdarstellungen zu Leben und Werk Ödön von Horváths von dem österreichischen Schriftsteller Reinhard Federmann in der österreichischen Literaturzeitschrift »Wort in der Zeit«, in dem er über »Jugend ohne Gott« feststellt: »In keinem anderen deutsch geschriebenen Roman wurde der Ungeist des Dritten Reichs erbarmungsloser und präziser dargestellt als in diesem Roman Ödön von Horvaths« (Federmann, Das Zeitalter der Fische, in: Kastberger / Polt-Heinzl, S. 89). Ab den 1970er Jahren rückte dann auch das Romanwerk von Horváth in das Interesse von Forschung und Kritik.

In den 1970er Jahren erschienen auch die Gesammelten Werke Horváths und seine Stücke erlebten nun auch wieder viele Aufführungen auf deutschen Bühnen; alleine 1971/72 lassen sich 28 Inszenierungen auf deutschsprachigen Bühnen und elf im Ausland zählen (vgl. Tworek in Kommentar, 169).

Bereits kurz vor seinem Tod besprach Horváth eine geplante Verfilmung des Romans »Jugend ohne Gott« mit dem Regisseur Robert Siodmak, die dann jedoch nach seinem plötzlichen Tod nicht mehr realisiert wurde.

1969 gab es die erste Verfilmung des Buches mit dem Titel »Nur der Freiheit gehört unser Leben« für das ZDF unter der Regie von Eberhard Itzenplitz. Das Drehbuch stammte von Herbert Knopp, die Hauptrollen übernahmen Heinz Bennent, Fritz Straßner, Robert Freitag und Gusti Kreissl. Im Gegensatz zum Buch, das in einem nicht näher benannten totalitären Regime angesiedelt ist und die moralischen Konflikte des Einzelnen im faschistischen System eher allgemeingültig darstellt, spielt der Film explizit im nationalsozialistischen Deutschland der 1930er Jahre.

Im gleichen Jahr gab es eine weitere Verfilmung von Theaterregisseur Roland Gall mit dem Titel »Wie ich ein Neger wurde«.

Es gab noch einige weitere Verfilmungen des Romans, so 1991 unter dem Originaltitel und der Regie von Michael Knof (für das Fernsehen der DDR) und 2017 von Regisseur Alain Gsponer, der das Geschehen aus den 1930 Jahren in eine nahe dystopische Zukunft verlegt.

Für die Bühne wurde der Roman 1994 von Horváth-Experte Traugott Krischke in Salzburg adaptiert. Seither gab es zahlreiche weitere Bühnenfassungen des Werks.

Heutzutage zählt Ödön von Horvath zu den »Klassikern der Moderne«, dessen Stücke und Romane nicht nur auf den deutschen Bühnen häufig aufgeführt werden, sondern auch einen festen Platz im Kanon des Deutschunterrichts an Schulen und an Universitäten haben.  Seine Werke werden auch wissenschaftlich vielfach erforscht. Überdies gibt es seit 2003 eine Ödön-von-Horváth-Gesellschaft, deren Ziel die Förderung und Verbreitung der Werke des Autors ist und mit den alle drei Jahre stattfindenden Murnauer »Horváth-Tagen« seine Romane und Stücke auch lebendig hält. Seit 2013 wird überdies der Ödön-von-Horváth-Preis verliehen, seit 2010 gibt es im Schlossmuseum Murnau eine Dauerausstellung zu Ehren des Autors, der lange Jahre in Murnau verbracht hat. Zu seinen bekanntesten Werken zählt weiterhin neben »Jugend ohne Gott« sein Volksstück »Geschichten aus dem Wiener Wald«.

Veröffentlicht am 25. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2023.