Skip to main content

Jugend ohne Gott

Kapitel 35 + 36: »Herbst« und »Besuch«

Zusammenfassung

Am nächsten Tag erhält der Lehrer bereits den ersten Bericht des Klubs, in dem aber nichts Besonderes gemeldet wird. Von jetzt ab erhält er jeden Tag einen weiteren Brief in einem blauen Kuvert, doch der Klub hat nie etwas zu melden, was ihnen bei ihrer Jagd nach T weiterhelfen könnte.
Langsam wird es Herbst, der Lehrer spürt schon das Nahen des Schnees. Zunehmend verzweifelter fragt er sich, was man zur Rettung Evas tun könnte. Und er fragt sich auch, ob er Eva wohl liebe, da er immer an sie denken muss. Er ist sich bewusst, dass er kein Heiliger ist und es viele Frauen in seinem Leben gab. Doch meint er zu bemerken, dass seine Liebe nun eine andere ist. Er möchte Eva vor allem helfen, möchte ihr Winterkleidung kaufen, damit sie nicht frieren muss. Er rechtfertigt sich in Gedanken; sie müsse die Kleidung auch nicht vor ihm ausziehen und auch nicht bei ihm sein, solange es ihr nur gut gehe.
Der Pfarrer, mit dem der Lehrer sich während des Zeltlagers über die Ideale der Menschheit unterhalten hat, besucht den Lehrer. Dieser erkennt ihn nicht gleich wieder, da er zivil trägt; er gibt als Grund dafür an, dass die Zeit seiner Strafversetzung nun vorbei sei. Ihm fällt sofort auf, dass der Lehrer sich sehr verändert hat und nun viel heiterer aussieht. Als Grund nimmt er nicht nur die mutige Aussage des Lehrers vor Gericht an, sondern vermutet auch, dass sich mit diesem Schritt sein Verhältnis zu Gott geändert habe.
Er fragt den Lehrer, was er nun für Zukunftspläne habe, da ja klar sei, dass seine berufliche Existenz als Lehrer in diesem Land für immer beendet sei. Nachdem der Lehrer ihm antwortet, dass er keine andere Stellung habe und überdies auch seine Eltern unterstützen müsse, bietet er ihm eine Stelle als Lehrer an einer Missionsschule in Afrika an.
Auf die verwunderte und auch, wegen des Zusammenhangs mit seinem Spitznamen bei den Schülern, belustigte Nachfrage des Lehrers: »Bei den Negern?« (120), antwortet der Pfarrer, auch »Neger« seien nur Menschen.
Noch ist der Lehrer der angebotenen Stelle gegenüber misstrauisch. Zwar muss er dafür nicht in einen Orden eintreten und er hat ja auch wieder zu seinem Glauben an Gott zurückgefunden, doch möchte er sich nicht am »schmutzige[n] Geschäft« (ebd.) der weißen Missionare in Afrika beteiligen.
Auf den Einwand des Pfarrers, dass jeder Mensch eine Sendung habe, erinnert sich der Lehrer an seine drängende aktuelle Aufgabe, den »Fisch« T zu fangen. Er erzählt dem Pfarrer davon und sagt ihm zu, die Stelle in Afrika anzunehmen, sobald er Eva entlastet und befreit habe. Der Pfarrer gibt ihm noch den Ratschlag, mit der Mutter von T über den Verdacht gegen ihren Sohn zu sprechen.

Analyse

Trotz den hoch gesteckten Zielen des Klubs, auch in der Praxis nach »Wahrheit und Gerechtigkeit« (114) zu streben, bleibt die Beschattung zunächst ohne Ergebnis.

Die Gedanken des Erzählers kreisen immer mehr um Eva, je mehr Zeit vergeht und der Prozess gegen sie und damit eine mögliche Verurteilung näher rückt. Bei der Reflexion über seine Gefühle für Eva wird er sich bewusst, dass seine Emotionen, sein Empfinden von Liebe seit seiner inneren Wandlung und der Rückkehr zu Gott verändert sind: »Aber nun liebe ich anders« (118). Die erotische Anziehung, die er Eva gegenüber empfand und über deren Charakter er sich nichts vormacht (»Ich bin kein Heiliger«, 117), hat sich in Fürsorge und Mitgefühl verwandelt. Er möchte ihr helfen, »damit sie nicht friert« (118), sie also vor den Gefahren des Lebens schützen. Er ist vor allem um ihr Wohl besorgt, auch wenn er weiß, dass er dafür auf sie verzichten muss.

Die das Kapitel durchziehende, schon in der Überschrift genannte Herbst-Metapher bezieht sich zum einen auf diesen Wandlungsprozess der Reife des Lehrers, die sich vor allem im geänderten Verhältnis zu Eva zeigt. Zugleich schwingt in ihr aber auch die Melancholie des Abschieds mit, das Wissen um den bevorstehenden Winter und den Schnee.

    Die fürsorgliche Liebe zu Eva bekommt dadurch eine leichte Note des traurigen Verzichts auf etwas eigentlich Gewünschtes, auf eine eben auch sexuelle Beziehung mit Eva. (Kaul/Pahmeier, S. 67)

Der Besuch des Pfarrers ist die erste Begegnung der beiden seit ihrem intensiven Gespräch über die Suche nach den Idealen der Menschheit und knüpft mit der Erwähnung von Glauben und Gottesnähe auch direkt an die damalige Diskussion an. Der Pfarrer erkennt sofort die Wandlung des Lehrers, erlebt ihn als »stark verändert« und »viel heiterer« (119). Und er bezieht das auch gleich richtig auf sein gewandeltes Verhältnis zu Gott und seinem veränderten Glauben. Dem Lehrer erscheinen die Erlebnisse damals im Dorf während des Zeltlagers schon weit entfernt, »[w]ie in einem anderen Leben« (119), denn tatsächlich hat sich sein Leben durch seinen Entschluss zur Wahrhaftigkeit radikal geändert.

Das Stellenangebot des Pfarrers an einer Missionsschule in Afrika stellt für den Lehrer eine Rettung aus seiner schwierigen Lage dar, da er unter dem totalitären Regime nie wieder als Lehrer arbeiten könnte und es ihm außerdem ermöglicht, das Land zu verlassen.

Die Reaktion des Lehrers auf die Frage des Lehrers, »Neger sind auch nur Menschen« (120), wiederholt den Satz des Lehrers zu Begin des Romans, mit dem sein innerer Konflikt zwischen Anpassung und Auflehnung das erste Mal nach außen getragen wurde und ihn in Oppositon zur Idelogie des herschenden Regimes brachte.

Auch der Einwand des Lehrers, trotz seines wiedergefundenen Glaubens nicht an die christliche Missionierung zu glauben, greift seine Einstellung zur Würde aller Menschen vom Anfang des Romans wieder auf. Er möchte sich nicht in ihren Dienst stellen, »denn sie bringen ihnen Gott als schmutziges Geschäft« (120). Dies weist auch auf die immer noch bestehende Distanz des Lehrers zur Kirche als Institution hin, die nichts mit seinem Glauben an einen gerechten Gott der Wahrheit zu tun hat. Der Hinweis, auf die »Sendung, die jeder Mensch in seinem Leben hat«, erinnert den Lehrer an seinen Vorsatz, den »Fisch« zu fangen (vgl. 120).

Veröffentlicht am 25. Oktober 2023. Zuletzt aktualisiert am 25. Oktober 2023.